Kirchenhistoriker über vergebliche Friedensappelle und pompöse Frontmessen

Die Schuld der Kirche im Ersten Weltkrieg

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges standen Bischöfe, Priester und Gläubige in großer Zahl an der Seite derer, die den Krieg begrüßten. Zum Beispiel der damalige Kölner Erzbischof . Ein Blick 100 Jahre zurück mit Prälat Trippen.

Soldatengräber bei Ypern (dpa)
Soldatengräber bei Ypern / ( dpa )

domradio.de: Der damalige Papst Benedikt XV. wird immer wieder "Friedenspapst" genannt, weil er engagiert gegen den Ersten Weltkrieg aufgetreten ist. Wie zeigte sich dieses Auftreten?

Prälat Norbert Trippen (emeritierte Domkapitular im Erzbistum Köln und Professor für Mittlere- und Neuere Kirchengeschichte): Am Anfang des Ersten Weltkrieges stand der Papst vor der Situation, dass es Katholiken auf beiden Seiten der Front gab. Bei den Alliierten im Westen doppelt so viele wie bei den überwiegend protestantischen Deutschen. Wenn er für eine der beiden Seiten Partei ergriffen hätte, wäre das ins Auge gegangen. Also hat er sich zu einer strikten Neutralität entschlossen.

Die Neutralität hat er erstmals durchbrochen als er Italien vor dem Eintritt in den Krieg 1915 zu hindern versuchte. Vor allen Dingen war die Frage, ob der Papst auch in Rom bleiben könnte, wenn Italien in den Krieg eintrete.

Der entscheidende Punkt war, nachdem eine Kriegsmüdigkeit eingetreten war mit vielen Millionen Toten in einem Stellungskrieg bei Verdun und die andere Front war in Ypern in Flandern. Es gab gewisse Anzeichen, dass auf beiden Seiten vielleicht der Versuch der Vermittlung etwas bringen könnte. Da hat Benedikt XV. am 1. August 1917 eine Initiative (Die Friedensnote "Dès le début" siehe Infokasten, Anm.d.Red.) gestartet. Mit der Ausführung war der Nuntius in München Eugenio Pacelli, der spätere Pius XII. betraut. Dieser Versuch, das kann man heute beobachten in der Ukraine, es ist überall dasselbe, es werden von beiden Seiten Bedingungen für eine Friedensinitiative aufgestellt, die nicht erfüllbar sind. Damals ging es um den Status von Belgien bei einer Verständigung - Belgien war ja von den Deutschen überrannt worden und das sah man ein, dass das nicht in Ordnung war, aber das wollte man natürlich von deutscher Seite nicht zugeben - kurz um, diese Friedensinitiative ist gescheitert.

Wenn Pius XII. sich noch strikter im Zweiten Weltkrieg an die Neutralität gehalten hat und zum Ärger der heutigen Zeitgenossen nicht protestierend und demonstrierend in das Kriegsgeschehen eingegriffen hat, dann waren das seine Erfahrungen, die er im Ersten Weltkrieg mit der Friedensinitiative gemacht hat.

domradio.de: Wie war denn die Situation speziell im Erzbistum Köln? Mit den Preußen sind die Rheinländer ja eigentlich nie so richtig warm geworden.

Trippen: Der damalige Erzbischof Felix von Hartmann bildete sich auf sein Adelsprädikat sehr viel ein. Er war ein spezieller Freund des Kaisers. Er hat 1916 als schon Millionen Tote auf den Gräberfelder von Verdun und von Ypern in Flandern lagen, demonstrativ - obwohl er nicht Militärbischof war - eine Reise zu pompösen Feldgottesdiensten nach Flandern gemacht. Er ist in belgische und französische Kathedralen pompös eingezogen durch ein Spalier deutscher Soldaten in der Cappa Magna mit sieben Meter langer Moiré-Seide, darüber ein Hermelin-Kragen. Die armen Soldaten, die da schlotternd standen! Sie wussten, dass 20 Kilometer in ihren Rücken Gräberfelder lagen, auf denen sie in 14 Tagen vielleicht auch liegen würden. Sie werden sich sehr gefreut haben... Dann war hinterher ein Festessen mit den Generälen und ein Gespräch mit dem Kaiser, der zum Teil an diesem Feldgottesdiensten teilgenommen hat. Also von Hartmann war eine sehr problematische Figur im Ersten Weltkrieg. Als der Krieg vorbei war, haben vor allem die Franzosen seine Abberufung von Köln gefordert.

