Reaktionen auf die Hebammenrede bei den deutschen Katholiken

Papst Pius XII. und der Sex in Westdeutschland

Was hat eine Ansprache des Papstes vor dem Hebammenverband mit dem Verkauf von Fieberthermometern in Köln und Beate Uhse zu tun? Ein US-amerikanischer Historiker erklärt die Zusammenhänge.

Autor/in:
Christiane Laudage
Papst Pius XII. / © CNS photo (KNA)
Papst Pius XII. / © CNS photo ( KNA )

Ende Oktober 1951 hielt Papst Pius XII. zwei bedeutende Ansprachen, eine davon an den italienischen Hebammenverband, in denen er die traditionelle Lehre zu Ehe und Sexualität, Verhütung und Abtreibung noch einmal mit aller Deutlichkeit bestätigte. Allerdings eröffnete er den Katholiken ein kleines Schlupfloch. Er erlaubte, dass "die Einhaltung der unfruchtbaren Zeiten" bei einer gewissen "medizinischen, eugenischen, wirtschaftlichen und sozialen 'Indikation'" sittlich erlaubt sei. Diese Methode wurde nach den Ärzten Knaus-Ogino benannt, im Volksmund allerdings als Vatikanisches Roulette bezeichnet. Sie ist bis heute die einzige vatikanisch erlaubte Methode zur Familienplanung.

Auflösung traditioneller Familienstrukturen

Wie wurden diese Reden in Deutschland aufgenommen? Der US-amerikanische Historiker Michel E. O'Sullivan, Professor an der Ordensuniversität der Maristen in North Carolina-Chapel Hill, hat sich auf Spurensuche begeben und wurde unter anderem im Historischen Archiv des Erzbistums Köln (HAEK) fündig. Seine Ergebnisse hat er nun in einer historischen Fachzeitschrift veröffentlicht.

Er beschreibt die Zeit der späten 1940er und frühen 1950er Jahre als eine Zeit der Auflösung traditioneller Familienstrukturen. Katholische Frauen und Männer zeigten sich offen gegenüber Sex vor der Ehe, Verhütungsmitteln und unorthodoxen Familienverbindungen. Das rief vor allem den Volkswartbund unter der Leitung von Michael Calmes auf den Plan, einen katholischen Verein mit Sitz in Köln, der enge Beziehungen zum damaligen Erzbischof, Kardinal Josef Frings, unterhielt. Zwar gehörten ihm zahlenmäßig wenige Mitglieder an, aber er hatte dafür überdurchschnittlich großen Einfluss.

Familienplanung in katholischen Kreisen

Der Volkswartbund hatte sich schon vor der Ansprache des Papstes im Herbst 1951 massiv bei Kardinal Frings beschwert, dass die Knaus-Ogino-Methode in katholischen Kreisen nicht nur gebräuchlich wäre. Nein, es würden sogar Kalender verkauft und Gläubige besprächen diese Methode mit ihren Priestern. Das dient dem Historiker O'Sullivan als Beweis dafür, dass in katholischen Kreisen ein Bedürfnis bestand, wenigstens diese Form der Familienplanung zu praktizieren - und dass das bei Geistlichen bereits durchaus auf Entgegenkommen traf, vorausgesetzt, es wurde nicht öffentlich darüber gesprochen.

Die Rede des Papstes vor dem Hebammenverband wurde übersetzt in Pfarrbriefen und in der "Herder-Korrespondenz" abgedruckt. Tatsächlich, so sagt O'Sullivan, wurden danach in Köln und anderen großen Städten Fieberthermometer und entsprechende Kalender für den Gebrauch dieser Verhütungsmethode unter Katholiken beworben.

Das katholische Magazin "Mann in der Zeit", später Weltbild, ging auf die Rede ein, legte jedoch den Fokus auf das Verbot der Abtreibung. Der Zentralverband der katholischen Frauen- und Müttergemeinschaften, ab 1951 Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands, räumte der Hebammenrede viel Platz im Forum der Leserbriefe in ihrer Verbandszeitschrift "Frau und Mutter" ein.

Marianne Dirks war von 1951 bis 1972 die erste Präsidentin der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands. Zusammen mit der Redakteurin Maria Vielhaber sahen beide die Verbandszeitschrift als Brücke zwischen Traditionalisten und Reformern in der Kirche, schreibt O'Sullivan. Obwohl die Redakteurinnen ähnlich wie der Volkswartbund ursprünglich die schon praktizierte Form der Familienplanung ablehnten, hätten sie nach den Ansprachen Pius XII. die Knaus-Ogino-Methode als willkommene Neuerung angenommen.

"Vatikanisches Roulette" und Debatte um Verhütung

Nach Einschätzung des Historikers zeigen die Leserbriefe in "Frau und Mutter" eine Offenheit, Tabuthemen erstmals offen zu diskutieren. Gleichzeitig beweisen sie aber auch, dass viele Leserinnen die kirchliche Haltung zur Familienplanung ablehnten. Ende der 1950er Jahre äußerten die Leserinnen ihr Missfallen über das "Vatikanische Roulette", das zu nicht geplanten Schwangerschaften führe. Die Ehepaare, auch die katholischen, die auf Nummer sicher gehen wollten, haben sich dann Verhütungsmittel beim "Versandhaus Beate Uhse" bestellt.

Der Historiker O'Sullivan betont, dass die beiden Ansprachen des Papstes 1951 mit ihrem Zugeständnis in Sachen Familienplanung nicht den Druck vom Vatikan genommen hätten, grundsätzlich seine Haltung zur Verhütung zu ändern. Als dann Papst Paul VI. 1968 mit seiner "Pillen-Enzyklika" Humanae Vitae die Hoffnungen auf eine offizielle Erlaubnis künstlicher Verhütungsmittel enttäuschte, brach ein großer Sturm des Protests los.  

 

Quelle:
KNA