März 2017: Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet, der Staat müsse in "extremen Ausnahmefällen" sterbenskranken Patienten den Zugang zu einem Betäubungsmittel gewähren, um eine würdige und schmerzlose Selbsttötung zu ermöglichen.
Juni 2017: Widerspruch vom Deutschen Ethikrat: Es gebe keine staatliche Pflicht, Menschen beim Suizid zu helfen und ihnen ein tödliches Mittel zur Verfügung zu stellen.
Januar 2018: Der frühere Verfassungsrichter Udo Di Fabio kritisiert in einem Gutachten für das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts als verfassungswidrig.
Juni 2018: Das Bundesgesundheitsministerium fordert das BfArM auf, der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zu folgen. Der Staat dürfe keine Tötungsmittel vergeben.
April 2019: Die FDP scheitert im Bundestag mit einem Antrag, tödliche Medikamente an schwer- und unheilbar Kranke in extremer Notlage abzugeben. Union, SPD sowie Teile der Grünen lehnen dies ab.
Mai 2019: Das Bundesverwaltungsgericht urteilt, dass der Staat nicht verpflichtet ist, Bürgern einen Zugang zu tödlichen Medikamenten zu gewähren, wenn keine krankheitsbedingte Notlage vorliegt.
November 2019: Im Rechtsstreit um ein Recht auf Selbsttötung ruft das Verwaltungsgericht Köln das Bundesverfassungsgericht an. Das generelle Verbot des Erwerbs von Betäubungsmitteln zur Selbsttötung ist nach Überzeugung der Kölner Richter nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Weil das Betäubungsmittelgesetz den Erwerb von Betäubungsmitteln zur Selbsttötung verbietet, müssten diese Bestimmungen in Karlsruhe überprüft werden.
Februar 2020: Das Bundesverfassungsgericht kippt das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung. Die Richter sehen ein Recht auf Suizid: Selbsttötung sei Ausdruck von Selbstbestimmung; dieses Recht schließe die Freiheit ein, die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Das Urteil fordert eine entsprechende Ausgestaltung des Berufsrechts der Ärzte und der Apotheker sowie Anpassungen des Betäubungsmittelrechts.
Juni 2020: Das Bundesverfassungsgericht lässt die Frage offen, ob Menschen einen Anspruch auf die Herausgabe von Arzneimitteln haben, um sich selbst zu töten. Aus formalen Gründen weist Karlsruhe eine Vorlage Verwaltungsgerichts Köln vom November 2019 zurück. Mit dem Urteil vom 26. Februar habe sich die Situation geändert.
Dezember 2020: Das Verwaltungsgericht Köln weist drei gegen die Bundesrepublik gerichtete Klagen ab, die einen Zugang zum Präparat Natrium-Pentobarbital forderten. Nachdem das Bundesverfassungsgericht das generelle Verbot geschäftsmäßiger Förderung der Selbsttötung für nichtig erklärt habe, hätten Sterbehilfeorganisationen ihre Tätigkeit wieder aufgenommen, heißt es zur Begründung. Den Klägern stünden Alternativen zur Verfügung. Wie in einer ersten Verhandlung in derselben Sache im November 2019 äußern die Kölner Richter Zweifel an der Rechtslage.
Februar 2021: Nach Angaben des BfArM sind bislang 208 Anträge auf ein tödliches Medikament eingegangen. Alle bearbeiteten Anträge seien abgelehnt worden. Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts nennt eine Verfassungsbeschwerde unzulässig, mit der ein Ehepaar die Erlaubnis zum Erwerb tödlicher Arzneimittel begehrt. Seit Februar 2020 gebe es eine "grundlegend veränderte Situation" und das Ehepaar sei gehalten, durch aktive Suche sein "anerkanntes Recht konkret zu verfolgen".
