Theologe Gregor Buss zum Tod Schimon Peres'

"Diese Lücke kann kein anderer füllen"

"Er war nicht nur ein Visionär, sondern auch ein Pragmatiker", so beschreibt Dr. Gregor Buss von der Hebräischen Universität Jerusalem das Lebenswerk Schimon Peres'. Im domradio.de-Interview spricht er über Peres' Einsatz für den Frieden.

Schimon Peres / © Jens Büttner (dpa)
Schimon Peres / © Jens Büttner ( dpa )

domradio.de: Sie leben in Jerusalem und haben viele Kontakte zu Israelis. Wie ist dort die Nachricht vom Tod Schimon Peres' aufgenommen worden?

Dr. Gregor Buss (Hebräische Universität in Jerusalem, Bereich Interkulturelle Ethik): Das ist natürlich das Gesprächsthema Nummer Eins am heutigen Tag. Ich bin an der Uni tätig und bin auf dem Flur zahlreichen israelischen Kollegen begegnet. Natürlich haben wir uns über diese traurige Nachricht unterhalten. Die Kollegen meinten, dass ein Gefühl der Einheit hier im Land eingetreten ist. Es gibt ja innerhalb der israelischen Politik viele Gräben, aber heute ist ein Tag, wo alle Parteien zusammenstehen und das Lebenswerk dieser Lichtgestalt Schimon Peres würdigen. Dadurch herrscht wirklich eine besondere Stimmung im Land. Es wurde vorgeschlagen, dass heute die erste Unterrichtsstunde an allen Schulen Schimon Peres gewidmet wird. Die Vorbereitungen auf den großen Staatsakt am Freitag laufen. Also, dieses Land ist gerade in tiefer Trauer und sehr bewegt.

domradio.de: Für Freitag haben auch Bundespräsident Joachim Gauck und US-Präsident Barack Obama ihr Kommen angekündigt. Sie haben eben gesagt: "Lichtgestalt" - Schimon Peres hat sich einerseits immer für Frieden und Verständigung eingesetzt, andererseits hat er aber auch immer wieder das Vorgehen Israels verteidigt, wie zum Beispiel den Bau der Mauer. Saß er da als Politiker auch zwischen den Stühlen?

Buss: Das kann man wohl so sagen. Sein ganzes Leben war eigentlich von einer gewissen Ambivalenz geprägt. Schimon Peres war nie nur allein der Visionär, der Träume und Ideen hatte, sondern auch immer der Pragmatiker, der die Ärmel hochgekrempelt hat und seine konkreten Ideen auch umsetzen wollte. Dadurch gab es viele Konflikte und vielleicht Widersprüchlichkeiten im Laufe seiner Zeit.

Er hat natürlich als jüdischer, israelischer Staatsbürger auch für die Sicherheitsinteressen Israels plädiert und dadurch auch den Mauerbau unterstützt. Zu der Zeit gab es unendlich viele Terroranschläge und er hat Partei dafür ergriffen, dass diese Mauer auch zum Schutz Israels gebaut werden musste. Aber dennoch bleibt er der stärkste Friedensfürsprecher auf israelischer Seite und er kann auch so schnell nicht ersetzt werden. Da ist kein Ersatz für ihn in Sicht.

domradio.de: Er hat ja als Staatspräsident Israels sowohl Benedikt XVI. als auch Papst Franziskus auf Israel-Reisen begrüßt. Wie stand Peres zu den Christen im Heiligen Land, die ja immer weniger werden?

Buss: Peres hatte eine gewisse religiöse Sensibilität. Er wusste um die Bedeutung von Religion. Ich glaube, dass er mit zunehmendem Alter mehr und mehr erkannt hat, dass viele Konflikte religiös unterwandert oder überlagert sind. Ihm war bewusst, dass das Gespräch zwischen den Religionen die Vorbedingung ist für den Frieden zwischen den Völkern. Insofern hat er die beiden katholischen Päpste mit sehr großem Wohlwollen hier in Israel begrüßt. Er ist ja auch selbst in den Vatikan gereist. Inbesondere zu Franziskus hatte er - glaube ich - ein sehr enges Verhältnis. Die beiden haben sich sehr gut verstanden. Für Peres war es sehr wichtig, dieses religiöse Erbe immer im Blick zu haben und sich für den Frieden zwischen den Religionen einzusetzen.

domradio.de: Peres war ja 2014 zu einem Friedensgebet im Vatikan, gemeinsam mit Palästinenserpräsident Abbas. Wie ist das bei den Isralis angekommen? 

Buss: Das war ja eine relativ sponane Aktion. Papst Franziskus war im Mai 2014 in Israel zu Besuch, hatte gemeinsam mit Abbas und Peres die Idee entwickelt, dass es so ein Friedenstreffen geben könnte und hat beide dann spontan eingeladen. Peres hatte nur noch einige Wochen im Amt. Deswegen drängte die Zeit und man traf sich schon einige Wochen später im Vatikan. Natürlich wurde das auch in Israel als historisches Ereignis wahrgenommen. Es gab lange keine großen Friedensinitiativen mehr. Und dass das durch diesen Papst möglich wurde, wurde sehr wohl wahrgenommen.

Die Hoffnungen wurden aber dann von der Realität schnell wieder eingeholt: Das Friedenstreffen fand im Juni statt und bereits im Juli gab es eine sehr große kriegerische Auseinandersetzung im Gazastreifen. Man könnte also denken, das Gebet wurde nicht erhört. Ich glaube aber trotzdem, dass das als symbolischer Akt nochmal sehr wichtig war, um die Hoffnung auf Frieden zu erhalten.

domradio.de: Bleibt Schimon Peres auch nach seinem Tod Vorbild oder gilt er als Träumer und man geht bald nach der Beisetzung wieder zur realen Politik über? 

Buss: Schimon Peres wird eine sehr wichtige Figur bleiben. Er hat übrigens auch in den letzten Jahren innerhalb Israels deutlich an Ansehen gewonnen. Es gibt ja diesen Spruch: "Ein Prophet gilt in seiner Heimat nichts." Das galt Jahrzehnte lang auch für Peres. Er war immer im Ausland der Star, aber im Inland wurde er kritisch beäugt. Durch seine Zeit als Staatspräsident von 2007 bis 2014 hat er sich aber ein bisschen mit seinem eigenen Volk versöhnt. Mittlerweile gilt er als ganz prägende Gestalt, auch in Israel. Für viele Israelis ist er außerdem der letzte einer alten Garde. Schimon Peres war der einzige, der noch lebte, der dieses Erbe der ersten Jahre des Staates Israels noch aufrecht erhielt. Insofern hinterlässt er eine Lücke, die kein anderer mehr füllen wird.

Das Interview führte Uta Vorbrodt. 


Dr. Gregor Buss / © privat
Dr. Gregor Buss / © privat
Quelle:
DR