Neues Buch beschäftigt sich mit der Faszination von Karten

Warum Drachen die Terra incognita besiedeln

Ob Monster auf alten Meereskarten oder Google Maps: Karten faszinieren viele Menschen. Der Engländer Huw Lewis-Jones hat jetzt ein Buch herausgegeben, das sich mit dieser Begeisterung auseinandersetzt.

Autor/in:
Nina Schmedding
 (DR)

Vom Affenhaus zum Löwenkäfig - mit seitlichem Abstecher zu den Giraffen und spontanem Schwenk zu den Flamingos: Ein Fünfjähriger, der sich im Zoo verirrt. Nicht etwa, weil ihm eine Karte fehlte, sondern weil er eine hatte.

"Dies ist sicherlich das erste Mal, an das ich mich erinnern kann, dass mich meine Begeisterung für Karten vom Weg abbrachte", schreibt der englische Historiker Huw Lewis-Jones im Vorwort seines Buches "Verrückt nach Karten. Geniale Geschichten von fantastischen Ländern" über sein Erlebnis im Londoner Zoo, damals vor 30 Jahren.

Das jetzt auf Deutsch erschienene Buch versammelt 167 historische und vor allem fantastische Karten der Weltliteratur - ob aus Thomas Morus' "Utopia", Tolkiens "Herr der Ringe" oder Joanne K. Rowlings "Harry Potter".

Karten sind "Endprodukt jahrhundertelanger Geschichte"

"Landkarten sind aus dem Wunsch entstanden, die Welt, in der wir leben, zu verstehen - und buchstäblich - zu erfahren, wo wir in ihr stehen. Und jede Karte ist die Darstellung eines bestimmten Augenblicks in der Zeit, der das Endprodukt jahrhundertelanger Geschichte, Geografie und Sprache ist", so Lewis-Jones.

Der Wissenschaftler, der über Entdeckungsgeschichte forscht und einen Großteil seiner Zeit mit Expeditionen verbringt, wohnt in Cornwall in einem vom Meer umtosten Haus, dessen Wände mit Karten tapeziert sind.

"Eine Welt ohne Bücher ist kaum vorstellbar. Genauso geht es mir mit einer Welt ohne Karten", stellt er fest. Er beginnt seine umfangreiche Kartenschau mit der Erklärung und Darstellung historischer Karten.

Am 20. Mai 1570 erschien die erste Ausgabe vom "Theatrum Orbis Terrarum" - des "Welttheaters" - der ersten Sammlung von Landkarten in Buchform des flämischen Kartografen Abraham Ortelius. Im Buch finden sich mehrere Abbildungen aus diesem ersten Weltatlas, darunter eine der begehrtesten Karten des 16. Jahrhunderts: Man sieht die Nordwest- und Nordostpassagen und im Süden einen riesigen Kontinent - und alles basiert auf Hörensagen und Mythen.

Eine Welt um den Garten Eden herum

"Man vergisst leicht, dass alte Karten einst Statements des allerneuesten Denkens waren: neue Sichtweisen mit dem Potenzial und der Macht des Wissens ihrer Zeit", so der Autor. Eine Bibelabbildung von 1536 zeigt eine Welt, die um den biblischen Geburtsort der Menschheit zentriert war - den Garten Eden. "Im Mittelalter glaubten die Christen, das Paradies sei ein Ort auf Erden, anders als die Welt und doch ein Teil von ihr", erklärt Lewis-Jones.

Zu allen Zeiten statteten Schriftsteller ihre Fantasiereiche gern mit Breiten- und Längengraden aus, um sie plausibler zu machen. In "Gullivers Reisen" von 1726 zum Beispiel siedelt Autor Jonathan Swift die erfundenen Inseln, auf denen Lemuel Gulliver Abenteuer erlebt, auf echten Landkarten an. Lilliput liegt dabei westlich von Australien, während Laputa irgendwo bei Japan treibt.

Die beste Route ins "Neverland", in dem Peter Pan zuhause ist, beginnt "beim zweiten Stern rechts und dann geradeaus bis zum Morgen", so sagt es der Protagonist im 1911 vom James Barrie veröffentlichten Buch. Das Nimmerland sei die Karte "vom Geist eines Kindes", schreibt Barrie. Es "bleibt mehr oder weniger eine Insel mit wunderbaren Farbklecksen hier und da".

Globus: "Hic sunt dracones"

Geografen pflegen "diejenigen Gegenden, welche ihnen unbekannt sind, an den Ecken ihrer Karten zu verstecken und sie als trockne und wilde Sandhügel oder als unwegsame Sümpfe" zu bezeichnen, schrieb Plutarch bereits im 1. Jahrhundert nach Christus. Auch Lewis-Jones beschäftigt sich am Schluss seines Buches mit der Terra incognita, dem unbekannten Land, die Kartografen gerne auf die leeren Stellen ihrer Karten setzten, um Reisende vor den Gefahren unerforschter Länder zu schützen und zu verschleiern, wie wenig sie wussten.

Dafür wurden an diesen Stellen oft auch furchterregende Kreaturen eingezeichnet: An den Grenzen der Terra incognita spuken oft Drachen herum. Auf dem Hunt-Lenox-Globus etwa, dem zweit- oder drittältesten bekannten terrestrischen Globus von 1510, finden sich die lateinischen Worte "Hic sunt dracones" - hier sind Drachen.


Quelle:
KNA