Bei Freiwilligenarbeit rückt zunehmend Nutzenfaktor in den Vordergrund - besonders Jugendliche engagiert

Ehrenamt als Tauschgeschäft

Sie teilen Essen an Bedürftige aus, helfen Müttern bei der Kinderbetreuung, besuchen Senioren im Altenheim oder schrubben Boote bei der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft. Mehr als 23 Millionen Deutsche engagieren sich in ihrer Freizeit ehrenamtlich in Vereinen, Verbänden und Initiativen, Tendenz steigend.

 (DR)

Der altruistische Grundgedanke verliert an Bedeutung
Politiker zeigen sich erfreut über den Trend - gilt doch das Ehrenamt als wichtiger sozialer Kitt für die Gesellschaft. Doch ist es immer weniger die Sorge um das Gemeinwohl, die Ehrenämtler umtreibt und motiviert, wie Experten herausfanden.

"Der altruistische Grundgedanke verliert an Bedeutung. Wer sich engagiert, erwartet heute auch, dass etwas für ihn selbst dabei herauskommt", sagt der Leiter der Freiwilligen-Agentur "Zeitweise" in Bremen, Heinz Janning, der Nachrichtenagentur ddp. "Das Ehrenamt ist zu einem Geschäft geworden.

Die Leute wollen zwar kein Geld, aber einen Nutzen." Janning findet das nach eigenem Bekunden keineswegs bedenklich - man müsse sich bei der Vermittlung von Freiwilligen nur entsprechend darauf einstellen. "Ist doch völlig in Ordnung, wenn beide Seiten etwas davon haben", sagt Janning.

Die Helfer suchen interessante Themenfelder
Diesen Trend bestätigt auch Silke Brauers vom Institut für sozialwissenschaftliche Analysen und Beratung (ISAB) in Köln. Das Institut erstellte im Auftrag des Bundesfamilienministeriums eine Studie zum Ehrenamt in Deutschland. Demnach stieg der Anteil der freiwillig Engagierten ab 14 Jahren zwischen 1999 und 2004 von 34 auf 36 Prozent. Zugleich fanden die Wissenschaftler heraus, dass das Engagement verstärkt mit Eigeninteressen und einer Nutzenorientierung der Ehrenämtler verbunden ist. "Die Helfer suchen interessante Themenfelder, in denen sie sich auch ein bisschen selbst verwirklichen können", sagt Brauers im ddp-Gespräch.

Dies gelte insbesondere für junge Menschen, wobei laut ISAB-Studie gerade die 14- bis 24-Jährigen im Vergleich zu anderen Altersklassen besonders stark freiwillig engagiert sind. Zusätzlich zu den 36 Prozent, die bereits aktiv sind, würden weitere 43 Prozent gerne eine ehrenamtliche Aufgabe übernehmen. Gerade Jugendliche suchten nach Möglichkeiten, wo sie sich sinnvoll einbringen können. "Sie wollen aber zugleich auch Spaß, Anregungen, Kontakt zu Menschen und nicht zuletzt Qualifikation, die für den Arbeitsmarkt nützlich sind," sagte die Wissenschaftlerin.

Wenn Verbände und insbesondere größere Organisationsformen wie Parteien oder Gewerkschaften trotz der steigenden Bereitschaft zu bürgerschaftlichem Engagement über Nachwuchsmangel klagten, hätten sie schlicht den Trend verschlafen, sagt Brauers. Denn gefragt seien heute flexible Strukturen, die den Engagierten eigenen Gestaltungsspielraum böten.

"Spenden Sie Zeit statt Geld"
Das war auch der 21-jährigen Politikstudentin Nina aus München wichtig, als sie nach einer sinnvollen ehrenamtlichen Tätigkeit suchte. Sie wandte sich an die Freiwilligen-Agentur "Tatendrang", die bereits seit 1980 freiwillige Mitarbeiter in mittlerweile rund 300 Institutionen etwa für Flüchtlingshilfe oder in Beratungsstellen vermittelt. Ebenso wie Nina folgten im vergangenen Jahr rund 700 Freiwillige dem Leitspruch der Agentur "Spenden Sie Zeit statt Geld", wie "Tatendrang"-Sprecherin Monika Kempfle sagt. 1998 seien es noch 400 Freiwillige gewesen.

Nina entschied sich für den Besuchsdienst: Seit Oktober geht sie ein- bis zweimal in der Woche mit einer alten Dame spazieren oder Kaffee trinken, die in einem Seniorenheim lebt. "Ich habe eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung gesucht - aber Spaß sollte es auch machen. Die Gespräche mit der alten Dame finde ich sehr bereichernd und interessant", sagte Nina, die als Neu-Münchnerin in der freiwilligen Arbeit zugleich eine Möglichkeit sah, sich in ihrer neuen Heimat fester zu verwurzeln.

Nützlich ist freiwillige Arbeit auch bei der Job-Suche, wie der Personalberater bei Kienbaum, Sergey Frank, sagt. Allerdings sollte man das Ehrenamtes mit Blick auf die Außenwirkung auswählen, rät er. "Wenn jemand im Lebenslauf angibt, im Kaninchenzüchterverein engagiert zu sein, wirkt das spießig und kleinkrämerisch", sagt Frank. Gut mache sich hingegen, wenn ein Bewerber eine Karriere etwa bei einer sozialen Einrichtung nachweisen könne, da dies Schlüsselqualifikationen wie Menschenführung und Organisationsfähigkeit einbringe.