Mit 24 Jahren ins Kloster

Annika Zöll: "In jeder Minute ist eine Schwester von uns da"

Bald beginnt Annika Zöll ihr Noviziat bei den Franziskanerinnen in Olpe. Der Lockdown hat für sie den Sprung ins kalte Wasser bedeutet. Doch die Arbeit mit ihren Mitschwestern gibt ihr auch Hoffnung in Zeiten von Corona.

Annika Zöll (privat)

Himmelklar: Sie sind Postulantin, leben seit November letzten Jahres bei den Franziskanerschwestern, das heißt, Sie haben den Lockdown rund um Corona dort mitbekommen. Wie war das für Sie?

Annika Zöll (beginnt in zwei Wochen ihr Noviziat bei den Franziskanerinnen in Olpe): Ich bin Postulantin und bei uns ist das Postulat etwas anders gestaltet. Ich habe ganz normal in meinem Job gearbeitet und bin quasi nur umgezogen, habe meinen Wohnort gewechselt, um mich so langsam in so eine Gemeinschaft hineinzuleben. Und für mich war dann durch den Lockdown quasi von heute auf morgen Gemeinschaft 24/7. Eigentlich ist ein Postulat bei uns so geplant: Man wohnt gemeinsam, man lernt sich kennen und arbeitet aber ganz normal in seinem Job weiter.

Das ging dann ja im Lockdown wie für viele andere für mich eben auch nicht, sodass für mich plötzlich ein – wir haben immer witzig gesagt – kanonisches Postulat begonnen hat. Das, was eigentlich erst im ersten Jahr des Noviziates kommen soll, dass man zu Hause ist, die Gemeinschaft wirklich 24/7 hat und sich mal intensiv damit auseinandersetzt, ob man wirklich so leben möchte oder nicht. Das kam dann von heut auf morgen für mich schon im Postulat.

Himmelklar: Was arbeiten Sie denn? Was ist der Beruf, den Sie dann erst einmal nicht mehr ausüben konnten?

Zöll: Ich habe Theologie studiert und bin damit im Frühjahr fertig geworden und arbeite auch an der Uni in Bonn. Dort habe ich ein Seminar gegeben und bin sonst in die Bibliothek gegangen und hab da an meiner Promotion gearbeitet, die jetzt angestanden hat. Das ging alles nicht mehr, weil Bibliotheken zu waren, die Uni sowieso, und wir uns dann auf Online-Lehre umgestellt haben. Ich konnte zwar trotzdem noch arbeiten, aber von zu Hause aus.

Himmelklar: Jetzt ist es nicht mehr lange: Am 11. August werden sie Ordensschwester samt Ordenstracht und beginnen Ihr Noviziat. Das fällt auch in diese Zeit. Hat das Auswirkungen? Ist dadurch irgendetwas anders?

Zöll: Die Einkleidung, hatten wir uns überlegt, wollten wir gerne groß feiern, weil das so der Moment ist, wo für alle anderen auch eine sichtbare Veränderung eintritt. Es gibt da ganz unterschiedliche Traditionen in verschiedenen Ordensgemeinschaften. Weil wir das Postulat nur ganz, ganz klein gefeiert haben – da waren nur meine Familie und zwei meiner besten Freunde da – wollten wir die Einkleidung gerne groß feiern mit allen Menschen, die kommen möchten, um das einfach mitzuerleben. Denn nach außen hin ändert sich mein Name, meine Klamotten ändern sich doch ziemlich radikal. Und es ist das letzte Mal für ein Jahr, wo man mich einfach mal eben so nett besuchen kann.

Das war schade, als dann absehbar war, dass auch bis zum 11. August große Feiern nicht ohne Einschränkung möglich sind. Jetzt sind wir fröhlich dabei, ein Konzept auszuarbeiten, wie möglichst viele Menschen doch kommen können, um den Tag mit uns zu feiern, ohne dass wir da meine älteren Mitschwestern gefährden und so, dass wir uns auch an alle Hygiene- und Abstandsregeln halten können.

Himmelklar: Wie klappt das denn grundsätzlich? Die drei Mitschwestern, mit denen Sie zusammenleben, sind deutlich älter – gehören vielleicht auch zur Risikogruppe.

