Von Nazis beschlagnahmte Kirchenglocke kehrt zurück nach Polen

Eine Dauerleihgabe für Jahrhunderte

Nach 77 Jahren hat eine polnische Gemeinde ihre Glocke wiedergefunden. Im Zweiten Weltkrieg war sie vom Nazi-Regime eingezogen und ist in Münster wieder aufgetaucht. Jetzt soll die Glocke zurück nach Polen gehen – als Leihgabe. 

Hans Manek, Vertreter der polnischen Pfarrei Sławięcice und Professor Flammer vor der Glocke. (Bistum Münster)
Hans Manek, Vertreter der polnischen Pfarrei Sławięcice und Professor Flammer vor der Glocke. / ( Bistum Münster )

DOMRADIO.DE: Warum wurde diese Glocke überhaupt beschlagnahmt?

Prof. Thomas Flammer (Leiter der Abteilung Kunst und Kultur, Bistum Münster): Das war in der NS-Zeit nicht so unüblich, wie es auch im Ersten Weltkrieg schon nicht so unüblich war, dass man versucht hat, Metalle einzusammeln, um kriegsfähig zu bleiben. Im Deutschen Reich dann im Jahr 1940 von Hermann Göring beschlossen, Kirchenglocken einzuziehen.

DOMRADIO.DE: 77 Jahre galt diese Glocke aus Polen als vermisst und ist jetzt von der polnischen Kirchengemeinden Münster gefunden worden. Wie kam es zu diesem Fund und warum in Münster?

Flammer: Das ist ein bisschen obskur, denn eigentlich müsste diese Glocke in Aachen stehen. Warum sie nach dem Krieg in Münster gelandet ist, das konnten wir hier auch nicht mehr feststellen.

Es ist so, dass nach dem Krieg noch 1.300 Glocken nicht eingeschmolzen waren, die aus den ehemaligen Ostgebieten kamen, also aus Ostpreußen oder aus Schlesien. Die sind dann Anfang der 50er-Jahre von der britischen Militärregierung als sogenannte Leih- oder Patenglocken freigegeben worden, um in den neu gebauten Kirchen in Westdeutschland dann weiter ihren Dienst zu tun. Und davon sind einige anscheinend nicht aufgehängt worden.

DOMRADIO.DE: Werden noch viele solcher Glocken vermisst?

Flammer: Es gibt ein Glocken-Verzeichnis. Auch im Dritten Reich war ich die Administratur immer sehr genau. Man kann Klicken oder tippen Sie hier, um Text einzugeben. nachvollziehen, aus welchem Gebiet welche Glocke stammt. Die Glocken sind in Kategorien eingeteilt worden, von A bis D. Die Glocke, von der wir jetzt sprechen, ist eine Glocke der Kategorie C. Das heißt, sie ist künstlerisch wertvoll und deswegen ist sie auch nicht sofort eingeschmolzen worden.

DOMRADIO.DE: Wie hat denn die polnische Kirchengemeinde reagiert, als letztendlich diese Glocke gefunden wurde?

Flammer: Die Freude ist natürlich riesig. Wir hatten eigentlich gehofft, dass die Glocke schon in diesem Jahr übergeben werden könnte. Aber da die Glocke offiziell im Besitz der Bundesrepublik Deutschland ist, als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches - obwohl das auch nicht so ganz geklärt ist, wem die Glocken letztendlich gehört - musste erst mal der Weg über Berlin gegangen werden, um die Glocke an die polnische Gemeinde zu verleihen. Sie geht nicht wieder in den Besitz über, sondern es ist ein Unter-Leihvertrag geschlossen worden, mit dem Bistum und mit dem Bund, der aber als Dauer-Leihvertrag für die nächsten Jahrhunderte gelten soll. Sobald es die Corona-Lage und die Reiselage es erlauben, wird die Glocke nach Polen kommen.

Wir stehen hier in Kontakt mit der polnischen Gemeinde. Alles ist auf Abruf. Dann wird die Glocke, ich hoffe, im ersten halben Jahr des nächsten Jahres zurück an ihren heimatlichen Standort kommen.

Das Gespräch führte Julia Reck. 


Quelle:
DR