(KNA, 05.02.2021)
18.02.2021
Ein Jahr ist es her, dass das Bundesverfassungsgericht das Verbot geschäftsmäßiger Hilfe bei der Selbsttötung gekippt hat. Die bisherigen Reaktionen der Politik halten die evangelischen Theologen Anselm und Dabrock für unzureichend.
Die evangelischen Theologieprofessoren Reiner Anselm und Peter Dabrock werfen der Politik in der Debatte um Sterbehilfe Einfallslosigkeit vor.
"Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber eindeutig vorgegeben, auch Schutzkonzepte aufzunehmen. Davon findet sich in den bisher vorliegenden Gesetzentwürfen kein Wort", sagte der ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Dabrock, in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Anselm empfindet "die bisherigen Vorschläge zur Ausgestaltung des assistierten Suizids als höchst irritierend".
Wann ist eine Entscheidung freiverantwortlich?
In dem Doppelinterview führte Anselm aus, der gesamte Bereich eines Konzepts für den Schutz des Lebens im Sinn einer umfassenden Suizidprophylaxe fehle bisher in den politischen Vorschlägen.
Ebenso vermisst der Münchner Theologe "Bemühungen um Regeln, mit deren Hilfe bestimmt werden könnte, wann eine Entscheidung eben nicht freiverantwortlich ist".
Debatte über Neuregelung im Bundestag
Vor rund einem Jahr, am 26. Februar 2020, hatte das Bundesverfassungsgericht das Verbot geschäftsmäßiger Hilfe bei der Selbsttötung aus dem Jahr 2015 gekippt.
Nach Ansicht der Richter umfasst das Recht auf selbstbestimmtes Sterben die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, und erlaubt dabei auch die Hilfe Dritter. Damit scheiterte der Versuch der Politik, die Arbeit von Sterbehilfeorganisationen zu unterbinden.
Im Bundestag wird nun über eine mögliche Neuregelung debattiert. Zwei Gruppen von Abgeordneten legten kürzlich Entwürfe vor, die beide im Kern eine Beratung vorsehen sowie eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes, um Ärzten zu erlauben, tödlich wirkende Medikamente zu verschreiben.
Suizidbeihilfe als Regelfall?
Anselm und Dabrock gehen die Vorschläge nicht weit genug. Sie verlangen ein stärkeres Augenmerk auf Suizidprophylaxe und Sterbebegleitung. In der innerevangelischen Debatte darüber, inwieweit in kirchlichen Einrichtungen ein assistierter Suizid möglich sein sollte, setzen die Professoren unterschiedliche Akzente.
Als Mitautor eines Zeitungsbeitrages vom Januar, an dem neben anderen auch Diakoniepräsident Ulrich Lilie mitgeschrieben hat, gilt Anselm als Vertreter einer Position, wonach Sterbewilligen auch in diakonischen Einrichtungen der Wunsch nach Suizidbeihilfe nicht verwehrt werden darf und dafür Regeln aufgestellt werden sollten.
Dabrock ist skeptisch und warnt davor, die Tür zu einem Regelangebot aufzustoßen.
Keine neuen Tabus
Anselm warb im epd-Gespräch dafür, Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte sowie andere Betreuende stärker in die Debatte einzubeziehen.
"Im Augenblick läuft die notwendige Diskussion in erster Linie auf einer Funktionärsebene ab", sagte er. Wichtig sei, dass es keine Vorverurteilungen gibt, dass keine neuen Tabuisierungen aufgebaut werden. "Mit Sorge beobachte ich deshalb Tendenzen in der katholischen Kirche zu einer neuen Tabuisierung und Stigmatisierung, das ist definitiv der falsche Weg", sagte er.
"Die vierte Lebensphase in den Blick nehmen"
Dabrock sagte: "Wir müssen insgesamt die vierte Lebensphase des Menschen stärker und systematisch in den Blick nehmen."
Die Wahrnehmung werde bestimmt von dem Bild der aktiven Alten, die mit dem Wohnmobil durch Europa fahren. "Zu wenig beachtet wird jedoch die letzte, finale Wegstrecke, es mangelt uns an Hoffnungsbildern für diese vierte Phase", sagte der Ethiker.
