Papst plant offenbar Schreiben zur Weltordnung nach Corona

Neue Enzyklika in Arbeit?

Für den Herbst wird seit längerem ein großes Schreiben von Papst Franziskus erwartet - Inhalt unbekannt. Jetzt mehren sich Anzeichen, dass es die Corona-Krise aufgreift: Leitlinien für eine neue soziale Weltordnung.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
Hölzernes Kruzifix im Vordergrund - Papst Franziskus im Hintergrund / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Hölzernes Kruzifix im Vordergrund - Papst Franziskus im Hintergrund / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

Dem Papst geht es ums Ganze: Wie sehr die Corona-Krise mit ihren unabsehbaren Folgen besonders für Arme und Notleidende, aber auch für die internationale Stabilität das 83-jährige Katholikenoberhaupt persönlich angreift, war am 27. März deutlich sichtbar.

Während die Schreckensbilder von nächtlichen Leichenkonvois in Norditalien durch die Medien gingen, betete er auf dem menschenleeren Petersplatz für ein Ende der Pandemie und beschwor Mitmenschlichkeit und globale Solidarität. Jetzt plant Franziskus ein Grundsatzdokument mit Leitlinien für eine Welt nach Covid-19.

4. Oktober als Veröffentlichungsdatum denkbar

Nach Informationen der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) und Berichten internationaler Vatikan-Korrespondenten vom Freitag soll das Schreiben Anfang Oktober veröffentlicht werden. Titel und Inhalt sind noch unbekannt. Die dritte Enzyklika des seit 2013 amtierenden Papstes wird sich an "alle Menschen guten Willens" richten. Der Text wurde offenbar vor der Sommerpause abgeschlossen; die Übersetzungen sind seit Wochen in Arbeit. Denkbar als Publikationsdatum wäre der 4. Oktober, das Fest des heiligen Franz von Assisi (1181/82-1226).

Nach dem, was Beobachter vermuten und zusammentragen, dürfte das erste große päpstliche Lehrschreiben seit fünf Jahren zu einem sozialen und wirtschaftlichen Umdenken aufrufen und für Multilateralismus werben, die Rechte der Schwachen einklagen und zu ökologischer Nachhaltigkeit beim Neustart nach der Krise mahnen.

Damit schriebe Franziskus gewissermaßen die Linie von "Laudato si" von 2015 fort - auch sie eine Sozialenzyklika.

Dokument über die "Brüderlichkeit aller Menschen"

Eine andere Anknüpfung böte das Dokument über die "Brüderlichkeit aller Menschen", das der Papst im Februar 2019 in Abu Dhabi mit dem Kairoer Großimam Ahmad al-Tayyeb veröffentlichte. Auch dort geht es, über den Rahmen des Religiösen hinaus, um vorbehaltlose Zusammenarbeit angesichts der drängenden Probleme der Menschheit. Der Bischof von Rieti, Domenico Pompili, deutete am Mittwoch an, die Enzyklika werde in diese Richtung zielen.

Sowohl für Nachhaltigkeit und Sozialethik als auch für interreligiöse Kooperation gibt es eigene Behörden im Vatikan. Im ersten, dem von Kardinal Peter Turkson geleiteten Dikasterium für ganzheitliche Entwicklung, befasst sich seit Mitte April eine Kommission mit den "sozioökonomischen und kulturellen Herausforderungen" der Corona-Krise und entwickelt Positionen für die Vatikandiplomaten.

Die andere Behörde, der Päpstliche Rat für interreligiösen Dialog unter Leitung von Kardinal Miguel Angel Ayuso, gab just am Donnerstag mit dem Weltkirchenrat in Genf ein 24 Seien umfassendes Papier zum gemeinsamen Einsatz der Religionen in der Pandemie heraus. Titel: "Serving a Wounded World" (Im Dienste einer verwundeten Welt).

Dem Vernehmen nach war keine der Kurienbehörden offiziell mit Entwürfen für eine Enzyklika betraut. Franziskus kann aber aus einem schon vorhandenen Materialfundus schöpfen, und im Zweifelsfall verfügt er über persönlich ausgewählte Zuarbeiter. Er weiß auch - wie vor ihm Benedikt XVI. -, dass von eigener Hand verfasste Dokumente ihre größte Kraft entfalten. In seinen aktuellen wöchentlichen Videoansprachen stellt er vielleicht nicht zufällig die Pandemie und die daraus resultierenden "sozialen Krankheiten" in den Mittelpunkt.

Botschaft an die Vereinten Nationen?

Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, Chefdiplomat des Papstes und sein höchster Mitarbeiter in der Kirchenleitung, nannte die Pandemie eine "schwere Erschütterung des gesamten Wirtschafts- und Sozialsystems und aller seiner vermeintlichen Sicherheiten". In einem Interview des Portals "Riparte l'Italia" (Donnerstag) sprach er von einer nötigen "Revolution" der Gesundheits- und Bildungssysteme, einer sich wandelnden Rolle der Staaten und der internationalen Beziehungen. "Die Kirche fühlt sich gerufen, den schwierigen Weg zu begleiten, der vor uns als Menschheitsfamilie liegt", so Parolin.

Das scheint Papst Franziskus auch den Vereinten Nationen persönlich mitteilen zu wollen. Beobachter erwarten, dass er sich anlässlich des 75-jährigen Bestehens der UN in einer Botschaft an deren Generalversammlung wendet, die als Videokonferenz ab 15. September tagt.

Die Pandemie habe die Weltgemeinschaft unterschiedslos in eine Krise gestürzt, sagte der Papst am vergangenen Mittwoch. "Entweder wir kommen als Bessere heraus oder als Schlechtere", sagte er. "Machen wir nach der Krise weiter mit diesem Wirtschaftssystem der sozialen Ungerechtigkeit und der Verachtung für Umweltschutz, die Sorge um die Schöpfung, das gemeinsame Haus?" Er wird vielleicht bald seinen Vorschlag äußern.


Quelle:
KNA