Giordana Masotto greift ihren Gast direkt am Ellbogen und zieht ihn von einer Ecke des Bücherladens in die andere. Fragen sind überflüssig, es sprudelt nur so aus der 78-Jährigen heraus. "Hier unten", sagt sie und deutet auf eine schwarze Metall-Wendeltreppe, die in den Keller führt, "lagert unser Schatz". Es ist ein umfangreiches Archiv feministischer Literatur. Was dort stehe, sagt Giordana, sei sehr gefragt, "zum Beispiel für Universitätsarbeiten, Dissertationen und sonstige Forschung".
Wieder aufgetaucht aus dem mit Büchern und Ordnern vollgestopften Untergeschoss sitzen Giordana und weitere Frauen in einem Sitzkreis aus gemütlichen Sesseln und Sofas und erzählen die Geschichte dieses Ortes von Anfang an. Vor 50 Jahren haben 15 Frauen in Mailand die Libreria delle donne gegründet - die erste Frauenbuchhandlung Italiens. Eröffnung war am 15. Oktober 1975.
"Nur Bücher von Frauen"
Die Inspiration dazu kam aus Paris. Bei einem Urlaub in der Normandie hatte Giordana von der Frauenbuchhandlung Librairie des femmes erfahren, die kurz zuvor in der französischen Hauptstadt eröffnet hatte. "Und wir dachten uns: was für eine schöne Idee. Warum machen wir das nicht auch?" So wurde angefangen zu planen, einen Ort zu suchen, einen Laden, zentral an der Straße, der für jeden offen ist, der hereinkommen möchte.
"Wir haben die politische Entscheidung getroffen, nur Bücher von Frauen zu führen", erklärt Giordana, sei es Belletristik, Lyrik oder Sachliteratur. Heute gibt es allerdings zusätzlich ein kleines Fach von etwa einem Meter Länge - hier stehen die "Amici delle donne" - die Freunde der Frauen. Also männliche Autoren, die auch für die Gleichberechtigung kämpfen.
Eine ganz andere Denkweise
Von Anfang an entschieden die Betreiberinnen der Buchhandlung alles als Gemeinschaft. Welche Bücher wählen wir aus? Wie sortieren wir sie in die Regale? Gerade in den 1970er Jahren sei das in einer Stimmung geschehen, in der jedes kleinste Detail debattiert wurde - eine Mammutaufgabe, erzählt Giordana. "Monatelang haben wir über nahezu alles diskutiert, bis wir irgendwann gesagt haben: Basta! Wir müssen auch mal eröffnen und weitermachen." Das gemeinsame Entscheiden haben die Frauen der Libreria delle donne aber beibehalten. Bis heute wird sie in der Struktur einer Genossenschaft geführt.
Fosca Giovanelli ist mit ihren 21 Jahren die jüngste in der Runde an diesem Tag. "Ich hab die Libreria als Kind kennengelernt, mit zehn habe ich hier an einem Workshop mit der Philosophin Luisa Muraro teilgenommen", erzählt sie. Sie habe dort eine ganz andere Denkweise kennengelernt als die, die sie sonst, vor allem in der Schule, vermittelt bekommen habe. Es folgte ein Kurs zum politischen Schreiben und so blieb sie der Libreria treu. Seit etwas mehr als einem Jahr ist Fosca Giovanelli nun selbst Mitglied und Teil der Redaktion, die die Website betreut.
Verkörperung einer Idee
"Ich habe mich hier von Anfang an wohlgefühlt", sagt Fosca. Auch an der Uni - sie studiert in Verona Philosophie - fühle sie sich nicht so aufgehoben wie bei den Frauen hier. "In den politischen Bewegungen dort ist alles sehr polarisiert", findet sie. "Wenn man da nicht 100-prozentig dieselben Gedanken hat oder einfach mal etwas Abwegiges zur Diskussion in den Raum stellt, wird man direkt ausgeschlossen." Sie zieht einen Vergleich zur Art der Polarisierung, wie sie in sozialen Medien oft entstehe. "Aber ich stelle mir nun mal Fragen und hinterfrage - auch mich selbst."
Hier in der Libreria würden ihre Zweifel, ihre Gedanken und auch ihre Wünsche einfach respektiert. Für Fosca verkörpert die Buchhandlung die Idee, sich wirklich um eine andere Person zu kümmern. Am Anfang sei sie schon etwas eingeschüchtert gewesen von den älteren Frauen, die auch im Debattieren so viel mehr Erfahrung hätten als sie, gesteht sie ein. "Aber wir sind eben nicht alle gleich."
Mehr als ein Ort zum Bücherkaufen
Während der zweiten Welle der Frauenbewegung wurde die Buchhandlung, damals noch in der Via Dogana zentral am Mailänder Dom gelegen, in den 1970er und 1980er Jahren zu einem Fixpunkt für die feministische Strömung des Differenzfeminismus. Darin steht der Unterschied zwischen Männern und Frauen im Fokus: Die Integration in ein männliches System wird nicht als Lösung der Ungleichbehandlung angesehen.
Die Entscheidung der Libreria, nahezu ausschließlich Bücher von Frauen zu verkaufen, gelte "als subversive Geste, die darauf abzielt, kulturell marginalisierte Frauenstimmen hervorzuheben und zu stärken", schreibt die Politikwissenschaftlerin Chiara Martucci in einem Buch über die Frauenbuchhandlung. Die Libreria delle donne sei seit den 1980er Jahren dank ihrer theoretisch-praktischen Tätigkeit, aber auch dank der Produktion von Zeitschriften, dem Verlegen eigener Bücher und den organisierten Veranstaltungen zu einem wichtigen Bezugspunkt für den italienischen und internationalen Feminismus geworden.
Auch an der aktuellen Adresse in der Via Pietro Calvi, wo sie sich nun auch schon seit einem Vierteljahrhundert befindet, bleibt die Libreria delle donne mehr als nur ein Ort zum Bücherkaufen. Es ist ein Zusammenschluss von Frauen, die etwas bewegen wollen.