Grüne fordern in Diskussion um Beschneidungen rechtliche Regelung

Ein Fall für Berlin, nicht Karlsruhe

In der Beschneidungsdebatte fordern die Grünen für die in Deutschland lebenden Juden und Muslime baldige Rechtssicherheit. "Weiter warten, wird neue Probleme schaffen", so Fraktionschefin Renate Künast im domradio.de-Interview.

 (DR)

domradio.de: Wenn einem Jungen teilweise oder vollständig die Penisvorhaut entfernt wird, greift man damit zunächst mal in die körperliche Unversehrtheit des Kindes ein. Ist das deshalb rechtswidrig?

Künast: Das muss man unter allen Aspekten betrachten: die körperliche Unversehrtheit des minderjährigen Jungen, das Erziehungsrecht der Eltern und die Religionsfreiheit. Deshalb habe ich zusammen mit Volker Beck ja auch einen Text veröffentlicht, der sagt: Juden und Muslime in Deutschland brauchen Rechtssicherheit. Vergleichen Sie es mal mit dem Thema Ohrringe: Es kann deshalb am Ende keine Straftat sein. Und dazu brauchen wir eine Regelung.



domradio.de: Christen, Juden und Muslime beklagen, dass die Religionsfreiheit verletzt wird. Zu Recht?

Künast: Ja, zu Recht. Das Dumme ist: Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, ist also keine Präjudiz für weitere Fälle - schafft aber Verunsicherung. Und was ich eigentlich erleben möchte, ist, dass Menschen jüdischen oder muslimischen Glaubens ihre Kinder im Ausland kriegen, um dort eine Beschneidung und eine Aufnahme in die Gemeinschaft vorzunehmen. Das kann nicht das Ziel sein. Das Gericht hat ein weltweit einmaliges Urteil gefällt. Anders als die Bundesjustizministerin hoffe ich jetzt aber nicht auf das klärende Wort eines oberen Gerichts. Da müssten wir erst mal hinkommen. Das dauert lange, darauf können wir warten.



domradio.de: Aber wie ist Rechtssicherheit möglich?

Künast: Wir diskutieren jetzt als Fraktion, ob und wie man das gesetzlich regeln könnte. Da müsste man eine Regelung im Strafgesetzbuch finden. Wir werden in der nächsten Zeit mit Religionswissenschaftlern, Medizinern und Strafrechtlern überlegen, ob und wie man es regeln kann. Auf einen Präzedenzfall zu warten, der über mehrere Institutionen geht, würde Jahre dauern. Politik ist verpflichtet, einen kürzeren Weg zu finden, der gangbar ist.



domradio.de: Jetzt hat es beispielsweise in einem jüdischen Krankenhaus in Berlin schon eine Konsequenz gegeben, dort will man bis auf weiteres keine religiös begründeten Beschneidungen an Jungen mehr vornehmen, um eben angesichts der rechtlichen Unsicherheit die Chirurgen zu schützen. Besteht nun die Gefahr, dass Pfuscher die Eingriffe vornehmen?

Künast: Die Gefahr besteht. Und dann gibt es noch mehr Hygiene-Probleme, das ist nicht gut für die Kinder. Und wer viel Geld hat, kann ins Ausland gehen. Eine insgesamt nicht akzeptable Situation, wenn man vier Millionen Menschen muslimischer Herkunft hat und Hunderttausende jüdischen Glaubens. Deshalb muss man schon aus historischen Gründen sagen: Das muss uns im Bundestag Ansporn sein, eine Regelung zu finden. Weiter warten, wird neue Probleme schaffen.



Das Gespräch führte Uta Vorbrodt.