Christen-Flanke bei den "Querdenkern"

Anfälligkeit nicht nur in den "bible belts"

Auf den "Querdenker"-Demos laufen auch Christen mit. Es ist eine bestimmte Klientel, die sich auch bei Pegida und Afd-Demos findet. Wo sind die Anknüpfungspunkte und wer ist besonders "anfällig"?

Autor/in:
Karin Wollschläger
Zwei Teilnehmer einer Demonstration gegen die Corona-Einschränkungen / © Fabian Sommer (dpa)
Zwei Teilnehmer einer Demonstration gegen die Corona-Einschränkungen / © Fabian Sommer ( dpa )

Auf immer mehr "Querdenker"-Demos tauchen auch religiöse Symbole auf. Hölzerne Kruzifixe oder Rosenkränze, die in die Höhe gereckt werden und als Fernsehbild der Demo einen "Kreuzzug"-Anstrich geben.

In München versuchten die Initiatoren einer "Querdenker"-Demo auf der Theresienwiese, nachdem die genehmigte Teilnehmerzahl überschritten wurde, das Ganze als "Gottesdienst" unter freiem Himmel umzudeklarieren. Kirchenvertreter kritisierten all das. Doch schon auf Pegida- und AfD-Demos fand sich regelmäßig auch eine bestimmte christliche Klientel. Das Ganze lässt sich inzwischen regional wie ideologisch recht gut verorten.

Entscheidend ist das Bibelverständnis

Der Leipziger Religionssoziologe Gert Pickel beschäftigt sich seit Längerem mit dem Phänomen: "Die empirischen Studien zeigen, dass die Christen, die sehr fundamentalistisch denken und eine sehr konservative Weltanschauung haben, besonders anfällig für die Querdenker-Bewegung sind."

Das hänge damit zusammen, dass dort eben auch bestimmte moderne gesellschaftliche Entwicklungen abgelehnt werden. "Entscheidend ist das Bibelverständnis, wenn dies quasi fundamentalistisch ist, dann kommen Verschwörungstheorien, Migrationsablehnung und vor allem die Ablehnung aller anderen Geschlechtsidentitäten jenseits der heterosexuell-männlich dominierten auf." Hier komme es zum Schulterschluss mit Rechtspopulisten.

Blickt man auf die Deutschlandkarte, lassen sich bestimmte Landstriche ausmachen, in denen diese Auffassungen besonders vertreten sind: Im Stuttgarter Umland und im sächsischen Erzgebirge.

Deutsche "bible belts"

Der Historiker und Politikwissenschaftler Michael Lühmann spricht von den deutschen "bible belts". Er forscht an der Uni Göttingen über die Netzwerke konservativer Christen und der Neuen Rechten entlang dieser evangelikal-pietistisch geprägten Regionen.

Obwohl die ehemalige DDR alles Kirchliche geschleift hatte, habe sich ein sehr aktives konservativ-protestantisches Gemeindeleben vor allem in Ostsachsen und dem Erzgebirge bewahrt, erläuterte Lühmann unlängst auf "Spiegel online". "Die Kirchen sind hier immer noch sehr gut gefüllt und ein bedeutender gesellschaftlicher Akteur." Und auch Stuttgart sei eingebettet in einen historisch gewachsenen Pietismus.

"Bibeltreue" gilt hier als Schlagwort und Charakteristikum. "Doch der Weg von evangelikaler Bibeltreue zum evangelikalen Fundamentalismus ist bisweilen ein sehr kurzer", so Lühmann.

Katholiken wie Protestanten betroffen

Pickel betonte indes, dass das Phänomen an sich Katholiken wie Protestanten in gleichem Maße betreffe: "Dass hat damit zu tun, das es Personen mit einer eher dogmatischen Vorstellung, die etwa Homosexualität, Gender und Sexualunterricht ablehnen und ein radikales Abtreibungsverbot befürworten, in beiden Kirchen gibt. Die gibt es übrigens auch in der muslimischen Glaubensgemeinschaft." In den von Lühmann genannten Gebieten gebe es in der Tat ein gehäuftes Auftreten, jedoch ließe sich das Phänomen nicht nur auf diese Regionen eingrenzen.

Papst Franziskus positioniert sich in seinem Anfang Dezember erscheinenden Buch "Wage zu träumen" klar: "Einige Proteste während der Corona-Krise haben einen zornigen Opfergeist gezeigt, aber in diesem Fall bei Menschen, die nur in ihrer eigenen Vorstellung Opfer sind: diejenigen etwa, die zum Beispiel behaupten, dass das Tragen von Masken eine nicht gerechtfertigte Zumutung durch den Staat sei.

Sie vergessen oder ignorieren dabei diejenigen, die sich nicht auf eine Sozial- oder Gesundheitsversicherung verlassen können oder die ihre Arbeit verloren haben."

Anstoß für katholische "Querdenker"?

Müsste dies den katholischen "Querdenkern" nicht zu denken geben? Teils, teils, sagt Pickel: "Es gibt sicher Personen, bei denen das eine deutliche Irritation auslöst, weil sie glauben, etwas zu vertreten, das auch ihre Glaubensgemeinschaft vertritt." Anderen wiederum würden die Papstworte nicht viel ausmachen: "Weil sie davon ausgehen, dass die katholische Kirche und auch der Papst mittlerweile selbst die Werte der Kirche verleugnet, wenn er in eine Modernisierungsrichtung geht." Zudem "bauen" sich Verschwörungstheoretiker ihre Welt immer passend, so Pickel: "Die würden vielleicht sagen: Der arme Papst aus Rom kann gar nicht wirklich sehen, was hier schlimmes getan wird."

Die großen Querdenker-Demos kämen den Christen, die Anstoß an gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen nähmen, zudem zupass, so Pickel, weil sie sich über diese Schiene eine bundesweite Wahrnehmung und Resonanz für ihre Ansichten erhoffen. Umgekehrt benutzten die rechtsextremen Truppenteile der Querdenker die christlichen gezielt, um sich den Anstrich des Bürgerlichen zu geben.


Quelle:
KNA
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