domradio.de: Vierzig Jahre vor dem Ersten Weltkrieg galten die Katholiken in Deutschland noch als streng nach der päpstlichen Lehre ausgerichtet und wenig vaterländisch gesinnt. Wäre diese Einstellung im Nachhinein nicht auch im Ersten Weltkrieg etwas heilsamer gewesen?

Trippen: Das war gar nicht denkbar und nicht möglich. Das war für die Katholiken ja ein Trauma, dass sie im ganzen 19. Jahrhundert in die Ecke gestellt waren, dass sie Bürgern zweiter Klasse in Preußen und Deutschland waren. Sie suchten, den Anschluss zu finden an das "normale Nationale", aus ihrem Ghetto herauszukomme. Das hätten sie in ihrer damaligen Stimmung nicht verkraftet. Wir leben ja immer in einem Mainstream – damals wie heute.

domradio.de: Die Botschaft des Evangeliums ist doch über alle Zeiten gleich. Wie haben sie das damals theologisch für sich begründet?

Trippen: Es gab damals einen jungen Bischof von Speyer, Michael von Faulhaber. Er war später Erzbischof von München und Kardinal und 1937 hat er an der Enzyklika gegen den Nationalsozialismus mitgearbeitet. Aber damals hat er gesagt, dass der Erste Weltkrieg im Lichte des Evangeliums das Musterbeispiel eines gerechtfertigten Krieges wäre: Nach dem Attentat von Sarajewo könne man den Krieg nur als eine Rechtstat bezeichnen. Das hat er aber 1932 eingesehen und hat gesagt, er hätte sich geirrt. Angesichts der Dimensionen des Ersten Weltkrieges, könnte er zu diesen Aussagen nicht mehr stehen. Nur um ein Beispiel zu nennen, wie das damals gewesen ist.

domradio.de: Abgesehen von Kardinal Faulhaber hat es denn in der Kirche nach dieser Katastrophe des Ersten Weltkrieges so eine Art von Lernprozess gegeben?

Trippen: Denn hat es ganz sicher gegeben. Die katholische Kirche hat das Kriegsende eigentlich besser bewältigt als die evangelische. Die Katholiken, das katholische Zentrum war mit der SPD zusammen in preußischer Zeit regierungsunwürdig gewesen. Nach dem Ersten Weltkrieg haben SPD und Zentrum sämtliche Regierungen der Weimarer Republik gestellt, also die Katholiken waren hoffähig geworden. Es war die Zeit, wo Romano Guardini und Eugenio Pacelli in Berlin saßen - der Vatikannuntius saß nicht mehr in München, sondern dann in Berlin. Sie haben sich mit der Demokratie sehr arrangiert. Das führte zu der Groteske, dass Kardinal Faulhaber beim Katholikentag in München 1922 die Rückkehr zur Monarchie forderte und der Präsident des Katholikentages, der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer sagte: "Wir sind froh, dass wir die Demokratie haben." Auf evangelischer Seite war es so, dass die evangelische Kirche ihren obersten Bischof, den Kaiser, verloren hatte und in gewisser Weise orientierungslos war. Von daher waren sie sehr viel anfälliger für nationalistische Entwicklungen und Tendenzen bis hin zu den deutschen Christen in der Nationalsozialistischen Zeit.

Das Interview führte Stephan Baur


Auf dem Weg zur Front in Ypern (dpa)
Auf dem Weg zur Front in Ypern / ( dpa )

Kriegspropaganda (KNA)
Kriegspropaganda / ( KNA )
Quelle:
DR