Betroffene kritisieren Bilanz zu Anerkennungsleistungen

"Was anderes passiert dann als Traumatisierung?"

Die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen hat einen ersten Tätigkeitsbericht vorgestellt. Der Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz übt nun Kritik an Form und Inhalt dieses Berichts.

Schatten eines Kreuzes / © Harald Oppitz (KNA)
Schatten eines Kreuzes / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie sagen, dieser Bericht würde sich auf Zahlen und Daten fixieren und ähnele eher dem Geschäftsbericht eines Börsenunternehmens. Wie hätte denn eine angemessene Form so eines Berichts aussehen können?

Johannes Norpoth (Sprecher des Betroffenenbeirats der Deutschen Bischofskonferenz): Wir reden an dieser Stelle nicht über die Aufstellung und die reine Definition oder Darlegung von nackten Zahlen und Daten im Sinne von geleisteten Zahlungen, sondern wir reden in dieser Frage hier über die Anerkennung von Leid, von Schicksalen. Da hätten wir uns vonseiten des Betroffenenrates eine deutlich betroffenensensiblere Sprache gewünscht als das, was uns jetzt vorliegt.

DOMRADIO.DE: Diese Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) ist ja von der Deutschen Bischofskonferenz eingesetzt worden. Ist sie damit auch wirklich unabhängig?

Norpoth: Sie handelt tatsächlich unabhängig, zwar auf Basis der Ordnung, die die Deutsche Bischofskonferenz erlassen und damit zu verantworten hat, aber das eigentliche Handeln dieser Kommission ist tatsächlich losgelöst vom normalen "Geschäftsbetrieb" der Deutschen Bischofskonferenz oder des Sekretariats. Insofern handelt die UKA an sich schon unabhängig. Das entlässt aber die Bischöfe sicherlich nicht aus ihrer Verantwortung, dass sie die Ordnung geschaffen haben und damit verantwortlich sind für die Ergebnisse, die jetzt von der UKA vorgestellt worden sind.

DOMRADIO.DE: 9,4 Millionen Euro haben Missbrauchsopfer in der katholischen Kirche im vergangenen Jahr erhalten. Wie würden Sie diese Summe einordnen?

Norpoth: Auf Basis dieses vorliegenden Berichts lässt sie sich schlicht und ergreifend nicht einordnen oder im tieferen Sinn oder detaillierter bewerten. Es gibt eine offene Zahl, die sagt: Acht Prozent der entschiedenen Fälle oder Vorgänge liegt oberhalb der Maximalsumme, ist also mit einer besonderen Härte festgestellt worden. Hier sind damit Zahlungen oberhalb der Maximalsumme von 50.000 Euro bezahlt worden. Die übrigen 92 Prozent aber, die unterhalb dieser Schwelle sind, da lässt sich überhaupt nicht nichts sagen, wie diese Verteilung stattfindet.

DOMRADIO.DE: 1565 Anträge sind insgesamt bislang bei der Kommission eingegangen. Davon wurden über 949 Anträge entschieden. Das ist eine Differenz, mit der Sie als Sprecher des Betroffenenbeirats wahrscheinlich nicht zufrieden sind.

Norpoth: Eindeutig. Die ersten Monate waren völlig fatal für dieses System und haben auch dazu geführt, dass die UKA in das Kreuzfeuer der Kritik geraten ist. Im Übrigen nicht nur von uns Betroffenen, sondern auch von diözesanen Ansprechpersonen. Von Präventions-, von Interventionsbeauftragten, da hagelte es von allen unterschiedlichen Seiten Kritik, wenngleich – und vielleicht ist das verwunderlich, wenn ein Betroffenenvertreter die UKA an dieser Stelle in Schutz nimmt, auch das eine Frage war, wie vorher die Ausstattung und die Überlegung vonseiten der Bischofskonferenz zur Einrichtung dieser UKA gewesen sind. Man konnte im Grunde absehen, was passiert. Und die UKA dann in eine solche Welle hineinlaufen zu lassen, da kann man schon sagen, das war unverantwortlich.

