Mit Verschwörungstheorien gegen den Papst

Teil einer Strategie

Verschwörungstheorien verbreiten sich genauso schnell wie das Corona-Virus. Nun beteiligen sich auch katholische Bischöfe aus verschiedenen Teilen der Welt daran. Was steckt dahinter und was bezwecken sie damit?

Autor/in:
Ina Rottscheidt
Mit Verschwörungstheorien gegen den Papst / © Vincenzo Pinto (dpa)
Mit Verschwörungstheorien gegen den Papst / © Vincenzo Pinto ( dpa )

Ist es Multimilliardär Bill Gates, der hinter der Corona-Krise steckt und die Menschheit heimlich dazu zwingen will, sich impfen zu lassen? Oder ist die Pandemie am Ende doch eine Strafe Gottes für Homosexualität und Abtreibung?

In Krisenzeiten haben Verschwörungstheorien Hochkonjunktur: das Internet und die sozialen Netzwerke sind voll davon, in Deutschland bekommt die Bewegung "Widerstand 2020" immer mehr Zulauf. Ihre Anhänger behaupten, die Corona-Krise sei eine Lüge der Medien, sie protestieren gegen die Schutzmaßnahmen und eine "Corona-Diktatur".

Schützenhilfe bekamen sie auch aus kirchlichen Kreisen: Unter dem Titel "Veritas liberabit vos" ("Die Wahrheit wird euch freimachen") veröffentlichte der frühere Päpstliche Botschafter in den USA, Erzbischof Carlo Maria Viganò, in der vergangenen Woche einen Aufruf, der vor der "Schaffung einer Weltregierung" warnte und "Katholiken und alle Menschen guten Willens" aufrief: "Lassen wir nicht zu, dass Jahrhunderte der christlichen Zivilisation unter dem Vorwand eines Virus ausgelöscht werden, um eine verabscheuungswürdige technokratische Tyrannei aufzurichten".

Einfache Erklärungen für komplexe Zusammenhänge

In Krisenzeiten gab es immer schon besonders viele Verschwörungstheorien, erklärt Dr. Ingo Grabowsky. Der Direktor von Kloster Dalheim, dem Landesmuseum für Klosterkultur des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, hat im vergangenen Jahr die Sonderausstellung "Verschwörungstheorien – früher und heute" organisiert. "Sie erklären komplexe Wirklichkeiten, weil sie einen Schuldigen, einen Sündenbock liefern", sagt er. "Das war schon im Mittelalter so, als die Pest ausbrach. Damals wurde behauptet, die Juden hätten die Brunnen vergiftet, um den Christen zu schaden."

Davon sind die aktuellen Weltverschwörungstheorien nicht weit entfernt, Experten beobachten auch eine zunehmende Judenfeindlichkeit unter den Corona-Protestlern: Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) etwa berichtet von Demonstrationsteilnehmern, die sich gelbe Sterne mit der Aufschrift "nicht geimpft" an die Brust hefteten oder Plakate mit dem Schriftzug "Coronavirus heißt Judenkapitalismus" vor sich her trugen.

Sicherheit in unsicheren Zeiten

Theorien über Mächte, die die Weltherrschaft übernehmen oder die deutschen Bundesbürger ihrer Freiheiten und Grundrechte berauben wollen, sind derzeit hoch im Kurs. "Das sind vor allem Menschen, die sich in ihrer Selbstwirksamkeit bedroht sehen", sagt Grabowsky. Verschwörungstheorien gäben ihnen ein Gefühl von Sicherheit in unsicheren Zeiten.

Auch Erzbischof Viganò ist offenbar überzeugt: Die derzeitigen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie sind in Wirklichkeit der "Auftakt zur Schaffung einer Weltregierung". Binnen weniger Tage fand sein Aufruf im Netz zahlreiche Unterstützer, unter ihnen der deutsche Kardinal und einstige Präfekt der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Müller und Kardinal Joseph Ze-kiun aus Hongkong.

Papst-Kritiker machen mobil

Sie alle sind zu scharfe Kritiker des Papstes: Viganò hatte in der Vergangenheit mehrfach behauptet, Franziskus habe kirchliche Missbrauchsfälle in den USA gedeckt und ihn zum Rücktritt aufgefordert. Der ehemalige Bischof von Hongkong hatte immer wieder die Annäherungspolitik des Vatikan an China kritisiert. Der ehemalige Erzbischof von Riga, Janis Pujats – ebenfalls einer der Unterzeichner – hatte behauptet, die EU führe einen internationalen Kreuzzug gegen das Christentum. Der emeritierte kasachische Erzbischof Jan Pawel Lenga hatte den Papst "Antichrist" genannt. Er darf seit Beginn des Jahres nicht mehr predigen und keine Messen mehr feiern.

Für den italienischen Journalisten und Vatikan-Experten Marco Politi zeigt das, dass im Vatikan ein Kulturkampf im Gange ist. In seinem aktuellen Buch "Das Franziskus-Komplott", schreibt er über die mächtige Opposition im Vatikan, die einen Rücktritt des Papstes lieber heute als morgen sähe. "Sie nehmen die Corona-Pandemie zum Anlass, wieder einen Kulturkampf zu entfachen", sagt er im DOMRADIO.DE-Interview: "Die aus ihrer Sicht richtige Kirche ist gegen die moderne Welt, gegen die Regierungen, und das ist nicht die Kirche von Franziskus".

Das dies schon lange keine kleine, laute Minderheit mehr ist, davon ist Politi überzeugt: "Ich würde schätzen, 30 Prozent des Klerus, der engagierten Laien und Bischöfe der Weltkirche sind auf dieser Linie. Die werden nicht alle einverstanden mit diesen konspirativen Theorien über das Coronavirus sein, aber sie folgen einer sehr starken konservativen, traditionalistischen Linie."

Dass die nun immer versuchen, die Autorität des Papstes zu untergraben, ist für den Vatikanexperten kein Zufall. Sie versuchten jetzt schon, die Weichen für das nächste Konklave zu stellen, glaubt er: "Das ist Teil ihrer Strategie, Stimmungen und Mehrheiten für die nächste Papstwahl zu schaffen und die öffentliche Linie des Pontifikats unter Druck zu setzen." Und dafür ist ihnen jedes Mittel recht. Erst im März hatte Viganò sich einer Forderung angeschlossen, die Wasserbecken der französischen Wallfahrtsstätte Lourdes wieder zu öffnen: "Wer im selben Becken wie ein Corona-Patient badet", heißt es dort, "ist vor Ansteckung sicher, weil Lourdes kein Ort der Sünde, sondern des Glaubens ist."


Quelle:
DR
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