500 Millionen Dollar Nothilfe nötig - Bode fordert neue Politik des Westens

Von Hunger und wachsendem Wohlstand

Gekocht, gebraten oder gebacken - fast kein Essen kommt in Asien ohne Reis aus. Doch es gibt immer weniger davon und die Preise explodieren. "Es gibt eine weltweite Nahrungskrise", sagen Experten der Vereinten Nationen. Die Weltbank hat ein internationales Vorgehen gegen die steigenden Lebensmittelpreise und den Hunger gefordert. Wesentlich Ursache für die jetzige Eskalation sei, dass in den USA etwa die Hälfte der Maisernte für Biosprit verwendet wird, kritisiert Thilo Bode von foodwatch im domradio Interview.

 (DR)

Der Sturz der Regierung in Haiti nach Protesten gegen gestiegene Lebensmittelpreise hat gezeigt, was passieren kann, wenn die Staaten jetzt nicht handeln. Auch in Bangladesch und der Krisenregion Afghanistan wird viel Reis exportiert. Diese Länder, ohnehin gebeutelt, leiden besonders unter den steigenden Preisen.

In den vergangenen Monaten haben Missernten und schlechtes Wetter die Reispreise weltweit steigen lassen. Die Tonne wird jetzt für rund 1.000 Dollar gehandelt: Das sind 70 Prozent mehr als vor einem Jahr. Reis ist so teuer wie seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr. "Die Preise werden weiter steigen, weil die Nachfrage das Angebot übersteigt", prognostiziert das Internationale Reisforschungsinstitut in Manila. Selbst die WHO muss Schulspeisungen aussetzen; das Geld reicht nicht mehr.

Es trifft vor allem die Ärmsten der Armen: Menschen, die von weniger als einem US-Dollar am Tag leben müssen, geben laut UN-Welternährungsprogramm mehr als zwei Drittel ihres Einkommens für Essen aus. Ihnen bleibt bei steigenden Preisen kaum etwas anders übrig, als zu hungern.

Mörderische Handelspolitik
Geld kann natürlich kurzfristig helfen, kommentiert Thilo Bode, Gründer der Verbraucherorganisation foodwatch, die Maßnahmen der Weltbank. Langfristig müssten aber die Fehler in der Entwicklungshilfe- und Agrarpolitik der reichen Länder behoben werden. Es wäre fatal, wenn man jetzt die Strategie der vergangenen Jahrzehnte weiterführen würde. Mit Nahrungsmittel- und Entwicklungshilfe greife man das Übel nicht an der Wurzel, so Bode im domradio.

Die Agrarsubventionen des Westens und falsch verwendete Entwicklungshilfe hätten die Preise bis vor Kurzem soweit gedrückt, dass es für die Bauern in der dritten Welt nicht genug Anreiz gab, Getreide anzubauen, erläutert Thilo Bode. Für die kleinen Bauern wären die steigenden Preise daher nicht nur schlecht.

Die Industrienationen "müssen mit der Praxis der verbilligten Lebensmittel aufhören", fordert Thilo Bode. Außerdem müssen wir, so Bode, "natürlich mit dem Unsinn Schluss machen, dass wir die Nahrungsmittelproduktion dafür verwenden, dass wir unsere Autotanks füllen."

Klimaschutz und Klimawandel
Die Ursachen für die Krise sind vielfältig. Der steigende Anteil an Agrotreibstoffen ist eine Ursache, Dürre und Überschwemmungen in einigen Teilen der Welt eine andere. Im armen Bangladesch hat im November ein verheerender Zyklon rund drei Millionen Tonnen Getreide vernichtet. In Australien ist durch die Dürre beinahe eine komplette Ernte ausgefallen.

Missernten aufgrund widriger Wetterbedingungen und Ungezieferbefall haben die Reisernten in Vietnam geschmälert. In Indien führten Dürren zu großen Ernteausfällen. Die Situation der Landwirtschaft in dort ist desolat. Die Agrarproduktion wächst in Indien jährlich nur um magere zwei Prozent. Und das wird in absehbarer Zeit auch so bleiben, weil der Großteil der Felder von verarmten Bauern mit kümmerlichen Methoden bestellt wird.

60 Prozent der landwirtschaftlichen Anbaufläche in Indien sind von den Monsun-Regenfällen abhängig, denn es gibt keine künstliche Bewässerung. Etwa 30 Prozent der Ernte vergammelt auf den Feldern oder verdirbt auf dem Weg zum Markt, weil es an geeigneten Lager- und Transportkapazitäten für Obst, Gemüse und Getreide fehlt.

Die Lagerbestände bei Reis, dem Hauptnahrungsmittel Asiens, sind so niedrig wie nie. Wichtige Exportländer, wie China, Vietnam und Indien haben ihre Lieferungen ins Ausland gestoppt. In Pakistan bewacht die Armee Reis-Transporte und in Thailand werden Felder nachts bewacht, weil die grünen Pflanzen sonst heimlich von Reisdieben abgeerntet werden.

