Atomethikkommission tritt erstmals zusammen

Ausstieg mit Augenmaß

Die Erwartungen sind enorm, der Auftrag klingt eher wolkig. An diesem Montag wird die von der Bundesregierung einberufene Ethikkommission "Sichere Energieversorgung" erstmals im Bundeskanzleramt zusammentreffen.

Autor/in:
Christoph Scholz und Joachim Heinz
 (DR)

Nach der Reaktorkatastrophe in Japan ringt die Politik um einen gesellschaftlichen Konsens in der Atompolitik. Diesem Anliegen soll auch der neu berufene Rat dienen.



Mitte Juni will Regierung entscheiden

Die bislang benannten 14 Mitglieder - zwei bis drei weitere Zusagen stehen noch aus - sollen ausloten, wie sich ein Ausstieg aus der Atomenergie "mit Augenmaß" vollziehen lässt. Den Experten unter Vorsitz des ehemaligen Bundesumweltministers Klaus Töpfer (CDU) und des Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Matthias Kleiner, bleibt allerdings wenig Zeit: Die Bundesregierung strebt bereits für Mitte Juni eine Grundsatzentscheidung in Sachen Kernenergie an.



Zudem bemühen sich andere Kräfte bereits, Fakten zu schaffen. Der Energiekonzern RWE reichte als erstes Großunternehmen Klage gegen die vorübergehende Abschaltung eines Atomkraftwerks ein. Sollte der zuständige Verwaltungsgerichtshof in Kassel dieser Klage stattgeben, könnte nicht nur der Meiler Biblis A wieder ans Netz gehen. Damit stünde auch die Linie der Bundesregierung zur Disposition. Sie wollte mit der zunächst auf drei Monate befristeten Stilllegung von sieben alten Atomkraftwerken Zeit für die Neuausrichtung der Energiepolitik gewinnen.



Atom-Befürworter kritisieren Zusammensetzung der Kommission

Druck für die neue Ethikkommission kommt aber auch von politischer Seite. Befürworter der Kernenergie kritisierten die Zusammensetzung des Rates. Doch handelt es sich nicht einfach um ein Zustimmungsgremium der Bundesregierung. Ihm gehört neben dem ehemaligen Erster Bürgermeister von Hamburg, Klaus von Dohnanyi (SPD), auch der Naturwissenschaftler Reinhard Hüttl von der Deutsche Akademie der Technikwissenschaften oder der Münchner Soziologe Ulrich Beck an. Andere Vertreter kommen aus der Wirtschaft, den Gewerkschaften oder den Kirchen.



Dennoch bleibt die Frage, wie die Ethikkommission angesichts der angespannten Atmosphäre und des Zeitdrucks eine offene Diskussion über einen Ausstieg mit Augenmaß führen kann - der zugleich über den engen politischen Horizont hinausweist. Immerhin ist den Teilnehmern das Thema nicht neu. So befassen sich die Kirchen seit Jahrzehnten in immer neuen Stellungnahmen mit der Frage, ob und wenn ja, wie die Nutzung der Kernenergie ethisch vertretbar ist. Einen wesentlichen Aspekt stellt dabei die bisher ungelöste Frage einer Endlagerung des Atommülls dar.



Verantwortungsbewussterer Energieverbrauch

Seit der jüngsten Reaktorkatastrophe in Fukushima mehren sich die Stimmen, die einen möglichst raschen Atomausstieg fordern. Für den evangelischen Vertreter in der Ethikkommission, den badische Landesbischof Ulrich Fischer, stellt sich mit dem Unglück zugleich die Frage nach einem verantwortungsbewussteren Energieverbrauch. Ein Abschalten der deutschen Reaktoren bei gleichzeitiger Nutzung von Atomenergie aus dem Ausland beispielsweise nennt Fischer inkonsequent.



Die katholische Kirche mahnt ebenfalls einen grundlegenden und zügigen Wandel in der Energiepolitik an. Zu Wort gemeldet haben sich in diese Richtung auch die beiden katholischen Teilnehmer der Kommission, der Münchner Kardinal Reinhard Marx sowie der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück. Der CSU-Veteran weiß zugleich, dass es für die politische Arbeit hinter den Kulissen oft einen langen Atem braucht.



Im Interview warnte Glück vor übertriebenen Erwartungen in das neue Gremium. Im Falle eines Atomausstiegs gelte es, viele Faktoren neu zu bedenken, "von der Finanzierung bis zu den Standortentscheidungen für Kraftwerke und neue Stromleitungen". Auch das für Mitte Mai angekündigte Votum der Kommission für Reaktorsicherheit haben die Ethik-Experten in ihrer Beurteilung zu berücksichtigen. Für Glück steht bislang vor allem eines fest: "Eine einfache, problemlose Lösung gibt es nicht."