Staatschefs bei Mini-Flüchtlingsgipfel in Paris

Wenn Flucht zum Verbrechen wird

Afrikanische und europäische Staatschefs sind in Paris zu einem Mini-Migrationsgipfel zusammengekommen. "Ärzte ohne Grenzen" sieht das kritisch. Es gehe dort nicht um Fluchtursachenbekämpfung, sondern um Fluchtbekämpfung.

Seenotrettung im Mittelmeer / © IUVENTA Jugend Rettet e.V. (dpa)
Seenotrettung im Mittelmeer / © IUVENTA Jugend Rettet e.V. ( dpa )

domradio.de: Um die Migration über das Mittelmeer zu verhindern, wollen EU-Länder stärker mit Herkunfts- und Transitländern zusammenarbeiten. Darum sind bei dem heutigen Treffen in Paris auch Vertreter aus Afrikanischen Staaten eingeladen. Zusammenarbeit klingt ja erstmal recht positiv, oder?

Philipp Frisch (Leiter des Teams für humanitäre Fragen, "Ärzte ohne Grenzen"): Die Frage ist: Zusammenarbeit mit welchem Ziel und mit welchem Zweck? In der aktuellen Diskussion wird sehr klar, dass das Ziel vor allem Abschottung und Abschreckung ist. Das erkennt man schon allein daran, dass ernsthaft diskutiert wird, Menschen nach Libyen zurückzubringen. Dabei ist seit langer Zeit klar, wie katastrophal die Situation dort ist. Unsere Kollegen berichten schon seit Wochen und Monaten von Vergewaltigungen, Verstümmelungen und Folter. Die Bedingungen in den libyschen Gefangenenlagern sind himmelschreiend und sogar die deutsche Botschaft in Niger sprach in dem Zusammenhang von "KZ-ähnlichen Zuständen" - was wahrscheinlich der größte Superlativ ist, den die deutsche Sprache kennt. Das ist für uns eine sehr besorgniserregende Tendenz und deswegen bereitet uns auch diese Zusammenarbeit große Sorgen.

domradio.de: Was kann es denn bewirken, wenn man Vertreter aus Libyen einlädt?

Frisch: Das ist eine gute Frage. Auch wir sind bei diesen Treffen nicht dabei und erfahren erst im Nachhinein, was da besprochen wird. Aber die Richtung, die die politische Auseinandersetzung in den vergangenen Wochen genommen hat, geht unserer Ansicht nach in die falsche Richtung. Denn anstatt sich darauf zu konzentrieren, den Menschen, die vor Gewalt, Verfolgung und Armut fliehen, die Hilfe zukommen zu lassen, die sie in ihren lebensbedrohlichen Situationen brauchen, wird darüber gesprochen, wie man sie möglichst weit fernhalten kann.

domradio.de: Italien hat zuletzt gemeldet, dass die Zahl von Bootsmigranten aus Libyen in den letzten beiden Monaten zurückgegangen sei. Was bedeutet das?

Frisch: Das ist keine gute Nachricht. Denn die Menschen hören ja nicht auf zu fliehen - sie kommen nur nicht mehr so weit. Diejenigen, die nicht mehr von der libyschen Küste aus über das Mittelmeer nach Europa fliehen können, sind jetzt in Libyen in Lagern gefangen. Nur weil wir die Menschen nicht mehr leiden und sterben sehen, heißt das nicht, dass sie das nicht mehr tun.

domradio.de: Nun hat die libysche Küstenwache ihr Einflussgebiet ausgedehnt, sodass sich private Seenotretter mit ihren Schiffen zurückziehen mussten. Wie ordnen Sie das ein?

Frisch: Was in den vergangen Wochen passiert ist, ist eine Kriminalisierung der Organisationen, die versuchen, die Flüchtlinge zu retten. Gleichzeitig ist das auch eine Kriminalisierung von Flucht als Akt an sich. Man hat letztlich die Seenotrettungskapazität, die gebraucht wird, nicht mehr. Es ist zudem zweifelhaft, ob die libysche Küstenwache wirklich als erstes Ziel verfolgt, die Flüchtlinge zu retten. Außerdem ist unklar, was mit den Flüchtlingen passiert, die nach Libyen zurückgebracht werden und dort in Lager kommen. Aus unserer Sicht ist es wichtig, die Zielstellung neu zu überlegen: Was wollen wir wirklich? Geht es uns als europäische Staaten und als Bundesregierung vornehmlich darum, die Menschen möglichst weit weg zu halten oder geht es darum, die Menschen zu helfen, die so dringend Hilfe brauchen?

domradio.de: Auch Tschad und Niger sind in Paris dabei, obwohl sie überhaupt keinen Kontakt zum Mittelmeer haben. Warum wollen die europäischen Staaten denn mit diesen beiden Ländern zusammenarbeiten?

Frisch: Das gehört mit zur Strategie, die europäische Außengrenze immer weiter vorzuschieben; also wegzuschieben von der tatsächlichen Außengrenze Europas. Denn so möchte man verhindern, dass die Menschen überhaupt so weit kommen. Auch bisher war es ja so, dass die Menschen, die flüchten, nicht an der Küste des Mittelmeers vom Himmel gefallen sind, sondern die Fluchtrouten gehen aus Krisenländern durch eine ganze Reihe von Transitländern. Bei diesen - euphemistisch als "Migrationspartnerschaften" - bezeichneten "Deals" wird letztlich mit Geld durch die EU Grenzsicherung in anderen Ländern gekauft. Diese Deals sorgen dann dafür, dass die Menschen gar nicht mehr auf dem Radar der Öffentlichkeit erscheinen, weil sie schon viel früher abgehalten werden und nicht mehr weiterkommen. Das ist die Kriminalisierung von Flucht. Denn Flucht ist in vielen Bereichen eine wichtige Überlebensstrategie. Es muss den Menschen ermöglicht werden, aus ihren jeweils lebensgefährlichen Situationen zu fliehen. Was wir im Grunde sehen, ist keine Fluchtursachenbekämpfung, sondern eine Fluchtbekämpfung.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Quelle:
DR
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