Zöll: Genau. Das war es auch, was mich dann von meinen Kommilitonen an der Uni sehr unterschieden hat in den Hochzeiten von Corona. Viele von denen haben keinen Kontakt zu Risikogruppen. Dann kann man sich nochmal etwas anders verhalten. Man kann dann mal Bahn fahren und muss sich nicht Gedanken machen, was man genau angepackt hat. Ich habe eben gerade nur Menschen in der Risikogruppe um mich herum.

Alle meine Mitschwestern gehören zur Risikogruppe. Und dann hab ich für mich gemerkt, dass man da noch mal eine ganz andere Verantwortung trägt. Für mich ist deswegen der Lockdown nochmal deutlich ernsthafter ausgefallen als vielleicht für andere in meinem Alter.

Himmelklar: In zwei Wochen bekommen Sie dann auch einen anderen Namen, also einen Ordensnamen. Dürfen oder wollen Sie uns den schon verraten?

Zöll: Ich kenne ihn tatsächlich schon, verraten darf und will ich ihn noch nicht. Das ist so eine nette Überraschung, die es in dieser Zeremonie der Einkleidung gibt. Es ist eine Vesper und ich bekomme den Habit und den Schleier überreicht. Der wird gesegnet. Ich bekomme ein Gebetbuch überreicht, das Stundenbuch. Und unter anderem, nachdem ich mich dann umgezogen habe und augenscheinlich schon fertig bin, bekomme ich von unserer Provinzoberin den neuen Namen verliehen.

Bis dahin kennt den auch niemand außer mir, dieser Provinzoberin und meiner Novizenmeisterin. Von daher ist es dann eine große Überraschung für alle anderen. Deswegen kann ich ihn leider nicht verraten.

Himmelklar: Spannend! Sie können sich zwar jetzt schon einmal ein bisschen darauf vorbereiten, dass Sie demnächst so genannt werden. Aber alle anderen wissen es noch nicht … Es ist ja schon ein großer Schritt, ein deutlicher Schritt in Ihrem Leben. Vielleicht annährend vergleichbar mit der Entscheidung, zu heiraten. Sie haben sich dazu entschieden, in den Orden einzutreten und die Möglichkeit, eine Familie zu gründen, Mutter zu werden, hinter sich zu lassen – und das mit 24 Jahren! Wie groß war oder ist da die Unsicherheit?

Zöll: Also, das hab ich mir ja nicht vorgestern überlegt, sondern das ist so ein Prozess, wo ich sagen würde, dass ich dafür schon sechs Jahre gebraucht habe. Die Überlegungen, wirklich Ordensfrau zu werden, mit all den Konsequenzen, die habe ich, glaub ich, in Ruhe bedacht. Und von daher freue ich mich einfach darauf, den Schritt zu machen.

Natürlich sind es noch zwei Wochen, in denen man dasitzt – das kann, glaube ich, jeder verstehen – und sich fragt, ob es wirklich die richtige Entscheidung war. Geht es wirklich gut? Aber dann ist es ganz entspannt, sich zu überlegen: Es ist ja nicht für immer. Jetzt verspreche ich noch nichts, sondern es ist einfach ein Hineinwachsen und Ausprobieren. Frühestens in sieben Jahren lege ich das ewige Gelübde ab, wo es dann vergleichbar wäre mit einer Hochzeit, wo es dann wirklich um "für immer" geht.

Jetzt empfinde ich das zwar als wichtigen Schritt und auch als verbindlich, aber es ist nicht unumkehrbar. Und es erwartet auch niemand, wenn ich mich einkleiden lasse in zwei Wochen, dass ich dann in 50 Jahren noch genau am gleichen Fleck stehe.

Himmelklar: Wie ist es denn in Ihrer Familie aufgenommen worden, dass Sie sich dazu entschieden haben?

