Pfarrer Regamy über Seenotrettung im Mittelmeer

"Es hieß, wir dürften nicht retten"

Pfarrer Regamy war bei einer Seenotrettung im Mittelmeer beteiligt und sah Menschen vor seinen Augen ertrinken. Im DOMRADIO-Interview rüttelt er dazu auf, die Augen nicht vor dem Leid jener zu verschließen, "die schon am Boden sind".

MOAS-Retter im Einsatz / © MOAS.eu/Jason-Florio
MOAS-Retter im Einsatz / © MOAS.eu/Jason-Florio

DOMRADIO.DE: Vor fünf Jahren hat der Papst die Gleichgültigkeit Europas beklagt – wie sehen Sie heute die Situation, vor allem die politische?

Pfarrer Regamy Thillainathan (Leiter der Diözesanstelle für Berufungspastoral im Erzbistum Köln): Ich finde, die politische Situation ist momentan noch schrecklicher als vor fünf Jahren. Damals hat man weggeschaut, heute sucht man schon fast perfide Möglichkeiten, diese Menschen ihren Tragödien zu überlassen. Das finde ich schrecklich, vor allem auch mit welch' oberflächlichen Vorurteilen hier teilweise über diese Menschen gesprochen wird.

DOMRADIO.DE: Vor einem Jahr waren Sie im Mittelmeer auf dem Rettungsboot der MOAS unterwegs, die auch vom Erzbistum Köln unterstützt wurde. Was ist Ihre eindrücklichste Erinnerung?

Regamy: Festzustellen, dass man manchmal vollkommen machtlos ist. Ich erinnere mich an Gründonnerstag vergangenen Jahres: Dort hatte unser Rettungsschirm ein Boot lokalisiert, das in Seenot geraten war, aber im Hoheitsgebiet der libyschen Küstenwache lag.

Es hieß, wir dürften nicht retten, wir müssten warten; die libysche Küstenwache hätte zugesagt, bald zu kommen. Wir haben mit angesehen, wie das Boot untergegangen ist und wie Frauen und Kinder an diesem Tag auf elende Art und Weise umgekommen sind.

DOMRADIO.DE: Und man durfte nicht eingreifen?

Regamy: Nein, das ging nicht. Trotz aller Menschenrechte und Konventionen merkt man hier eine Härte, mit der man gegen Menschen vorgeht, um die Grenzen zu schützen. Das ist mir eindrücklich in Erinnerung geblieben und prägt mich noch heute.

DOMRADIO.DE: Private Hilfsorganisationen wie MOAS oder auch die deutsche Sea-Watch werden mittlerweile an ihren Rettungsaktionen gehindert. Schiffe werden festgesetzt, ihnen wird das Einlaufen in europäische Häfen verweigert. Erstmals seit Beginn der Rettungsmaßnahmen sind in dieser Woche keine privaten Helfer im Mittelmeer mehr zugelassen. Wer kümmert sich jetzt um die Schiffbrüchigen?

Regamy: Angeblich kümmert sich Frontex, also die Europäische Union mit ihren Schiffen, und die libysche Küstenwache um die in Seenot Geratenen. Leider können wir aber vor Ort nichts nachprüfen, weil alles abgeschottet wird. Die Rettungsflugzeuge, die privat von uns betrieben wurden, erhalten seit dieser Woche keine Lande- und Startgenehmigung mehr, so dass wir nicht einmal die Lage vor Ort beobachten können, sondern den teils "gefärbten" Informationen vor Ort vollkommen ausgeliefert sind.

DOMRADIO.DE: Die Politik argumentiert ja, dass die Hilfsorganisationen die Arbeit der Schlepper begünstigen und indirekt bewirken, dass noch mehr Flüchtlinge kommen. Das kann man nicht ganz abstreiten, oder?

Regamy: Es gibt ja zwei Ebenen – einerseits begünstigen, andererseits zusammenarbeiten. Die Vorwürfe sind, dass die Rettungsorganisationen mit den Schleuserbanden zusammenarbeiten. Das ist Quatsch und eine große Lüge. Die Polizei hat verdeckte Ermittler auf ein Schiff der Juventa geschickt und auch die Kommandobrücke des Kapitäns verwanzt, wie später herausgekommen ist.

Man kann die Indizien auch öffentlich einsehen und feststellen, dass diese Beobachtung oder besser gesagt dieser Vorwurf ziemlich unhaltbar ist. Die Arbeit der Schlepper begünstigen ist eine andere Sache. Es ist schon zu beobachten gewesen, dass – als immer mehr Rettungsorganisationen vor Ort waren – die Boote, die die Schleuser ins Spiel brachten, schwächere Motoren hatten, als würden sie es gar nicht mehr darauf ankommen lassen, dass diese Flüchtlinge das Festland erreichen. Ob das Kalkül war oder Sparmaßnahmen müssen wir so stehen lassen.

Aber es ist schon so, dass tatsächlich die Schleuserbanden teils damit gerechnet haben, dass Rettungsorganisationen vor Ort sind. Was aber der Fall ist, dass, sobald eine Route geschlossen wurde, sich neue Routen auftun. Und das darf man nicht einfach unterschätzen.

DOMRADIO.DE: Jetzt sind allein im Juni mehr als 600 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken. Vermissen Sie da nicht einen lauten Aufschrei? Sollten sich nicht mehr Kirchenvertreter zu Wort melden neben Kardinal Woelki, der immer wieder daran erinnert?

Regamy: Ich finde, dass sich nicht nur Kirchenvertreter zu Wort melden müssten, sondern jeder Mensch mit Herz und Verstand. Hier ist eine unglaubliche Situation eingetreten, in der man ganz bewusst die Augen verschließt vor dem Sterben anderer Menschen.

Wir sind dafür verantwortlich, deutlich zu machen, dass es eine menschliche und vor allem eine christliche Grundhaltung gibt, den Nächsten in Not zu helfen. Und dafür, nicht wegzuschauen, noch höhere Mauern zu bauen oder darauf zu hoffen, dass man mehr Stimmen bei den nächsten Wahlen einheimsen kann, wenn man letztendlich auf die eingeprügelt, die schon am Boden sind.

Das Gespräch führte Tobias Fricke.


Pfarrer Regamy / © domradio.de (DR)
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Quelle:
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