März 2017: Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet, der Staat müsse in "extremen Ausnahmefällen" sterbenskranken Patienten den Zugang zu einem Betäubungsmittel gewähren, um eine würdige und schmerzlose Selbsttötung zu ermöglichen.
Juni 2017: Widerspruch vom Deutschen Ethikrat: Es gebe keine staatliche Pflicht, Menschen beim Suizid zu helfen und ihnen ein tödliches Mittel zur Verfügung zu stellen.
Januar 2018: Der frühere Verfassungsrichter Udo Di Fabio kritisiert in einem Gutachten für das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts als verfassungswidrig.
Juni 2018: Das Bundesgesundheitsministerium fordert das BfArM auf, der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zu folgen. Der Staat dürfe keine Tötungsmittel vergeben.
April 2019: Die FDP scheitert im Bundestag mit einem Antrag, tödliche Medikamente an schwer- und unheilbar Kranke in extremer Notlage abzugeben. Union, SPD sowie Teile der Grünen lehnen dies ab.
Mai 2019: Das Bundesverwaltungsgericht urteilt, dass der Staat nicht verpflichtet ist, Bürgern einen Zugang zu tödlichen Medikamenten zu gewähren, wenn keine krankheitsbedingte Notlage vorliegt.
November 2019: Im Rechtsstreit um ein Recht auf Selbsttötung ruft das Verwaltungsgericht Köln das Bundesverfassungsgericht an. Das generelle Verbot des Erwerbs von Betäubungsmitteln zur Selbsttötung ist nach Überzeugung der Kölner Richter nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Weil das Betäubungsmittelgesetz den Erwerb von Betäubungsmitteln zur Selbsttötung verbietet, müssten diese Bestimmungen in Karlsruhe überprüft werden.
Februar 2020: Das Bundesverfassungsgericht kippt das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung. Die Richter sehen ein Recht auf Suizid: Selbsttötung sei Ausdruck von Selbstbestimmung; dieses Recht schließe die Freiheit ein, die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Das Urteil fordert eine entsprechende Ausgestaltung des Berufsrechts der Ärzte und der Apotheker sowie Anpassungen des Betäubungsmittelrechts.
Juni 2020: Das Bundesverfassungsgericht lässt die Frage offen, ob Menschen einen Anspruch auf die Herausgabe von Arzneimitteln haben, um sich selbst zu töten. Aus formalen Gründen weist Karlsruhe eine Vorlage Verwaltungsgerichts Köln vom November 2019 zurück. Mit dem Urteil vom 26. Februar habe sich die Situation geändert.
Dezember 2020: Das Verwaltungsgericht Köln weist drei gegen die Bundesrepublik gerichtete Klagen ab, die einen Zugang zum Präparat Natrium-Pentobarbital forderten. Nachdem das Bundesverfassungsgericht das generelle Verbot geschäftsmäßiger Förderung der Selbsttötung für nichtig erklärt habe, hätten Sterbehilfeorganisationen ihre Tätigkeit wieder aufgenommen, heißt es zur Begründung. Den Klägern stünden Alternativen zur Verfügung. Wie in einer ersten Verhandlung in derselben Sache im November 2019 äußern die Kölner Richter Zweifel an der Rechtslage.
Februar 2021: Nach Angaben des BfArM sind bislang 208 Anträge auf ein tödliches Medikament eingegangen. Alle bearbeiteten Anträge seien abgelehnt worden. Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts nennt eine Verfassungsbeschwerde unzulässig, mit der ein Ehepaar die Erlaubnis zum Erwerb tödlicher Arzneimittel begehrt. Seit Februar 2020 gebe es eine "grundlegend veränderte Situation" und das Ehepaar sei gehalten, durch aktive Suche sein "anerkanntes Recht konkret zu verfolgen".
(KNA, 05.02.2021)