Dialogprozess und Reformdebatten beim Katholikentag in Mannheim

Im Zeichen des Aufbruch-Slogans

Der heute in Mannheim beginnende Katholikentag steht im Zeichen der Reformdebatten, die seit einigen Jahren die katholische Kirche in Deutschland erfasst haben. Das Motto des Großereignisses lautet "Einen neuen Aufbruch wagen".

Autor/in:
Ludwig Ring-Eifel
 (DR)

Es wird symbolisiert durch einen roten Rucksack, der offenbar die einst beliebte Idee von der Kirche als "pilgerndem Gottesvolk" wiederbeleben soll. "Gott bricht zu uns auf" ist der Titel des großen Abschlussgottesdienstes am Sonntag. Und im Lauf des Katholikentages sind etliche Gottesdienste dem Aufbruchs-Thema gewidmet. Der provokanteste Gottesdiensttitel lautet: "Großsekte oder Kirche des Aufbruchs". Nach dieser Ansage dürfte es schwer werden, sich der allgegenwärtigen Aufbruchs-Rhetorik zu verweigern.



Nicht ganz zufällig deckt sich das Aufbruchs-Motto mit der Überschrift, unter die das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) die Ergebnisse einer Auftaktveranstaltung zum bundesweiten kirchlichen "Dialogprozess" vom vergangenen Juli gestellt hatte. Damals trafen sich, ebenfalls in Mannheim, katholische Laien-Verbandsvertreter, Theologen und Anhänger geistlicher Gemeinschaften, um mit Bischöfen und anderen leitenden Klerikern in einem Kreis von 300 Personen über Gegenwart und Zukunft der Kirche zu debattieren.



Die Ergebnisse des "Dialog-Auftakts" sind unter www.einen-neuen-aufbruch-wagen.de zu besichtigen, und sie geben Aufschluss über den geistigen Zustand der kirchlichen Führungsschicht. Liest man ergänzend die Worte einiger Bischöfe, mit denen sie ähnliche Prozesse im eigenen Bistum zu befeuern versuchen, ergibt sich ein spannungsreiches Bild.



Seit 2008 der Fokus auf das Innerkirchliche

Nach dem Mannheimer Brainstorming, das der Standortbestimmung der katholischen Kirche in Deutschland dienen sollte, betonten die Beteiligten, es sei gut, dass ein Anfang gemacht wurde. Beim jetzigen, sehr viel breiter angelegten Katholikentreffen lautet die spannende Frage, ob aus der Aufbruchs-Rhetorik eine Aufbruchs-Stimmung wird. Wegen der breiteren Beteiligung der Basis sind Katholikentage oft ein Seismograph für den Zustand der Kirche.



Es gab von innerkirchlichem Streit geprägte Katholikentage, etwa 1968 in Essen und 1970 in Trier. In anderen Jahren kreiste man um politische Streitfragen. Friedensbewegung und Anti-Atom-Protest hatten in den 1980er Jahren auch bei den Christentreffen Hochkonjunktur. Dann dominierten die Folgen der deutschen Wiedervereinigung. Noch 2006 in Saarbrücken setzte man unter dem Motto "Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht" einen gesellschaftspolitischen Schwerpunkt.



Seither fokussieren sich die Treffen mehr aufs Innerkirchliche: "Du führst uns hinaus in Weite" lautete der optimistische Slogan in Osnabrück 2008, und mit dem Aufbruch-Slogan für 2012 ist die die innerkirchliche Reformdebatte endgültig im Zentrum der Katholikentage angekommen.



Auch ein Thema: die "Entweltlichungs-Rede"

Beim Stichwort "Reform" denken viele Katholiken heute allerdings an ganz andere Entwicklungen. Sie sind beunruhigt durch kirchliche Strukturreformen mit ihren heftigen Auswirkungen auf Pfarreiarbeit und Seelsorge. Die Auflösung alter Gemeinden und Gewohnheiten geht sie viel unmittelbarer an als der vor einem Jahr in Mannheim begonnene "Dialogprozess", bei dem auch Themen wie Zölibat, Unauflöslichkeit der Ehe, Gleichberechtigung und Demokratie in der Kirche behandelt werden.



Hinzu kommt die von Papst Benedikt XVI. bei seinem Deutschlandbesuch mit seiner Freiburger "Entweltlichungs-Rede" ausgelöste Debatte. Auch der Papst und seine Getreuen wollen eine Reform der Kirche - wenn auch eine etwas andere als jene, die beim Dialogprozess gefordert wird. Dass mithin gleich drei unterschiedliche Veränderungsschübe die katholische Kirche in Deutschland erfasst haben, verschärft die Unsicherheit und könnte die Debatten in Mannheim befeuern.