Chinas Hunger  nach Reis
Ganz entscheidend für die gestiegene Nachfrage aber ist die wachsende Weltbevölkerung und der stetig zunehmende Wohlstand in Asien. Eigentlich ein Grund zur Freude also, denn immer mehr Menschen können sich mehrere Mahlzeiten pro Tag leisten und auch ein Stück Fleisch kommt in der wachsenden asiatischen Mittelschicht öfter auf den Tisch. "Die Hälfte des weltweit produzierten Getreides landet nicht auf dem Teller, sondern wird vor allen Dingen zu Futter gemacht", führte die Grüne Verbraucherschutzpolitikerin Bärbel Höhn in einem WDR-Interview aus.

Die momentane Krise zeigt Licht und Schatten des asiatischen Wirtschaftswunders. Die Grüne Revolution in der Landwirtschaft - also die Einführung von Hochleistungssorten, Maschinen und Chemie - und die rasante Wirtschaftsentwicklung haben Millionen Menschen geholfen. Doch während die Volkswirtschaft in den beiden Riesenländern Asiens Turbo-Wachstumsraten von acht bis neun Prozent verzeichnet, blieb der Agrarsektor ein Stiefkind der Entwicklung.

Im boomenden China ist der Hunger nach Reis so groß, dass das Land seit 2006 selbst Reis auf dem Weltmarkt kauft. Die Verstädterung infolge des Booms verschlingt dort kontinuierlich landwirtschaftliche Flächen. In der traditionellen Reiskammer Chinas, dem Jangtse-Delta, leben inzwischen über 90 Millionen Menschen, 50 Millionen davon in Megastädten wie Shanghai. Auch hier kann nur mehr geerntet werden, wenn wieder mehr Land kultiviert und effizienter bebaut wird. Billiger Reis ist daher in nächster Zeit nicht in Sicht. Schon im Jahr 2006 hatte eine US-Studie vor dieser Entwicklung in China gewarnt.

"Der Rückgang der Reisproduktion in China ist eine Tatsache", bestätigt Dagmar Yü-Dembski vom Konfuzius-Institut der Freien Universität Berlin, der Schweizer "Wochenzeitung". "In der chinesischen Öffentlichkeit wird darüber diskutiert, dass den Bauern die materiellen Anreize zum Reisanbau fehlen. Sie verdingen sich lieber als Wanderarbeiter in den boomenden Städten." Und die verbliebenen Bauern und Bäuerinnen verdienen mehr Geld mit dem Anbau von Gemüse und Früchten wie Bambus oder Ananas für die Luxushotels an der Ostküste.

Erschwerend kommt in dieser Situation hinzu, dass Spekulanten an den Rohstoffbörsen auf steigende Getreidepreise setzen und die Preise damit weiter treiben.

Zehn Millionen aus Deutschland
Weltbank-Präsident Zoellick rief die Regierungen in aller Welt dazu auf, dem UN-Ernährungsprogramm bis zum 1. Mai umgerechnet 315 Millionen Euro für Notfallhilfen zur Verfügung zu stellen. Das deutsche Entwicklungsministerium wird dem UN-Welternährungsprogramm (WFP) weitere zehn Millionen Euro zur Verfügung. Damit solle vor allem die ländliche Entwicklung gestärkt werden, sagte Ministeriumssprecher Markus Weidling am Montag in Berlin.

Die gestiegenen Preise für Grundnahrungsmittel seien ein großes Problem. Man beobachte die Lage mit großer Sorge, so der Sprecher. Ende März hatte das Entwicklungsministerium bereits drei Millionen Euro für das WFP bereitgestellt. Am Mittwoch will sich die Bundesregierung in ihrer Kabinettssitzung mit dem Thema befassen.

Kritik der Welthungerhilfe
Die Ausgaben der deutschen Entwicklungshilfe für Ernährungssicherung und Landwirtschaft hätten sich in den letzten zehn Jahren fast halbiert, kritisierte die Vorsitzende der Welthungerhilfe, Ingeborg Schäuble, am Montag in Bonn. Dieser negative Trend müsse umgekehrt werden.

Die Hilfszusagen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds für kurzfristige Nahrungsmittelhilfe lösen nach Ansicht der Welthungerhilfe das Problem nur vorübergehend. Subventionierter Reis oder Mais dürfe nicht die lokalen Märkte der Entwicklungsländer zerstören, mahnte Schäuble. Die Welthungerhilfe schlägt stattdessen Beschäftigungs- und Sozialprogramme vor, mit denen die ländliche Infrastruktur verbessert wird.

Der Weltbank und dem IWF warf "Brot für die Welt" schwere Versäumnisse vor. Mit den Hungerrevolten in Haiti und anderen Teilen der Welt räche sich "die jahrzehntelange Vernachlässigung der bäuerlichen Landwirtschaft in der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit".



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