Präsidentin der Ökumene-Jury sieht Berlinale als fruchtbaren Austausch

"Kirche steht im besten Fall mitten in der Welt"

"Wir hören auf die feinen Töne und schauen auf die, die sonst am Rande stehen" - die Medienwissenschaftlerin Anna Grebe ist Präsidentin der Ökumenischen Jury der diesjährigen Berlinale. Ein Gespräch über Kultur, Kirchenkritik und Tabus in "politisch unruhigen Zeiten".

69. Berlinale / © Jens Kalaene (dpa)
69. Berlinale / © Jens Kalaene ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wofür steht denn die Ökumenische Jury in diesem Jahr?

Grebe: Die Ökumenische Jury steht nicht nur in diesem Jahr sondern insgesamt von unserem Profil her für die feinen Töne, für die Zwischentöne. Wir schauen dorthin und wir hören dort ganz genau hin, wo Themen angesprochen werden, die sonst in unserer Gesellschaft eher am Rande stehen. Wir geben den Stimmen und den Menschen Aufmerksamkeit in unserer Arbeit, die sonst filmisch und auch gesellschaftlich nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen.

DOMRADIO.DE: Wer gehört denn neben Ihnen noch zur Jury?

Grebe: Die Ökumenische Jury besteht aus sechs Personen. Es sind drei Katholikinnen, zwei Protestantinnen und ein Protestant. Wir sind bunt zusammengewürfelt - Menschen aus den USA, aus Kanada, aus Deutschland und aus Uganda.

DOMRADIO.DE: Sie alle werden dann in den nächsten Tagen viele Filme sehen. Gibt es denn für Sie in der Ökumenischen Jury auch Filme, die tabu sind? Es gibt ja auch kirchenkritische Filme auf der Berlinale - "Grace a dieu" zum Beispiel.

Grebe: Und das ist sehr gut so, dass es kirchenkritische Filme gibt. Kirche steht ja nicht außerhalb der Welt. Die Kirche steht im besten Fall mitten in der Welt. Es sind sehr unterschiedliche Filme dabei. Ich finde, Tabus darf es erstmal in der filmischen Arbeit keine geben. Es gibt sicher Themen, über die man diskutieren muss und bei denen man auch sagen darf, dass sie nicht auf die Art und Weise dargestellt worden sind, wie sie künstlerisch ausgedrückt werden können. Aber als Jury haben wir da natürlich keine Mitsprache und das ist ja auch richtig so.

DOMRADIO.DE: Gibt es denn Kriterien, nach denen sie die Filme aussuchen oder auch bewerten?

Grebe: Wir schauen alle sechs gemeinsam alle Wettbewerbsfilme, die in der Konkurrenz laufen. Und wir schauen jeweils noch etwa zehn bis elf Filme in der Sektion "Forum" und in der Sektion "Panorama" - das sind nochmal thematisch spezielle Sektionen. Da wurden uns bestimmte Filme vorgeschlagen, die unter bestimmten Kriterien laufen - zum Beispiel wo es um Fragen menschlicher Werte geht oder um die Verkündigung des Evangeliums. Aber es geht eben auch - und das ist sehr zeitgenössisch und auch wichtig für uns - um das Hadern mit Kirche, Gott und Glauben.

Wir schauen diese Filme an als das, was sie sind: Filme - Ausdruck von Kunst. Aber wir schauen natürlich auch auf den Inhalt. Und in den Juryrunden haben wir vorab überlegt: Was wird uns in diesem Jahr besonders wichtig sein, wenn wir auf die Filme schauen? Da darf ich leider noch nicht ins Detail gehen, weil wir erst etwa die Hälfe aller Filme gesehen haben.

DOMRADIO.DE: Sie haben ja schon durchblicken lassen: Die Filme, die dieses Jahr im Wettbewerb stehen, sprechen auch immer wieder aktuelle Themen an, auch in Bezug auf Religion und Glaube. Ist das ein Phänomen, das in letzter Zeit vermehrt aufgetreten ist? Oder gibt es immer wieder diese Themen rund um Religion und Glaube, die jedes Jahr auf der Berlinale eine Rolle spielen?

Grebe: Ich glaube, das ist genau das, was die Berlinale auch als Publikums-Festival auszeichnet - mit 350.000 verkauften Tickets. Hier geht es wirklich um die Themen, die uns alle bewegen. Kirchliche und religiöse Themen haben auch schon immer eine Rolle gespielt. Ich kann jetzt auch nicht genau sagen, ob das mehr oder weniger wird. Aber insgesamt - in politisch unruhigen Zeiten und in Zeiten, in denen man sich nach der Gerechtigkeit in der Welt fragt - geht es natürlich auch verstärkt darum, diese Fragen filmisch zu beantworten. Und da sehen Sie im Portfolio der Berlinale wirklich alles vertreten, was uns gerade auch außerhalb der Berlinale bewegt.

DOMRADIO.DE: Der Preis der Ökumenischen Jury wird bereits seit 1992 vergeben. Kommen wir mal auf die andere Seite zu sprechen. Gibt es denn Reaktionen, wie dieser Preis der Kirchen bei den Filmschaffenden ankommt?

Grebe: Der Preis kommt sehr gut an bei den Filmschaffenden. Es gibt ja verschiedene unabhängige Jurys, die mit einem ganz besonderen Blick auf filmisches Schaffen gucken. Nicht für jeden ist Kirche - vor allem die katholische Kirche - ein angenehmes Thema oder eine angenehme Institution.

Aber mein Gefühl ist - das hat Berlinale-Indendant Dieter Kosslick beim Ökumenischen Empfang auch nochmal deutlich gemacht: Der Austausch, der Perspektivwechsel - das ist das, worauf es ankommt. Und das erlebe ich tatsächlich auch auf der Berlinale. Das ist auch ein bisschen wie eine Familienfeier: Man trifft sich jedes Jahr und streitet und freut sich aber auch miteinander. Da passieren ganz tolle Dinge - ein toller Austausch, der uns gegenseitig sehr befruchtet. 

Das Interview führte Beatrice Steineke.


Quelle:
DR