Ulrich Nersinger über Kurioses aus dem Vatikan

"Sitting Bull und der Papst"

Der Vatikankenner Ulrich Nersinger hat ein Buch über Kurioses um und aus dem Vatikan geschrieben. Im Interview gibt er einen Einblick in die Geschichten und spricht über seine Quellen. 

Ulrich Nersinger trifft Franziskus / © privat
Ulrich Nersinger trifft Franziskus / © privat

DOMRADIO.DE: Über Kuriositäten im Vatikan haben Sie ja schon ganz oft geschrieben und haben uns auch schon oft darüber berichtet. Was gab denn jetzt den Ausschlag, dieses Buch zu schreiben?

Nersinger: Ich habe gemerkt, dass diese Kuriositäten, diese Besonderheiten, vor allen Dingen ganz kleine Sachen, die uns im ersten Augenblick gar nicht so bedeutsam erscheinen, viele Leute interessieren. Viele Leute interessieren sich dann auch für den Vatikan, für den Papst, für die Kirchengeschichte. Sie werden sogar neugierig auf die Theologie. Man darf nicht vergessen, dass das Wörtchen "curioso" im Italienischen nicht das heißt, was wir im Deutschen vermuten würden "seltsam", sondern es ist die Bezeichnung für "neugierig". Jemand, der neugierig ist, ist kurios.

DOMRADIO.DE: Ich bin auch neugierig - deswegen steigen wir gleich mal inhaltlich ein: Ihr Buch heißt ja "Sitting Bull und der Papst". Da sind wir auch schon bei einem ziemlich verrückten Thema. "Sitting Bull" ist der Name eines Indianerhäuptlings. Was genau hat er mit dem Papst zu tun?

Nersinger: Das verblüfft natürlich: der berühmteste Indianer Häuptling der USA, Sitting Bull, und der Papst. Wie kommt das zusammen? Da sieht man, dass Geschichte Umwege macht. Aber sehr interessante Umwege. Im letzten Jahrzehnt des alten Kirchenstaates von 1860 bis 1870 hatten wir einen heftigen Kampf um die Einheit Italiens. Auch der Kirchenstaat wurde bedroht. Viele katholische Freiwillige kämpften damals für den Papst, darunter auch Myles Keogh, ein irischer Soldat. Diese Iren, die in der Armee des Papstes gedient hatten, gingen dann überwiegend in die USA und kämpften dort in den verschiedenen Kriegen der Vereinigten Staaten. Einer dieser Offiziere, der Myles Keogh, sich dann vom Papst, als er Rom verließ, ein sogenanntes Agnus Dei. Das ist so ein Sakramentalie, eine geweihte Wachsplatte, das man zum Schutz gegen Böses und gegen Karankheit um den Hals trug. Er erhielt es vom Papst und erhielt auch einen Orden. Den trug er, als es in den USA zu dieser berühmten Schlacht um den Little Big Horn kam.

Als der große Kampf mit den Indianern für die amerikanische Armee sehr schlecht ausging, kam es unter Sitting Bull auch dazu dass die Leute skandiert wurden und dass man ihnen alles raubte, was sie am Körper trugen. Dieser eine, irische Soldat wurde skalpiert. Denn Sitting Bull hatte dieses Amulett gesehen und das hat ihn irgendwie beeindruckt. Er hat das Amulett an sich genommen. Als es dann Jahre später wieder zu einem Aufstand kam, bei dem Sitting Bull getötet wurde, fand man bei ihm um den Hals die Auszeichnung des Papstes und diesese Sakramentalie. Das hat für Verwunderung bei den Ärzten und Soldaten gesorgt. Später sind einige Indianer mit einer ihrer berühmten Wildwest-Shows durch Europa getourt und sind dann auch mit LeoXIII. zusammengetroffen. Die habne ihm dann diese Geschichte erzählt. Man sieht, wie sich da ein geschichtlicher Bogen entwickelt der wirklich verblüfft. So eine Geschichte vermittelt dann auch einen Teil Weltgeschichte.

DOMRADIO.DE: Woher kommt dieser ganze Fundus, Herr Nersinger? Wo kommen diese Informationen her?

Nersinger: Man muss viel, viel lesen. Man muss die zeitgenössische Literatur lesen - auch vieles, was man für unwichtig hält. Man muss die Zeitungen durchgehen, man muss sich auch die kleinen Meldungen anschauen und das, was in den Aufzeichnungen, in Tagebüchern drinsteht. Und dann muss man nachforschen. Man muss nicht direkt wie Indiana Jones nachforschen, aber diese Mentalität braucht es schon. Man muss manchmal auch gewisse Schwierigkeiten überwinden; man muss in den Archiven stöbern; man muss mit Leuten aus der Familie reden, die vielleicht davon noch etwas wissen; man muss wirklich so auf Abenteuersuche gehen und dann findet man relativ viel. Wenn man das dann zusammenträgt, hat man doch doch einen ziemlich großen Fundus. Was ich mit diesem Fundus möchte, das ist nicht nur, mit Anekdoten und Kuriositäten zu amüsieren. Man hat damit auch die Chance, Interesse für die Kirchengeschichte, die Religion, den Vatikan, die Theologie zu wecken. Diese Kuriositäten machen ja meistens auf mehr neugierig. Wenn ich von den Schuhen des Papstes sprechen. Dann frage ich mich: Was tragen denn die Päpste generell? Was fragen sie im normalen Leben? Was tragen sie in der Liturgie? So ein bisschen kann man diese Kuriositäten, diese Besonderheiten auch dazu nutzen, Interesse zu wecken: für Kirchengeschichte, für Theologie, für Philosophie, für all die Sachen, die mit der Kirche und mit Rom zusammenhängen.

Das Interview führte Verena Tröster. 


Quelle:
DR