Hungerkrise auf Madagaskar spitzt sich zu

"Der Regen kommt einfach nicht"

Seit Wochen berichten Helfer von dramatischen Zuständen auf Madagaskar. Mehr als eine Million Menschen haben nicht genug zu essen. Ein Grund: Die verheerendste Dürre seit 40 Jahren. Ein Ende scheint nicht in Sicht.

Autor/in:
Joachim Heinz
Straßenszene in Madagaskar / © Steve Barze (shutterstock)
Straßenszene in Madagaskar / © Steve Barze ( shutterstock )

Die Lage in Madagaskar: Sie war am Mittwoch eines der drängendsten Themen bei der Vorstellung des Jahresberichts der Welthungerhilfe. Bereits im Vorfeld sprach die Organisation von einer Katastrophe. "Die Menschen in einer der ärmsten Regionen weltweit warten auf den Regen, doch er kommt einfach nicht." Wegen anhaltender Dürren seien die Ernten im Süden Madagaskars in den vergangenen zwei Jahren ausgefallen.

Auch in den zurückliegenden Monaten blieb der lang ersehnte Regen aus: Stattdessen verwandelten Sandstürme weite Teile das Ackers in Ödland. Die Zahl der Hungernden wird inzwischen auf 1,2 Millionen Menschen beziffert; 14.000 schwebten in akuter Lebensgefahr. Ein Ende scheint nicht in Sicht.

Dabei sind die Madagassen Kummer gewohnt. "Kere" heißt die chronisch auftretende Hungersnot im Süden des Landes. Ein ganzes Bündel an Ursachen ist dafür verantwortlich, angefangen von jahrzehntelanger Korruption über ein lückenhaftes Netz an Straßen und Brunnen bis hin zu Bevölkerungswachstum sowie Brandrodung und Abholzung von Regenwald.

Folgen des Klimawandels und der Corona-Pandemie

"In ganz Madagaskar laufen zudem die Gegenden, die noch fruchtbar sind, Gefahr, verstärkt von Großinvestoren beispielsweise aus China, Korea oder den Golfstaaten gepachtet zu werden", sagt Frank Wiegandt, Länderreferent bei Misereor. "Das kann mitunter von heute auf morgen geschehen, ohne dass die Kleinbauern, die das Land seit Generationen bewirtschaften, darüber informiert worden wären oder gar Mitspracherechte hätten."

Zu alledem kommen jetzt die Folgen des Klimawandels und der Corona-Pandemie hinzu: Die andauernde Dürre hat den meist von Ackerbau und Viehzucht lebenden Menschen ihre Existenzgrundlage geraubt. Auch im laufenden Jahr werden wahrscheinlich wieder 60 Prozent der Ernten verloren gehen. Und die Corona-Beschränkungen erschweren Helfern einen direkten Zugang zu den Betroffenen.

Seit Monaten mehren sich die Warnungen vor einem Kollaps im Süden des Landes. Manche der vom Hunger betroffenen Einwohner verkauften sogar schon Küchenutensilien oder hätten den Süden verlassen, um sich andernorts ein alternatives Einkommen zu erwirtschaften, schilderte Misereor-Länderreferent Wiegandt Anfang Juni die Lage. Marlene Müller, Programmkoordinatorin der Welthungerhilfe, berichtete zur gleichen Zeit davon, dass die Menschen sich von Blättern, Beeren und Heuschrecken ernährten. "Es ist wirklich sehr ernst."

Im Gegensatz dazu steht das internationale Engagement. "Bis vor wenigen Wochen war das Interesse an der Hungersnot im Süden von Madagaskar beschämend gering", beklagt Anne Sturm vom Verein der Freunde der AIC Madagaskar in Herne. Generell seien die Hilfsprogramme für das Land unterfinanziert, sagt Misereor-Referent Wiegandt. "Die Mittel reichen nicht aus, um einen wirklichen Schritt nach vorn zu machen."

Katholische Kirche wichtiger Partner

Das Werk für Entwicklungszusammenarbeit setzt auf die Kooperation mit Kräften der Zivilgesellschaft, um die Not der Menschen zu lindern.

Ein wichtiger Partner sei die katholische Kirche, so Wiegandt. "Mit ihr können wir punktuell und lokal sehr gut Entwicklungsprojekte voranbringen - und erreichen die Zielgruppen, ohne dass korrupte Behörden Mittel abzweigen."

Aus Sicht der Welthungerhilfe bräuchten die Menschen dringend Geld, um sich Nahrungsmittel kaufen zu können. Zudem sei ganz schnelle Hilfe für massiv unterernährte Kinder nötig, sagt Generalsekretär Mathias Mogge. Mittelfristig müssten die Madagassen widerstandsfähiger gegen den Klimawandel werden. Dabei würden Investitionen in verbessertes Saatgut, Erosionsschutz, Bewässerungssysteme und Aufforstung helfen.

Vielleicht lässt sich die Katastrophe noch einmal abwenden. Der katholische Erzbischof von Antsiranana, Benjamin Marc Ramaroson, forderte bereits im Februar eine grundsätzliche Wende auf Ebene von Politik und Gesellschaft. Vor allem eine schonende Nutzung der natürlichen Ressourcen und ein intelligentes Wassermanagement seien dringend vonnöten. Helfer könnten dazu beitragen, entsprechende Maßnahmen in die Tat umzusetzen. Voraussetzung für deren Erfolg sei allerdings der Wille der politisch Verantwortlichen auf Madagaskar.


Quelle:
KNA