DOMRADIO.DE: Schauen wir mal auf diese Verfahren, die nötig sind, um Anerkennungsleistungen überhaupt zu bemessen. Wie geht da diese Kommission vor? Ist das Ihrer Meinung nach sensibel, fair und auch irgendwie angemessen?

Norpoth: Wenn ich das sagen könnte. Das ist explizit jetzt keine Kritik an den engagierten Menschen in der UKA. Ich glaube, die bemühen sich und drehen jeden Fall drei bis fünf Mal um. Das Problem ist, dass das kein Mensch sagen kann, weil es eine Blackbox ist. Die eigentliche Entscheidungsfindung in der UKA – ich vergleiche das immer: Dagegen war das Konklave zu Paul VI. eine öffentliche und transparente Veranstaltung.

Das ist eines der wesentlichen Probleme. Das System, das die Bischöfe so angelegt haben, ist quasi eine Blackbox, in die keiner von außen hineinschauen kann. Deshalb wird auch der Bericht der eigentlichen Transparenzforderung und Anforderung in keiner Weise gerecht.

Johannes Norpoth, Sprecher des Betroffenenbeirats der Deutschen Bischofskonferenz

"Die eigentliche Entscheidungsfindung in der UKA – ich vergleiche das immer: Dagegen war das Konklave zu Paul VI. eine öffentliche und transparente Veranstaltung"

DOMRADIO.DE: Sie gehen ja sogar so weit zu sagen, die Bischöfe seien für weitere Traumatisierungen verantwortlich, wenn sie nicht eine Verbesserung dieser Anerkennungsleistungen beschließen, oder?

Norpoth: Ja, eindeutig. Wir stellen fest, dass ein Großteil der Bescheide vonseiten der UKA deutlich unterhalb der 50.000 Euro liegt. Das ergibt sich schon im Durchschnittswert. Wenn Sie die verbleibende Anzahl der Vorgänge durch die jetzt ausgekehrte Summe nehmen, sind Sie glaube ich im Durchschnitt bei 15.000. Ich persönlich gehe davon aus, dass ein großer Anteil der Bescheide auch deutlich unter diesem Wert liegt.

Wenn ich aber dann gleichzeitig ein System mit 50.000 Euro lobpreise – sozusagen, aber die Tatsachen völlig anders liegen, dann muss ich an dieser Stelle schlicht und ergreifend feststellen, dass das, was ich beabsichtigt habe, mit dem System nicht erreicht wird. Und dann führt das auch zu erneuten Traumatisierungen von Betroffenen, die sich über diesen Weg auch eine eigene Anerkennung, eine Anerkennung des Leids und eine Anerkennung von gebrochenen Visionen und von Zukunftsvorstellungen erhofft haben. Und wenn Sie Ihren Antrag dort hineingeben, gegebenenfalls mit erneuter Offenlegung intimster Details und Sie bekommen einen Bescheid, der eine vierstellige Summe ausweist. Was anderes passiert dann als Traumatisierung?

Das Interview führte Michelle Olion.

Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA)

Die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen, kurz UKA, hat die Aufgabe, darüber zu entscheiden, wie viel Geld Missbrauchsopfer in der katholischen Kirche in Anerkennung des ihnen zugefügten Leids erhalten. Dazu nimmt sie Anträge der Betroffenen über die jeweiligen Ansprechpersonen der Bistümer oder Ordensgemeinschaften entgegen, legt eine Leistungshöhe fest und weist die Auszahlung an Betroffene an.

Symbolbild Geld und Kirche / © Grzegorz Zdziarski (shutterstock)
Symbolbild Geld und Kirche / © Grzegorz Zdziarski ( shutterstock )
Quelle:
DR
Mehr zum Thema