EKD-Ratspräsident Bedford-Strohm zur Seenotrettung

“Wir können gar nicht anders“

Mit einem eigenen Schiff zur Seenotrettung will sich die Initiative “United4Rescue“ unter Beteiligung der Evangelischen Kirche in Deutschland aufs Mittelmeer begeben. Darf sich eine Kirche auf diese Art politisch engagieren?

Aus Seenot gerettete Flüchtlinge / © Filip Singer (dpa)
Aus Seenot gerettete Flüchtlinge / © Filip Singer ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie wollen ein Schiff zur Seenotrettung ins Mittelmeer zu schicken. Wie ausgereift ist der Plan?

Henrich Bedford-Strohm (Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland / EKD): Wenn Menschen in Lebensgefahr sind, muss ihnen geholfen werden. Deswegen wollen wir ein weiteres Schiff schicken. Das ist Teil einer Gesamtstrategie, die Diakonie und Caritas verfolgen – nämlich einfach Menschen in Not zu helfen. Auch Flüchtlingen zu helfen, egal wo sie sind.

Dass im Mittelmeer im Moment Menschen ertrinken, dass die staatliche Seenotrettung eingestellt ist, das ist unerträglich. Deshalb sagen wir: Wir dürfen nicht nur reden, wir müssen auch handeln. Dazu wollen wir jetzt in diesem Bündnis Spenden sammeln und dann ein Schiff erwerben, das als zusätzliches Rettungsschiff im Mittelmeer dann tatsächlich auch Menschen retten kann. Wir haben auch ein bestimmtes Schiff im Blick. Da wird sich Ende Januar entscheiden, ob wir das auch bekommen können. Gleichzeitig ist unser Partner Sea-Watch auf der Suche nach weiteren Möglichkeiten. Es geht also jetzt zunächst mal darum, ein Schiff zu erwerben. Als erster Schritt dazu müssen wir aber erst mal die Spenden sammeln.

DOMRADIO.DE: Halten Sie es nicht für problematisch, als Kirche auf diese Art politisch tätig zu werden?

Bedford-Strohm: Wir können gar nicht anders, als in unserem Engagement für Flüchtlinge auch den politischen Horizont mit einzubeziehen. Es ist unwürdig, dass wir jetzt schon seit Jahren erleben, dass Menschen aus Seenot gerettet werden, und dann das Verhandeln beginnt. Jetzt ist auch ganz aktuell ein Schiff mit geretteten Flüchtlingen auf dem Meer, und kann nicht an Land.

Deswegen haben wir schon seit längerem einen europäischen Verteilmechanismus gefordert, der es möglich macht, dass gerettete Flüchtlinge an Land gehen können und dann auf europäische Länder verteilt werden. Über 100 Städte in Europa haben sich bereit erklärt, Flüchtlinge aufzunehmen. Es muss politisch durchgesetzt werden, dass diese Menschen wirklich einen Ort haben, wo sie hin gehen können. Deswegen kann man das caritative Engagement, das persönliche Engagement, das direkte Hilfs-Engagement und den politischen Horizont nicht gegeneinander ausspielen, denn das eine bedingt das andere.

Wir wollen hier jetzt ein deutliches Zeichen setzen, dass die zivilen Seenotretter die einzigen sind, die noch Menschen auf dem Mittelmeer retten und sie in sichere Häfen bringen. Wir unterstützen sie. Insofern ist es sowohl direkte Hilfe, Menschenleben zu retten, als auch ein politisches Signal.

DOMRADIO.DE: Eine klare Aussage, die im Sommer beim Kirchentag von Ihnen kam, lautet: “Europa verliert seine Seele, wenn wir so weitermachen“ – Wie lautet Ihr Appell an die EU-Staaten?

Bedford-Strohm: Der Appell heißt: Kriminalisierung von zivilen Seenotrettern beenden. Der Appell heißt: Die staatliche Seenotrettung wieder aufnehmen. Es kann eigentlich nicht sein, dass es zivile Seenotretter sind, die ertrinkende Menschen im Mittelmeer retten. Das dritte ist der europäische Verteilmechanismus, von dem ich eben gesprochen habe. Aber natürlich gehören auch dazu faire Asylverfahren. Die Prüfung des Asylantrages muss gewährleistet sein. Überall wo Menschen auf der Flucht sind, müssen sie menschenwürdig behandelt werden.

Insofern ist es ein Gesamtpaket, das schon in den Herkunftsländern beginnt. Dort setzen wir uns seit vielen Jahrzehnten schon ein, dass die Perspektiven in den Ländern vor Ort selbst so sind, dass Menschen bleiben. Wir beraten sie in diesen Ländern auch, dass sie sich nicht auf diesen gefährlichen Weg machen, aber viele tun es eben und landen dann in libyschen Lagern, auf deren menschenunwürdige Bedingungen wir auch immer hinweisen müssen. Wenn sie sich dann aufs Mittelmeer begeben, ist es nicht möglich, sie in diese Lager zurückzuschicken, die allen Menschenrechtsstandards widersprechen, die für Europa charakteristisch sind.

Deswegen ist es wichtig, dass wir konkret helfen und das ganze in den Gesamtkontext stellen: einer Flüchtlingspolitik, in deren Zentrum die Menschenwürde steht.

DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt dieses Engagement gerade in der Adventszeit?

Bedford-Strohm: Weihnachten ist auch eine Fluchtgeschichte. Der Heiland war in den ersten Wochen seines Lebens in großer Gefahr und musste nach Ägypten fliehen, so ist die Weihnachtsgeschichte auch eine Geschichte, die auf Flucht und Asyl hinweist. Und auf den Satz: Was ihr den geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.

Das Interview führte Carsten Döpp.


Heinrich Bedford-Strohm fährt mit einem Boot zum Schiff "Sea-Watch" / © Annette Reuther/EKD (dpa)
Heinrich Bedford-Strohm fährt mit einem Boot zum Schiff "Sea-Watch" / © Annette Reuther/EKD ( dpa )
Quelle:
DR
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