Zöll: Das ist ganz unterschiedlich. Ich habe es damals zuerst meiner Mutter erzählt, als ich dann wusste, ich muss es jetzt wirklich mal langsam öffentlich machen. Ich habe das ganz wunderbar jahrelang verheimlicht, dass ich mit dem Gedanken spiele und habe es dann eben erst meiner Mutter erzählt. Die hat sich sehr gefreut und hat auch gesagt: "Annika, also eine Überraschung ist es jetzt nicht wirklich. Man konnte es sich schon denken, wenn man dir zuhört, wenn man weiß, wo du jede zweite Woche hinfährst."

Himmelklar: … wohin sind Sie denn alle zwei Wochen gefahren?

Zöll: Jahrelang bin ich hier nach Olpe gefahren zu meinen Schwestern und war hier immer mal für ein Wochenende zum Mitleben. Und das haben Freunde und Eltern auch mitgekriegt. Und dann haben sie gesagt, dass es nicht so verwunderlich war, wenn man da schon die ganze Zeit verbringt und immer so viel aus Olpe erzählt. Dann verwundert es nicht, dass man da vielleicht doch auch hin will.

Für meinen Vater war es ein bisschen schwieriger. Den hab ich, glaube ich, tatsächlich überrascht und ein bisschen überrollt. Der hat aber auch nichts Negatives gesagt, sondern erstmal geschwiegen. Er hat ein bisschen Zeit gebraucht, um sich mit dem Gedanken anzufreunden. Und mittlerweile sagt er mir aber auch: "Annika, das ist genau richtig, mach es ruhig, wenn es dir da gut geht". Und ich glaube, er merkt auch, dass es mir hier gut geht.

Dann habe ich noch zwei jüngere Schwestern, die auch überrascht waren. Da waren die Reaktionen auch ganz unterschiedlich. Nachvollziehen können sie es beide nicht. Die ältere von den beiden hat dann aber nach zwei Wochen beschlossen: Wenn es das Richtige ist, dann unterstütze ich das. Die hat auch kein Problem herzukommen und mal nachzufragen: "Was machen deine Mitschwestern?", oder das ihren eigenen Kommilitonen zu erklären – obwohl das immer kompliziert ist. Für die jüngste Schwester war das schwieriger und ist es auch noch schwieriger. Nachvollziehen kann sie es nicht, und das ist einfach etwas, womit sie sich noch ein bisschen anfreunden muss. Aber auch da kamen nie richtig negative Reaktionen. Da hatte ich Glück.

Die findet man dann im Freundes- und Bekanntenkreis. Da kriegt man alle möglichen Sachen an den Kopf gehauen: "Du bist aber dumm.", "Wir dachten, du bist intelligent und eine selbstständige junge Frau." Und: "Wofür hast du denn studiert?" Das kriegt man schon zu hören. Aber ich habe eben das Glück, das in meinem engen Freundes- und Familienkreis nicht zu haben.

Himmelklar: Wenn man sich an den Gedanken gewöhnt, dass Sie nicht eine Familie gründen werden, sondern jetzt in Kürze in den Orden eintreten – da kommen in der Familie bestimmt auch Themen auf wie für Ihre Eltern zum Beispiel das Großelternwerden. Das bedeutet, sie zählen da auf Ihre Schwestern?

Zöll: Ich habe den Luxus, dass ich die Älteste bin und da ja noch zwei hinterher sind, die das dann erfüllen können. Und die freuen sich auch darauf. Die wollen beide irgendwann mal Familien gründen. Deswegen war das jetzt zumindest nie ein Thema, was meine Eltern mir gegenüber angesprochen haben. Was viel kommt, ist die Frage: "Willst du denn nicht irgendwann mal Mutter werden?" Und da kann ich sagen: "Nein, möchte ich tatsächlich nicht, wollte ich noch nie. Ich bin so zufrieden, als Single zu leben."

Himmelklar: Als Ordensschwester für die Welt, möglicherweise sogar für konkrete Menschen zu beten, ist eine der Aufgaben. In solch einer Pandemie vielleicht noch einmal präsenter. Fühlen Sie sich als Stellvertreterin, die für uns alle zu Gott betet?

