Wie man im Katastrophenfall improvisiert

"Das Wasser hat Särge in mein Büro gespült"

Bestatter Jens Ernesti hat einen Teil seiner Geschäftsräume durch die Flutkatastrophe im Rheinland verloren. Trotzdem hat er sich weiter um Sterbefälle gekümmert. Wie bestattet man im Ausnahmezustand?

Autor/in:
Franziska Hein
Nordrhein-Westfalen, Swisttal: Helfer gehen an einem Haus vorbei, dessen Außenwand mit Holzbalken abgestützt wird / © Marius Becker (dpa)
Nordrhein-Westfalen, Swisttal: Helfer gehen an einem Haus vorbei, dessen Außenwand mit Holzbalken abgestützt wird / © Marius Becker ( dpa )

epd: Herr Ernesti, wie ist es Ihnen ergangen?

Jens Ernesti (Bestatter im Swisttal): Der Schaden in meinen zentralen Geschäftsräumen im Swisttaler Ortsteil Heimerzheim geht in die Hunderttausende. Mein komplettes Büro ist zerstört. Das Wasser hat Särge aus dem Ausstellungsraum bis in mein Büro gespült. Ich habe einen fast neuen Leichenwagen verloren. Beschallungsanlagen für die Beisetzungen auf dem Friedhof, Drucker für die Trauerkarten, Computer und natürlich meine Sarg Ausstellung sind kaputt. Ich bin aber zum Glück versichert, so dass ein großer Teil des Schadens bezahlt wird.

epd: Wie konnten Sie in den Tagen nach der Überflutung überhaupt arbeiten?

Ernesti: Am Tag nach der Flut hätte ich eine Beisetzung gehabt, die nicht stattfinden konnte. Ich konnte nicht in mein Geschäft, weil die Wege dorthin nicht befahrbar waren und auch das Geschäft unter Wasser stand. Ich konnte den Sarg nicht holen. Es gab kein Telefon, kein Internet, so dass ich die Familie gar nicht darüber informieren konnte. Ich bin am Ende zu Fuß zu den Angehörigen gegangen. Sorge haben mir auch die anderen Särge im Kühlraum bereitet. Doch der ist gut abgedichtet und hat viel Wasser abgehalten. Die Särge standen auch auf Rollwagen. Den Verstorbenen darin ist nichts passiert.

epd: Wie haben Sie weitergemacht?

Ernesti: In den ersten Tagen wurde mein Wohnzimmer zum Büro. Es kamen ja laufend neue Sterbefälle rein, auch Opfer der Flut. Als der Strom wieder da war, habe ich mein Büro in meine Geschäftsräume im Ortsteil Odendorf verlagert. Mein Lieferant machte mir einen neuen Leichenwagen, der in drei Monaten fertig ist. Normalerweise muss ich zwei Jahre auf so einen Wagen warten. Ein Leichenwagen ist Handarbeit. Ich kann den Kühlraum eines anderen Lieferanten benutzen. Außerdem haben mir die Kollegen eine Grundausstattung an Druckern und Computern besorgt. Ich bin sehr dankbar, dass das Miteinander hier so gut funktioniert.

epd: Macht es für Sie einen Unterschied, ob Sie ein Opfer einer Katastrophe oder einen Menschen beerdigen, der mit 90 Jahren im Krankenhaus gestorben ist?

Ernesti: Das ist schon ein Unterschied. Ich habe mit mehreren Familien zu tun, die Angehörige durch das Hochwasser verloren haben. Normalerweise kommt so etwas zwei bis drei Mal im Jahr vor, dass ich Kinder bestatte oder Familienväter, die bei einem Motorradunfall gestorben sind. Das passiert, damit komme ich klar. Aber wenn man plötzlich mehrere solcher Fälle hat, ist das eine andere Belastung. Für Eltern, die ihr Kind verlieren, ist es das Schlimmste, was passieren kann. Da gehe ich abends nicht nach Hause und schließe einfach die Tür. Da habe ich schon das Bedürfnis, meine eigene Tochter mal länger in den Arm zu nehmen.

Jens Ernesti

"Da habe ich schon das Bedürfnis, meine eigene Tochter mal länger in den Arm zu nehmen"

epd: Wie gehen Sie mit den Angehörigen um?

Ernesti: Die Hinterbliebenen wollen den Verstorbenen manchmal noch einmal sehen, bevor er beerdigt oder eingeäschert wird. Davon raten wir bei den Flutopfern ab. Das Abschiednehmen soll guttun, es soll noch einmal die Bestätigung geben, dass der Mensch wirklich nicht mehr da ist. Die Flutopfer haben oft sehr schwere Verletzungen. Das kann dann traumatisierend sein für die Angehörigen. Wir Bestatter haben zwar viele Möglichkeiten, Wunden so zu bearbeiten, dass man hinterher nicht viel davon sieht, aber mein Material ist ja auch kaputt gegangen. Natürlich machen wir die Verstorbenen trotzdem zurecht und ziehen sie an.

Jens Ernesti

"Die Hinterbliebenen wollen den Verstorbenen manchmal noch einmal sehen, bevor er beerdigt oder eingeäschert wird. Davon raten wir bei den Flutopfern ab."

epd: Wie sah die Situation auf den Friedhöfen aus?

Ernesti: Wir haben in der Gemeinde Swisttal keine Friedhöfe, die komplett zerstört sind. Andernorts wurden auf Friedhöfen ja durch das Wasser auch Särge weggeschwemmt und bereits bestattete Leichen dann als Tote geborgen. Die Identifikation ist dadurch sehr schwierig.

Bei uns war die Friedhofsverwaltung anfangs durch den Ausfall aller Netze nicht telefonisch erreichbar. Ich habe am Ende über Facebook mit dem Pfarrer und dem Friedhofsverwalter einen Termin direkt auf dem Friedhof gemacht, wo wir die Fälle alle durchgesprochen haben. Kritisch waren die Erdbestattungen, die Urnenbeisetzung kann bis zu sechs Wochen nach der Einäscherung stattfinden. Auf einem Friedhof konnten keine Gräber in der Hanglage ausgehoben werden, Urnenbeisetzungen in einem Friedwald bei Bad Münstereifel, wo die Flut auch katastrophale Schäden hinterlassen hat, konnten dort anfangs auch nicht stattfinden. Das musste alles abgesagt werden. Mittlerweile kann man den Friedwald wieder betreten.

epd: Wie haben die Hinterbliebenen darauf reagiert?

Ernesti: Ich würde so etwas als Angehöriger auch nicht erleben wollen. Viele sind im ersten Moment aufgebracht, entschuldigen sich dann aber später. Wir tun wirklich, was wir können.

Quelle:
epd
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