Bewohner im syrischen Afrin fürchten Operation "Olivenzweig"

"Die Menschen haben Todesangst"

Unter dem Namen "Olivenzweig" kämpft die türkische Armee in Nordsyrien. An ihrer Seite sind auch islamistische arabische Milizen. Die Christen, Jesiden, Aleviten und moderaten Muslime von Afrin haben Todesangst.

Autor/in:
Mey Dudin
Eigentlich ist der Olivenzweig ein internationales Friedenssymbol / © Marie Accomiato (KNA)
Eigentlich ist der Olivenzweig ein internationales Friedenssymbol / © Marie Accomiato ( KNA )

Eigentlich ist der Olivenzweig ein internationales Friedenssymbol. Auch im Islam erfährt der Baum große Wertschätzung. Doch seit dem Wochenende ist "Olivenzweig" der Name einer türkischen Militäroperation im Nachbarland Syrien. Das Ziel: die Region Afrin, in der überwiegend Kurden leben und Angehörige von Minderheiten wie Aleviten, Jesiden und Christen.

Und die fürchten sich vor allem vor radikalen Islamisten, die an der Seite der Türkei kämpfen, um kurdische Milizen aus dem strategisch wichtigen Grenzgebiet zu vertreiben.

Menschen haben Todesangst

Kamal Sido wurde als sunnitischer Kurde in Afrin geboren und lebt heute in Deutschland. Der Nahost-Referent der "Gesellschaft für bedrohte Völker" hält Kontakt zu Bewohnern des umkämpften Gebiets - auch seine Mutter ist dort. "Die Menschen haben Todesangst", sagt er.

Denn die Türkei benutze Religion als Instrument der Mobilisierung. Die Armee rücke gemeinsam mit islamistischen, gar dschihadistischen Truppen vor. Und für die seien die Kurden von Afrin Ungläubige. "Selbst meine Mutter, die muslimisch und konservativ ist, ist für die heranrückenden Truppen nicht gläubig genug." Viele versteckten sich nun in Höhlen der umliegenden Berge.

Staatlichen türkische Medien zufolge führt die Türkei einen Anti-Terror-Kampf, um die nationale Sicherheit zu gewährleisten. Die Operation richte sich gegen kurdische Milizen wie der PYD und PKK sowie der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS), heißt es da. Nur sie seien Ziele. Doch die religiöse Inszenierung des Militäreinsatzes lässt viele schaudern: So wurde laut der türkischen Zeitung "Hürriyet Daily News" am Wochenende in allen 90.000 Moscheen der Türkei die Koransure "Der Sieg" gesprochen, für einen Sieg des Militärs.

Schwierige Kommunikation

Historiker Sido sagt, die meisten Muslime in Afrin seien moderat. Es gebe dort sogar viele Menschen, die vor wenigen Jahren zum Christentum konvertiert seien, "weil sie vom radikalen Islam die Nase voll hatten". Valentin Hannan, Pastor der protestantischen Kirche des guten Hirten veröffentlichte am Wochenende einen Hilferuf auf Facebook und appellierte an die internationale Gemeinschaft, schnell einzugreifen. Die rund 250 christlichen Familien in der Stadt Afrin und den umliegenden Dörfern würden bombardiert.

Die Kommunikation mit den rund 800.000 Bewohnern ist schwierig. Die Türkei habe das Internet gekappt, die syrischen Netze seien häufig zu schwach, heißt es. Der Zentralrat der Jesiden in Deutschland hat einen Krisenstab eingerichtet, der versucht, Kontakt zu den rund 15.000 Jesiden in Afrin zu halten. "Acht jesidische Dörfer sind akut gefährdet", sagt Irfan Ortac, der Vorsitzende des Rates. Ein Dorf sei menschenleer. Die Bewohner seien geflüchtet, nachdem ein Zivilist getötet worden sei. Wegen der Angriffe sei es unmöglich gewesen, ihn zu begraben.

Kaum Fluchtmöglichkeiten

Viele Fluchtwege hätten die Menschen jedoch nicht. Sie könnten nur von Dorf zu Dorf ziehen, "andere Wege sind versperrt". Ortac misstraut vor allem der sogenannten Freien Syrischen Armee, die die türkische Armee im Kampf unterstützt. Der Name möge liberal klingen, sagt er. "Aber davon sollte man sich nicht täuschen lassen. Es handelt sich um Dschihadisten, ideologisch nicht zu unterscheiden von jenen Dschihadisten, die man in Rakka und Mossul bekämpft hat."

In Berlin wollte die Bundesregierung eine völkerrechtliche Einordnung der Ereignisse mit Verweis auf eine "komplexe und fluide Lage" zunächst nicht vornehmen. Das Auswärtige Amt ließ wissen: Syrien brauche ein Ende der Gewalt, Ansätze der Stabilisierung, eine politische Lösung. Zu Bildern, die den Einsatz von deutschen Leopard-Panzern durch die türkische Armee nahe legen, lagen den zuständigen Ministerien "keine eigenen Erkenntnisse" vor.

Der stellvertretende Vorsitzende der Alevitischen Gemeinde Deutschland, Aziz Aslandemir, ist verärgert: "Die Kurden, die über Jahre den IS bekämpft haben, werden jetzt alleine gelassen von den sogenannten Schutzmächten." Und Jesiden-Repräsentant Ortac befürchtet ein Ende des jesidischen Lebens in Syrien. Einmal ausgewanderte Jesiden aber "werden nicht mehr in diese Region zurückkehren".


Türkische Offensive "Olivenzweig" in Nordsyrien / © Lefteris Pitarakis (dpa)
Türkische Offensive "Olivenzweig" in Nordsyrien / © Lefteris Pitarakis ( dpa )
Quelle:
epd