Zöll: Das ist auf jeden Fall ein Dienst, den ich und meine Mitschwestern sehr gerne übernehmen, und da hab ich immer das Gefühl, dass das besonders für die Menschen, die diese Anliegen haben, eine tolle Zusage ist. Wir sind Franziskanerinnen aus Olpe und haben noch diesen Beinamen "von der ewigen Anbetung". Das heißt, alle 24 Stunden eines Tages betet eine Olper Franziskanerin in den Anliegen der Menschen, der Welt vor dem Allerheiligsten.

Und das ist für mich etwas total Schönes, weil es gerade auch in dieser Pandemie eine tolle Zusage ist, die ich, die meine Mitschwestern geben können. In jeder Minute, in jeder Stunde dieses Tages ist immer eine Schwester von uns da, die in euren, in unseren Anliegen betet.

Himmelklar: Ist denn für Sie, Ordensschwester zu sein, das Höchste, das Sie als Frau in der katholischen Kirche erreichen möchten?

Zöll: Für mich ist Ordensschwester jetzt kein Amt, was ich inne habe oder kein Aufstieg vom Laien zur Ordensfrau. Ordensleute gehören genauso dem Laienstand an wie alle anderen Laien. Für mich ist es eher eine Lebensform. Ich werde nicht Ordensfrau, weil ich keine Priesterin werden kann. Ich habe mich aber schon bewusst dazu entschieden, gerade keine Pastoralreferentin zu werden, weil ich mit den Strukturen in der katholischen Kirche nicht so glücklich bin. Aber das ist für mich kein Ersatz für ein Amt, das ich vielleicht nicht innehaben kann.

Himmelklar: … "nicht so glücklich" bedeutet, aus Ihrer Sicht wäre es eigentlich zeitgemäß, dass Frauen auch Ämter in der katholischen Kirche belegen können?

Zöll: Auf jeden Fall. Mich würde es sehr freuen, wenn man darüber offener sprechen könnte, gerade auch mit Inhabern von Kirchenämtern. Ich bin, wie gesagt, Theologin. Und da wird viel diskutiert, da wird viel besprochen und viel überlegt. Ich wäre froh, wenn man das Ganze auf eine andere Ebene heben könnte, ohne das Vorzeichen immer schon zu kennen, dass das alles sowieso nie möglich ist und schon gar nicht gewollt.

Himmelklar: Wäre es Ihr Wunsch, dass das bald möglich wird? Auch wenn sich die katholische Kirche langsam bewegt, vielleicht auch bereits durch den Synodalen Weg?

Zöll: Ich hoffe auf jeden Fall, dass der Synodale Weg ein Forum bietet, über diese Themen zu sprechen und diese Offenheit, die ich gerade erwähnt habe, vielleicht ermöglichen kann – weil hier tatsächlich Vertreter aller Lager, also von ganz liberal bis ganz konservativ, der deutschen katholischen Kirche zusammensitzen. Und das ist schon schwierig. Also, wo findet man irgendwo sonst einen Ort, wo sich alle Parteien darauf geeinigt haben, zusammen zu diskutieren?

Ich glaube, das ist ein großer Gewinn, wenn man sich diese Offenheit erhalten kann, wenn man da reingehen kann und beschließt, man hört sich gegenseitig zu, und keine dieser Positionen wird von Anfang an verurteilt.

Himmelklar: Wir fragen unsere Gäste im „Himmelklar“-Podcast ja traditionell, was ihnen Hoffnung bringt. Was gibt Ihnen Hoffnung in einer solchen Zeit?

Zöll: Mir gibt vor allem Hoffnung, dass es Menschen gibt, die nicht nur für sich alleine leben. Das fällt gerade in Krisenzeiten immer auf. Menschen, die sich einsetzen für die Leute in ihrer Umgebung und das vor allem auch genährt aus dem christlichen Glauben. Das gibt mir Hoffnung.

Das Interview führte Katharina Geiger.

Das Interview ist Teil des Podcasts Himmelklar – ein überdiözesanes Podcast-Projekt koordiniert von der MD GmbH in Zusammenarbeit mit katholisch.de und DOMRADIO.DE. Unterstützt vom Katholischen Medienhaus in Bonn und der APG mbH. Moderiert von Renardo Schlegelmilch und Katharina Geiger.


Quelle:
DR