Eine Rabbinerin und Kinderurologin zum Beschneidungsurteil

"Wie wenn Sie Christen die Taufe verbieten wollten"

Das Landgericht Köln hatte Ende Juni die Beschneidung eines muslimischen Jungen als Körperverletzung gewertet. Vertreter der Kirchen kritisierten das Urteil scharf. Auch für die Bamberger Rabbinerin und Kinderurologin Antje Yael Deusel darf die Entscheidung so nicht stehenbleiben.

Autor/in:
Christoph Renzikowski
 (DR)

KNA: Frau Rabbinerin Deusel, eine rituelle Beschneidung kleiner Kinder soll jetzt in Deutschland als Körperverletzung strafbar sein. Wie bewerten Sie diese Gerichtsentscheidung?

Deusel: Sie gilt zunächst für den Einzelfall, aber es ist davon auszugehen, dass sich andere Gerichte darauf beziehen werden. Insofern muss die Frage auf höchstrichterlicher Ebene noch einmal behandelt und entschieden werden. Das Urteil kann so nicht stehenbleiben.



KNA: Sie sind seit zwölf Jahren auch für rituelle Beschneidungen qualifiziert. Wie gehen Sie selbst mit der neuen Rechtslage um?

Deusel: Momentan mache ich aus zeitlichen Gründen keine rituellen Beschneidungen. Aber ich würde schon erst einmal abwarten, bis Rechtssicherheit da ist. Nur kann das sehr lange dauern. Es ist den Eltern aber unbenommen, zu jemand anderem zu gehen, der das anders handhabt.



KNA: Was raten Sie jüdischen Eltern als Rabbinerin?

Deusel: Das ist richtig schwierig. Denn es geht um die Grundlage unserer Religion, die Aufnahme als vollwertiges Mitglied in den jüdischen Bund mit dem Ewigen. Das wäre so, wie wenn Sie Christen die Taufe verbieten wollten. Momentan wird so getan, als habe ein Kind nicht das Recht, in eine Religion hineinzuwachsen.



KNA: Das Gericht schlug vor, den Termin auf ein Alter zu verschieben, in dem die Betroffenen selbst entscheiden können.

Deusel: Das wäre grausam. Jugendliche kriegen das im Unterschied zu Kleinkindern voll mit und haben dann Angst. Die könnten ihren Eltern mit Recht vorwerfen: Warum habt Ihr das nicht gemacht, als ich ein Säugling war? Außerdem heilt das bei kleinen Kindern viel schneller. Da sieht man nach drei, vier Tagen fast nichts mehr. Bei Erwachsenen dauert das zwei Wochen und länger. Natürlich erfolgt der Eingriff stets unter Betäubung. Es geht aber auch gar nicht um Schmerzen, sondern das ganze Drumherum und die psychische Belastung.



KNA: Bis wann sollte die Beschneidung spätestens erfolgen?

Deusel: Die rituelle Vorgabe sagt: Am achten Tag nach der Geburt, außer es gibt Kontraindikationen. Und es ist genau festgelegt, was zu tun ist. Ein Ritzer oder ein Stich kommt als Alternative nicht in Frage. Das Gebot gilt außerdem in doppelte Richtung: in die der Eltern und in die des Jungen, der beschnitten sein muss. Wenn er das nicht erfüllt, wird ihm das vielleicht zunächst egal sein, aber wenn er älter ist, sieht er, dass andere beschnitten sind und merkt dann, er gehört nicht dazu.



KNA: Sie haben auch in Jerusalem gearbeitet. Wie denkt man in Israel?

Deusel: Dort wäre es undenkbar, nicht beschnitten zu sein. Diese Vorstellung löst unter Medizinstudenten Gefühle von Ekel aus. Also - es kommt immer auch auf das Umfeld an: Wenn ich dem Kind einrede, das sei ganz schlimm, wird es sich auch Gedanken machen. Das wird nicht so sein, wenn Beschnittensein als ganz normal gilt. Eine Gesellschaft sollte sich damit gar nicht groß aufhalten. Der eine ist beschnitten, der andere nicht - na und?



KNA: Einmal angenommen, höchste deutsche Gerichte bestätigen das Verbot. Was würde dies für das Judentum in Deutschland bedeuten?

Deusel: Dann sind sie uns los (lacht). Dann müssen wir leider auswandern. Aber Nichtjuden verstehen auch nicht genau, warum das so ist. Da gibt es merkwürdige Vorstellungen, wie an manchen Leserbriefen zu sehen ist.



KNA: Haben die Juden für ihre rituellen Verpflichtungen jetzt ein Begründungsproblem?

Deusel: Ich möchte mich nicht dafür rechtfertigen müssen, dass ich jüdisch bin und jüdisch lebe. Oft begegne ich einer gewissen Gedankenlosigkeit, die sich dann in so Sätzen ausdrückt wie: Wer bei uns lebt, soll sich halt anpassen. Das Zeichen der Beschneidung wurde aufrechterhalten in Zeiten schlimmster Verfolgung, etwa in der Sowjetunion. In der Makkabäerzeit war ein Beschneidungsverbot mit ein Grund für den jüdischen Aufstand, weil damit die Assimilation erzwungen werden sollte. Assimilation kann man anbieten. Wenn man sie erzwingt, gibt es keine Religionsfreiheit mehr.



KNA: Warum ist die Beschneidung von Jungen für den jüdischen Glauben unverzichtbar?

Deusel: Das ist sozusagen die Unterschrift unter den Bundesschluss. Schauen Sie, gegen Piercing und Tattoos hat keiner was, die jüngsten Mädels laufen damit herum. Und die Kinder sind nicht immer schon so alt, dass man sagen könnte, sie seien gefestigt genug, um den Rest ihres Lebens mit einem flammenden Herzen auf der Haut zu verbringen. Aber es ist schick. Bei uns geht es um etwas anderes. Die Beschneidung ist eines der wenigen absoluten und unveräußerlichen Gebote im Judentum. Wie der Schabbat. Der lässt sich auch nicht auf den Sonntag verlegen nach dem Motto: Da ist ja sowieso frei.



Buchhinweis: Antje Yael Deusel, Mein Bund, den Ihr bewahren sollt. Religionsgesetzliche und medizinische Aspekte der Beschneidung, Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2012, 170 Seiten, 19,95 Euro.