Betriebsseelsorger betreut Paketzusteller

"Als Menschen wertschätzen"

In der Diözese Rottenburg-Stuttgart kümmert sich der Betriebsseelsorger Ioan Brstiak um Paketzusteller. Er klärt sie über ihre Rechte auf, was ihnen finanziell zusteht und bittet Empfänger darum, ihnen den Gang zur Toilette anzubieten.

Paketzusteller / © Sebastian Gollnow (dpa)
Paketzusteller / © Sebastian Gollnow ( dpa )

DOMRADIO.DE: Dass der Job als Zusteller hart ist, kann man sich denken. Womit müssen sich die Menschen genau rumschlagen?

Ioan Brstiak, Betriebsseelsorger in der Diözese Rottenburg-Stuttgart  / © Eva Wiedemann (Diözese Rottenburg-Stuttgart)

Ioan Brstiak (Betriebsseelsorger in der Diözese Rottenburg-Stuttgart): Mit sehr langen Arbeitszeiten, Überstunden ohne Ende, auch mit sehr schweren Paketen, die die zu tragen haben und nicht nur vor die Haustür, sondern auch in die Hochhäuser, wo sie dann Treppen zu steigen haben, um das Paket an die Tür zu kriegen. Man bestellt ja, um das Paket bis zur Wohnungstür geliefert zu bekommen und nicht, damit es am Eingang des Wohnhauses liegen gelassen wird.

DOMRADIO.DE: Ein großes Problem ist es, dass die vielen verschiedenen Zusteller nicht alle einem einzigen Betrieb angehören. Sie wollen eine Anlaufstelle für Vernetzung bieten. Wie gehen Sie das an und was hat sich schon getan?

Brstiak: Genau das ist die Problematik, weil wir als Betriebsseelsorger immer im Betrieb sind und die Zusteller immer unterwegs, müssen wir denen hinterherfahren. Die erste Aktion, die wir dieses Jahr durchgeführt haben, hatten wir letzte Woche in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund und ver.di. Wir sind zu den Eingangs- bzw. Ausgangstoren der großen und kleinen Versandhändler gegangen, haben die Fahrer und Fahrerinnen angesprochen, denen Nikoläuse in die Hände gelegt als Dankeschön für ihren Dienst und sind so auch mit ihnen ins Gespräch gekommen. Da haben wir sehr viel erfahren, über deren Arbeitsverhältnisse, Arbeitszeiten, Bezahlung und das ganze Drumherum. Wir versuchen mit denen ins Gespräch zu kommen, indem wir fragen: 'Wie geht es dir? Was kann ich für dich tun?' Als Betrieb, Seelsorger und durch die Vernetzung, die wir mit den vorher genannten Institutionen haben, möchten wir den Zustellern ja auch zur Seite stehen und sie unterstützen.

Ioan Brstiak, Betriebsseelsorger in der Diözese Rottenburg-Stuttgart

"Man sollte sie auch mal fragen, ob sie vielleicht auf Toilette gehen wollen"

DOMRADIO.DE: Ein Job als Zusteller oder Zustellerin ist auch für viele Menschen attraktiv, die nicht aus Deutschland kommen, die aber hier Fuß fassen wollen. Viele nutzen diesen Beruf als ersten Schritt in die Arbeitswelt. Man könnte meinen, dass man als Paketzusteller nicht perfekt Deutsch können muss. Gibt es Probleme mit der Sprache?

Brstiak: 90 Prozent der Zusteller, die wir angesprochen haben, waren keine Deutschen. Die meisten kommen aus Osteuropa, aus Rumänien oder Bulgarien, Kroatien, der Slowakei, Mazedonien und so weiter. Klar, als Zusteller braucht man nicht so viel Deutsch zu können. Es reicht wenn sie Englisch sprechen, weil sie sich damit leichter mit den Arbeitgebern verständigen können. Wenn sie ein Auto fahren und ein Handy bedienen können, um sich einigermaßen zu orientieren dann reicht das. Es ist für die Leute häufig die erste Möglichkeit auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. In diesem Sinne sind sie auch sehr dankbar. Viele wissen aber nicht, dass sie da eigentlich schlimmen Arbeitsbedingungen ausgesetzt werden, und nicht gerecht bezahlt werden, für den Job, den sie machen.

DOMRADIO.DE: Die Betriebs-Seelsorge ist ein Teil der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Spielt Religion bei Ihnen in der Arbeit auch eine Rolle?

Brstiak: Wir fragen die nicht, zu welcher Glaubensgemeinschaft sie gehören. Wir fragen einfach, wie sie als Mensch wertgeschätzt werden und was sie brauchen, um gut zu leben. Wir erklären ihnen auch was ihnen als als Arbeitnehmer zusteht. Religion spielt für uns in diesem Sinne keine Rolle. Wir sind nicht unterwegs, um die Menschen in die  katholische Religion einzuschließen. Wir betreiben religionsübergreifende Seelsorge.

Ioan Brstiak, Betriebsseelsorger in der Diözese Rottenburg-Stuttgart

"Durch die Apps, die sie vom Arbeitgeber bekommen, stehen sie unter ständiger Beobachtung. Wenn sie länger als zwei, drei Minuten irgendwo stehen, werden sie gefragt, was sie da machen"

DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie sich von der anderen Seite der Haustür, also von den Leuten, die die Pakete empfangen.

Brstiak: Puh, ganz vieles. Man sollte nicht unbedingt darauf bestehen, dass ein Paket direkt am Tag nach der Bestellung da sein muss. Wenn man selbst nicht da war und der Bote eine Botschaft hinterlassen hat, die nicht in richtigem Deutsch verfasst war, soll sich keiner beschweren. Man muss sich bewusst machen, dass Leute, die diesen Job für uns übernehmen, nicht direkt die Chance haben, richtig Deutsch zu lernen, weil sie den ganzen Tag unterwegs sind um unsere Pakete auszutragen.

Ich würde mir wünschen, dass wir ein bisschen rücksichtsvoller mit ihnen umgehen wenn wir zu Hause sind, ihnen mit dem gleichen Lächeln begegnen wie sie uns begegnen und ihnen freundlich entgegenkommen. Man sollte sie auch mal fragen, ob sie vielleicht auf Toilette gehen wollen. Sie haben zwar eine halbe Stunde Pause am Tag, aber manche Sachen kann man nicht in dieser halben Stunde erledigen. Durch die Apps, die sie vom Arbeitgeber bekommen, stehen sie unter ständiger Beobachtung. Wenn sie länger als zwei, drei Minuten irgendwo stehen, werden sie gefragt, was sie da machen.

Das Interview führte Michelle Olion.

 

Quelle:
DR