Theologieprofessoren kritisieren Gesetzentwürfe zur Suizidassistenz

"Höchst irritierend"

Ein Jahr ist es her, dass das Bundesverfassungsgericht das Verbot geschäftsmäßiger Hilfe bei der Selbsttötung gekippt hat. Die bisherigen Reaktionen der Politik halten die evangelischen Theologen Anselm und Dabrock für unzureichend.

Eine Tablette wird weitergereicht / © ilovephoto_KA (shutterstock)
Eine Tablette wird weitergereicht / © ilovephoto_KA ( shutterstock )

Die evangelischen Theologieprofessoren Reiner Anselm und Peter Dabrock werfen der Politik in der Debatte um Sterbehilfe Einfallslosigkeit vor.

"Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber eindeutig vorgegeben, auch Schutzkonzepte aufzunehmen. Davon findet sich in den bisher vorliegenden Gesetzentwürfen kein Wort", sagte der ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Dabrock, in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Anselm empfindet "die bisherigen Vorschläge zur Ausgestaltung des assistierten Suizids als höchst irritierend".

Wann ist eine Entscheidung freiverantwortlich?

In dem Doppelinterview führte Anselm aus, der gesamte Bereich eines Konzepts für den Schutz des Lebens im Sinn einer umfassenden Suizidprophylaxe fehle bisher in den politischen Vorschlägen.

Ebenso vermisst der Münchner Theologe "Bemühungen um Regeln, mit deren Hilfe bestimmt werden könnte, wann eine Entscheidung eben nicht freiverantwortlich ist".

Debatte über Neuregelung im Bundestag

Vor rund einem Jahr, am 26. Februar 2020, hatte das Bundesverfassungsgericht das Verbot geschäftsmäßiger Hilfe bei der Selbsttötung aus dem Jahr 2015 gekippt.

Nach Ansicht der Richter umfasst das Recht auf selbstbestimmtes Sterben die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, und erlaubt dabei auch die Hilfe Dritter. Damit scheiterte der Versuch der Politik, die Arbeit von Sterbehilfeorganisationen zu unterbinden.

Im Bundestag wird nun über eine mögliche Neuregelung debattiert. Zwei Gruppen von Abgeordneten legten kürzlich Entwürfe vor, die beide im Kern eine Beratung vorsehen sowie eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes, um Ärzten zu erlauben, tödlich wirkende Medikamente zu verschreiben.

Suizidbeihilfe als Regelfall?

Anselm und Dabrock gehen die Vorschläge nicht weit genug. Sie verlangen ein stärkeres Augenmerk auf Suizidprophylaxe und Sterbebegleitung. In der innerevangelischen Debatte darüber, inwieweit in kirchlichen Einrichtungen ein assistierter Suizid möglich sein sollte, setzen die Professoren unterschiedliche Akzente.

Als Mitautor eines Zeitungsbeitrages vom Januar, an dem neben anderen auch Diakoniepräsident Ulrich Lilie mitgeschrieben hat, gilt Anselm als Vertreter einer Position, wonach Sterbewilligen auch in diakonischen Einrichtungen der Wunsch nach Suizidbeihilfe nicht verwehrt werden darf und dafür Regeln aufgestellt werden sollten.

Dabrock ist skeptisch und warnt davor, die Tür zu einem Regelangebot aufzustoßen. 

Keine neuen Tabus

Anselm warb im epd-Gespräch dafür, Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte sowie andere Betreuende stärker in die Debatte einzubeziehen.

"Im Augenblick läuft die notwendige Diskussion in erster Linie auf einer Funktionärsebene ab", sagte er. Wichtig sei, dass es keine Vorverurteilungen gibt, dass keine neuen Tabuisierungen aufgebaut werden. "Mit Sorge beobachte ich deshalb Tendenzen in der katholischen Kirche zu einer neuen Tabuisierung und Stigmatisierung, das ist definitiv der falsche Weg", sagte er.

"Die vierte Lebensphase in den Blick nehmen"

Dabrock sagte: "Wir müssen insgesamt die vierte Lebensphase des Menschen stärker und systematisch in den Blick nehmen."

Die Wahrnehmung werde bestimmt von dem Bild der aktiven Alten, die mit dem Wohnmobil durch Europa fahren. "Zu wenig beachtet wird jedoch die letzte, finale Wegstrecke, es mangelt uns an Hoffnungsbildern für diese vierte Phase", sagte der Ethiker.


Quelle:
epd