Missbrauchsskandal hält US-Kirche weiter in Atem

Zukunft von Kardinal Wuerl bleibt ungewiss

Erst beriet er sich mit dem Papst, dann mit den Priestern seines Bistums. Kardinal Donald Wuerl hat offenbar eine Menge Stoff zum Nachdenken über seine Rolle im Missbrauchsskandal in den USA. Welche Konsequenzen zieht er?

Autor/in:
Thomas Spang
Kardinal Donald William Wuerl (l.) / © Paul Haring (KNA)
Kardinal Donald William Wuerl (l.) / © Paul Haring ( KNA )

Tritt er zurück oder bleibt er? Darüber rätseln nicht nur die Gläubigen im Erzbistum Washington, dem Kardinal Donald Wuerl vorsteht. Die ganze US-Kirche blickt auf den Mann, der in seinen 18 Jahren als Bischof von Pittsburgh (1988-2006) sexuelle Übergriffe von Priestern an Kindern nicht mit der notwendigen Entschlossenheit verfolgt haben soll.

Seit Wochen sorgt der Bericht eines Geschworenengerichts über den Missbrauch in sechs Bistümern in Pennsylvania für Schlagzeilen. Er spricht von 300 Priestern, die sich in den vergangenen 70 Jahren an mehr als 1.000 Kindern und Jugendlichen vergangen haben sollen - auch in Wuerls Amtszeit. Er soll nicht energisch genug eingeschritten sein und Täter lediglich an andere Orte versetzt haben.

Fehler eingeräumt

Der Kardinal hat inzwischen Fehler eingeräumt. Vehement bestreitet er aber, an seiner neuen Wirkstätte Washington von den Übergriffen seines einflussreichen Vorgängers Theodore McCarrick (88) gewusst zu haben, der inzwischen aus dem Kardinalskollegium entfernt wurde.

Unter dem Radar reiste Wuerl vergangene Woche zu einem Gespräch mit Papst Franziskus in den Vatikan. Ohne auf Details einzugehen, bestätigte der Sprecher des Erzbistums, Edward McFadden, gegenüber CNN die Begegnung mit dem Heiligen Vater am Donnerstag.

Nach seiner Rückkehr trommelte Wuerl auf Anraten des Papstes die Priester seiner Diözese zusammen, um deren Rat einzuholen. Es kamen mehr als 100, von denen etwa ein Dutzend das Wort ergriff. Neben wenig verhüllten Rücktrittsforderungen baten andere den Kardinal, nicht das Handtuch zu werfen, sondern bei einer Überwindung der Krise mitzuhelfen. "Ich würde sagen, die Mehrheit der Priester hat ihn unterstützt", beschreibt Bistumssprecher McFadden das Treffen. Wuerl sei "sehr bewegt gewesen von der Zuneigung, die er von seinen Priestern erfuhr".

Offene Proteste von Gläubigen

Dabei gab es in den Gemeinden zum Teil offene Proteste von Gläubigen, die während des Gottesdienstes aufstanden und ihrem Unmut Luft machten. In vielen Pfarreien luden Priester zu Aussprachen ein.

Father William Byrne von der Pfarrei "Our Lady of Mercy" in Potomac solidarisierte sich mit seiner Gemeinde: Er gehe mit ihnen durch "Trauer, Schmerz und Ärger", sagte er.

Auch die Gemeindepriester Michael Mellone und Andrew Wakefield stellten sich den Gläubigen, die bei einem Besuch des Kardinals ihren Protest bekundeten. Ein Gottesdienstbesucher stand während einer Fürbitte für den Papst auf und rief dem Kardinal zu: "Schämen Sie sich". Mellone räumte ein, er habe ursprünglich gedacht, die Kirche habe sich schon mit dem Missbrauchsskandal Anfang des Jahrtausends grundsätzlich geändert. "Jetzt weiß ich, es war nicht genug".

Ähnlich argumentieren die Autoren eines offenen Briefs an Franziskus und die US-Bischöfe: Hunderte katholischer Männer verlangen darin Antworten und mahnen eine "radikale Reinigung" der Hierarchie an.

Nicht weniger als die Glaubwürdigkeit der Kirche selbst stehe auf dem Spiel. Ähnlich hatten sich zuvor 30.000 Frauen geäußert, die einen Internet-Aufruf unterschrieben.

Kardinal Cupich mit konsequentem Durchgreifen

Der Kardinal von Chicago, Blase J. Cupich, zeigte in einem aktuellen Fall, wie konsequentes Durchgreifen aussieht. Der Franziskus-nahe Erzbischof entband zwei Priester ihrer Aufgaben, nachdem sie wegen öffentlichen Geschlechtsverkehrs Schlagzeilen gemacht hatten.

Die beiden Priester waren am amerikanischen "Tag der Arbeit" am Montag in Miami Beach verhaftet worden, als sie Sex auf einem Parkplatz hatten. Die Polizisten führten sie vor einer Phalanx aus Neugierigen ab. Strafbar ist nicht die sexuelle Handlung selbst, sondern ihr öffentlicher Vollzug. "Wir nehmen die Angelegenheit sehr ernst und werden Sie auf dem Laufenden halten", erklärte Kardinal Cupich. "Es ist unsere Aufgabe sicherzustellen, dass diejenigen, die unseren Menschen dienen, fit für die Aufgabe sind."

Hätte Kardinal Wuerl in sehr viel gravierenderen Fällen, die sexuellen Missbrauch mit Kindern beinhalteten, ähnlich durchgegriffen, blieben ihm heute kritische Nachfragen erspart. So bleibt die Frage, wie lange er sich noch halten kann. Franziskus könnte Wuerls mit 75 Jahren bereits obligatorisch eingereichten Rücktritt jederzeit annehmen.


Blase Joseph Cupich / © Paul Haring (KNA)
Blase Joseph Cupich / © Paul Haring ( KNA )
Quelle:
KNA