Kardinal Meisner kritisiert das Kölner Beschneidungsurteil

"Eingriff in die Religionsfreiheit"

Die Kritik am Urteil zur Beschneidung von Jungen hält an. Erzbischof Joachim Kardinal Meisner bezeichnete den Spruch der Kölner Richter als "Eingriff in die Religionsfreiheit". Unterdessen reagierte das erste Krankenhaus auf die neue Vorschrift.

Joachim Kardinal Meisner (DR)
Joachim Kardinal Meisner / ( DR )

Das Landgericht Köln hatte Anfang der Woche die Beschneidung eines minderjährigen Jungen aus religiösen Gründen als Körperverletzung bewertet. Der Zentralrat der Juden in Deutschland sprach daraufhin von einem "beispiellosen und dramatischen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften". Er forderte den Gesetzgeber auf, Rechtssicherheit zu schaffen und die Religionsfreiheit zu schützen.



Diese scharfe Kritik sei berechtigt, kommentierte am Freitag (29.06.2012) der Kölner Erzbischof in einer Stellungnahme. Das Urteil konstruiere eine "Schutzpflicht des Staates gegenüber einer Elternentscheidung, die für jüdische Eltern eine biblisch begründete Elternpflicht ist und für muslimische Eltern in einer verpflichtenden religiösen Tradition gründet".



"Derartigen Tendenzen, die Religionsfreiheit und damit das religiöse Erziehungsrecht von Eltern in Deutschland einzuschränken, ist entschieden entgegenzutreten", so Meisner weiter. "Wir Christen erwarten gemeinsam mit Juden und Muslimen, dass höherrangige Gerichte diesen Eingriff in die Religionsfreiheit zurücknehmen."



Keine Beschneidungen an Jüdischem Krankenhaus

Das Jüdische Krankenhaus Berlin nimmt nach dem Urteil vorläufig keine religiös begründeten Beschneidungen an Jungen mehr vor. Grund sei die Bewertung dieses Eingriffs als Straftat durch das Landgericht Köln, wie der Chefarzt für Innere Medizin des Krankenhauses, Kristof Graf, in der Berliner "tageszeitung" (Samstag) erklärte. Nach Prüfung des umstrittenen Urteils durch Juristen wolle das Krankenhaus seine Chirurgen nicht in einem rechtsfreien Raum operieren lassen. Der Kölner Richterspruch schaffe bei den Ärzten "große Unsicherheit". Das Krankenhaus wolle diese seit 250 Jahren wahrgenommene medizinische Aufgabe jedoch bald wieder erfüllen, so Graf.



Nach Grafs Angaben nahm das Krankenhaus im vergangenen Jahr rund 300 Beschneidungen vor. Davon sei mehr als jede dritte religiös motiviert gewesen. Die meisten seien jedoch nicht an jüdischen, sondern an muslimischen Jungen vorgenommen worden. Das Jüdische Krankenhaus in Berlin-Mitte hat viele Patienten türkischer Herkunft.



Diskussion hält an

Auch der Menschenrechtsexperte Heiner Bielefeldt äußerte sich am Donnerstag kritisch. Es gehöre zu den Menschenrechten, dass Menschen durch Gemeinschaft und rituelle Praxis ihre Religionszugehörigkeit dokumentieren, so Bielefeldt im Interview mit DeutschlandradioKultur. Dies werde vom Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte ebenso garantiert wie das Elternrecht, ihre Kinder religiös zu erziehen, betonte der UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit. Die Religionsfreiheit komme in dem Urteil viel zu kurz.



Für die Evangelische Kirche im Rheinland betonte Oberkirchenrätin Barbara Rudolph: "Jüdische und muslimische Beschneidung, wie sie in aller Welt und auch bei uns in Deutschland durchgeführt wird, beeinträchtigt das Wohl des Kindes nicht." Auch das Recht des Kindes, sich später selber für oder gegen einen bestimmten Glauben zu entscheiden, bleibe damit unbenommen. Mit "Gewalt gegen Kinder" oder Genitalverstümmelungen habe die jüdische und muslimische Beschneidungspraxis nichts zu tun.



Besorgt über die Reaktionen auf das Beschneidungsurteil äußerte sich die Deutsche Kinderhilfe. Die Auswirkungen der Beschneidung auf Jungen würden verharmlost. Notwendig sei ein Mentalitätswandel, denn allein über das Strafrecht lasse sich "millionenfache Kindesmisshandlung aus religiösen Gründen" nicht abschaffen, forderte der Verein.