DOMRADIO.DE: Der Film "The Assessment" zeichnet eine kühle, fast klinische Atmosphäre. Man soll über die Konsequenzen einer vollständig durchregulierten Zukunft nachdenken. Ist das überhaupt angebracht?

Prof. Dr. Dr. Jochen Sautermeister (Moralteheologe der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn): Ich bin sehr skeptisch. Aus der Theologie und dem Glauben heraus muss man sagen, dass wir Menschen endlich sind, dass wir nicht alles kontrollieren können. Das wird immer so bleiben, das gehört zum Menschsein dazu. Alle Versuche, völlige Kontrolle zu erreichen, sind zum Scheitern verurteilt. Wir kennen Bemühungen in der Geschichte, die sind alle ungut ausgekommen. Vielmehr stellt sich die Frage, was uns dabei hilft, mit unserer Endlichkeit gut leben zu können.
DOMRADIO.DE: Der Film stellt viele ethische Fragen. Zum Beispiel, ob wir besser darauf vorbereitet sein sollten, Kinder aufzuziehen. Stichwort Eltern-Eignungsprüfung. Halten Sie das für abwegig?
Sautermeister: Das wäre ein großer Eingriff. Beim Eingriff in die Rechte von Eltern bin ich absolut zurückhaltend. Das würde ich in keiner Weise befürworten. Dahinter steckt aber eine Intuition, die ich sehr wichtig finde: Eltern haben Verantwortung für ihre Kinder. Verantwortung bedeutet, die bestmöglichen Bedingungen zu schaffen, dass man gut aufwachsen kann.
Kinder sind also nicht etwas, das nebenher läuft. Das ist ohnehin klar. In der theologischen Ethik haben wir den Begriff der verantworteten Elternschaft, um darauf hinzuweisen, dass es etwas Entscheidendes ist.
DOMRADIO.DE: Was zeichnet diese Verantwortung aus, die man für die Kinder hat?
Sautermeister: Ich nenne mehrere Beispiele: Es ist wichtig, dass Kinder ein hinreichendes Maß an Zuwendung bekommen. Das heißt, dass die Kinder wahrgenommen werden mit Bedürfnissen, Wünschen und Interessen. Es setzt aber auch voraus, dass es darum geht, Grenzen zu setzen und Orientierungspunkte zu geben. Damit das Kind sieht, woran es sich entwickeln kann und was Maßstäbe sind, an denen es sich orientieren soll.
Es bedeutet auch, dafür zu sorgen, dass Kinder geachtet werden, dass sie nicht verletzt werden im Sinne von Übergriffigkeiten oder emotionaler Gewalt und Vernachlässigungen. Das sind alles verschiedene Punkte. Man könnte zusammenfassen: hinreichend zugewandt, aber nicht übervorsichtig oder überbehütend. Sonst ist man auch nicht für das Leben gewappnet.
DOMRADIO.DE: Wo liegen die ethischen Grenzen staatlicher Eingriffe in die Familienplanung?
Sautermeister: Es gibt grundsätzliche Freiheitsrechte. Wir haben von den Grundrechten her das Recht, zu entscheiden, ob überhaupt Kinder, die Anzahl der Kinder und zu welchem Zeitpunkt. Das sind alles grundlegende Rechte, Abwehrrechte, die wir als Menschenrechte haben, sodass hier der Staat keinerlei Eingriffsrechte hat. Aus der Zeit des Nationalsozialismus weiß man, was für schreckliche Folgen es hat, wenn ein Staat hier eingreift.
DOMRADIO.DE: Wie hat Ihnen der Film selber gefallen?
Sautermeister: Es war ein Film, der zum Nachdenken angeregt hat. Aber auch ein Film, der eine sehr düstere, beklemmende Atmosphäre hat, fast wie ein Kammerspiel oder eine Dystopie. Eine Vorstellung, von der ich sagen würde, dass ich in so einer Welt nicht leben will.
Ein wenig verwundert hat mich, wie dieses Ehepaar die eigene Beziehung und die eigenen Werte aufs Spiel gesetzt und aufgegeben hat, nur um unter allen Umständen den Kinderwunsch zu realisieren. Da habe ich mir gedacht, dass ein Kind um jeden Preis zu viel ist.
DOMRADIO.DE: Heute Abend wird der Film in der Kölner Hochschulgemeinde gezeigt, danach gibt es den Talk der Studierenden, die dort sind, unter anderem mit Ihnen. Was erwarten Sie von diesem Abend?
Sautermeister: Ich erwarte einen spannenden Abend, weil es um grundsätzliche Fragen geht: Gibt es ein Recht, darüber zu entscheiden, ob man Kinder bekommen kann oder nicht? Im Film steckt auch die Frage, ob wir Menschen unser Leben überhaupt so verbessern können, dass wir alles Leid verhindern. Der Film zeigt, dass es nicht möglich ist, weil wir da vom Regen in die Traufe kommen.
Das Interview führte Carsten Döpp.