Streit in Australien nach dem Pell-Urteil

Kampf um die Deutungshoheit

Der Schuldspruch gegen Kardinal George Pell wegen sexuellen Missbrauchs hat Australien ins Mark getroffen. Seine Gegner wollen es schon immer gewusst haben. Die Anhänger des Geistlichen sprechen von einem Fehlurteil.

Autor/in:
Michael Lenz
Kardinal George Pell / © Asanka Brendon Ratnayake (dpa)
Kardinal George Pell / © Asanka Brendon Ratnayake ( dpa )

"Ich danke euch, dass ihr heute zur Messe gekommen seid", sagte Pfarrer Andrew Hayes im australischen Ararat zu Beginn seiner Predigt am Sonntag. "Es wäre verständlich gewesen, wenn ihr zu Hause geblieben wäret. Auch ich fühle mich beschämt und betroffen." Ob schuldig oder nicht - Kardinal George Pell stehe "vor uns als ein Vertreter der katholischen Kirche, die euch und mich auf so erschreckende Weise enttäuscht hat", fuhr Hayes fort.

Die Gemeinde des Pfarrers liegt im Bistum Ballarat, wo die Karriere Pells begann. Aus seiner Heimatstadt Ballarat droht dem einst mächtigen Kirchenmann nach seinem Schuldspruch wegen Missbrauchs weiteres Ungemach. Ein 50-jähriger Mann will eine Zivilklage gegen Pell wegen Aangeblichen sexuellen Fehlverhaltens in einem Schwimmbad in den 1970er Jahren anstrengen.

Anhänger kämpfen

Die konservativen Ex-Premierminister Tony Abbott und John Howard stellten ihrem Freund Pell im Laufe des kontroversen Jury-Prozesses von Melbourne Charakterzeugnisse mit Bestnoten aus. Auch die Starkolumnisten des Murdoch-Medienimperiums stehen weiter zu dem Geistlichen und halten das Urteil für ungerecht.

"Pell war ihr Held und Kulturkämpfer gegen linke Ideen und das grüne Neuheidentum", sagt der australische Theologieprofessor Neil Ormerod.

Besonders mit seiner Leugnung des menschengemachten Klimawandels habe er sich gegen die Umweltenzyklika "Laudato si" von Papst Franziskus gestellt. Stattdessen habe sich Pell mit der politischen Agenda von Medienmogul Rupert Murdoch und der für Australien wichtigen Kohle-, Gas- und Ölbranche verbündet, so Ormerod.

Vincent Long Van Nguyen, Bischof von Parramatta, schrieb am Sonntag in einem Hirtenbrief: "Sogar unter Katholiken gibt es wegen des Betrugs und der Scheinheiligkeit, den die Missbrauchsverbrechen darstellen, ein Gefühl von Scham und Wut. Das geht weit über den Fall von Kardinal Pell hinaus." Long, der als junger Mann aus Vietnam geflohen war, ist in Australien selbst von einem Priester sexuell attackiert worden.

Manche Bischöfe reagieren vorsichtig

Viele Bischofskollegen reagierten mit vorsichtigeren Worten auf den in australischen Medien umstrittenen Schuldspruch gegen Pell.

Theologe Ormerod kritisiert, die Bischöfe hätten monatelang Zeit zur Vorbereitung einer Strategie gehabt. "Jetzt sieht es so aus, als seien sie überrascht." Das sei für jene Katholiken, die nun verstört und wütend seien, "eine armselige pastorale Reaktion". Pell war bereits im Dezember 2018 verurteilt worden. Das für die Medien verhängte totale Prozessberichtsverbot wurde allerdings erst in der vergangenen Woche aufgehoben.

Australien wählt spätestens im Mai ein neues Parlament und die erstinstanzliche Verurteilung des konservativen "Kulturkriegers" Pell wird nicht ohne Folgen im Wahlkampf bleiben. "Die Weigerung einiger Kolumnisten der Murdoch-Medien, das einstimmige Urteil der Jury zu akzeptieren, hat viele Menschen schockiert", sagt David McKnight, Medienexperte an der Universität von New South Wales. Das könnte sich negativ auswirken für die konservative "Liberal Party", die sich derzeit mühsam in einer Minderheitsregierung zum Wahlkampf schleppt.

Am 13. März will das Gericht in Melbourne das Strafmaß für Pell verkünden. Das wird in dieser Angelegenheit wohl der letzte Auftritt von Pells Anwalt Robert Richter. Aus "Wut" über das "perverse Urteil" hat der Star-Anwalt sein Mandat niedergelegt, will aber dem Verteidigerteam des Kardinals im Berufungsverfahren beratend zur Seite stehen. In Ararat fordert Pfarrer Hayes seine Gemeinde unterdessen auf, sich aktiv in das Plenarkonzil der australischen Kirche im Jahr 2020 einzubringen: "Von mir habt ihr jede Unterstützung für Forderungen nach Wandel."


Quelle:
KNA
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