Woelki: Deutschland ist für Elend in der Welt mitverantwortlich

"Wir haben die Pflicht zu helfen"

Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki hat die Pflicht zu helfen betont. Auch weiterhin würden Flüchtlinge kommen, sagte er dem "Express", "und wir haben die Pflicht, ihnen ein Leben in Frieden, eine Perspektive zu bieten."

Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki (DR)
Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki / ( DR )

Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki hat in einem Interview mit dem Kölner Express (hier zum Wortlaut) an die Verantwortung Deutschlands in der Flüchtlingskrise appelliert. Deutschland sei für das Elend in der Welt "in höchstem Maße" mitverantwortlich, daher sei es in besonderem Maße verpflichtet, geflüchteten Menschen zu helfen.

Als Beispiel nannte Woelki die Ausbeutung in der Textilbranche. "Wie soll zum Beispiel eine Näherin ein gutes Leben führen können, wenn die T-Shirts, die sie im Akkord zusammennäht, bei uns nur fünf Euro kosten? - Material und Transport schon eingerechnet." Woelki betonte, die wohlhabenden Länder lebten auf Kosten dieser Menschen, und betrieben dadurch moderne Sklavenhaltung: "Wie sollen Menschen in einem Land gut leben können, in dem Despoten machen können, was sie wollen, weil kein Land Druck ausübt – damit das schöne Öl für unsere tollen Autos weiter fließt?!"

Scharfe Kritik übte der Kardinal auch am Weltfußballverband FIFA. Bei den Vorbereitungen für die Weltmeisterschaft 2022 in Katar komme es zu krassen Menschenrechtsverletzungen. "Was die Scheichs beim Stadionbau für die WM mit den Bauarbeitern machen, ist indiskutabel. Die Verantwortung für die vielen Toten dort trägt auch die FIFA. Sie übt keinen entscheidenden Druck aus", sagte Woelki.

Flüchtlingsboot auf dem Roncalliplatz

Der Erzbischof äußerte sich auch zum Vorhaben, an Fronleichnam ein Flüchtlingsboot auf dem Kölner Roncalliplatz auszustellen. Ein sieben Meter langes Flüchtlingsboot ist derzeit auf dem Weg von Malta nach Köln. In der Liturgie an Fronleichnam soll für alle Menschen auf der Flucht gebetet werden und die Kollekte ist für die Seenotrettung Moas bestimmt. Mit dem Aufstellen des Bootes erinnert Kardinal Woelki an die Aktion 23.000 Glockenschläge auf dem Roncalliplatz vor einem Jahr. Damals hatten 230 Kirchen mit ihren Glockenschlägen an die 23.000 im Mittelmeer seit dem Jahr 2000 gestorbenen Flüchtlinge erinnert.

Das 7 Meter lange Fischerboot aus Holz ist typisch für den Einsatz durch libysche Schleuser auf der Route von Libyen nach Italien. Ein solches Boot ist bei der Flucht mit 80 bis 100 Menschen besetzt und stark überladen. Die Menschen haben keinerlei Möglichkeit sich vor Sonne, Kälte oder Wellen zu schützen. Gepäck, Proviant oder Wasser dürfen meist nicht mitgenommen werden, weil einfach kein Platz dafür gelassen wird, um noch mehr Menschen an Bord bringen zu können. Die Menschen an Bord leiden unter Sonnenbrand, Erschöpfung, Atemnot oder werden zerquetscht.

Jeder könne und solle sich überlegen, was in seinem, was in ihrem eigenen Leben alles passieren muss, dass man freiwillig in solch ein Boot steigt, sagte Woelki zu dem Vorhaben. Scharfe Kritik übte er an der Flüchtlingspolitik Europas: Nur, "weil innerhalb Europas die Grenzen dichtgemacht wurden" kämen nun weniger Flüchtlinge: "Und weil die EU mit der Türkei einen infamen Handel abgeschlossen hat. Europa zieht neue Mauern hoch, die Ägäis ist ein Wassergraben."

Ausbau des sozialen Wohnungsbaus und Familiennachzug

Für Deutschland forderte Woelki massive Programme für den sozialen Wohnungsbau, und "zwar ausdrücklich für alle Menschen – für Senioren mit kleiner Rente, für Obdachlose, Geringverdiener, Zukurzgekommene – nicht nur für Flüchtlinge." Es müsse so gebaut werden, dass keine Ghettos entstehen.

Vor dem Hintergrund des geplanten Integrationsgesetzes begrüßte Woelki Ansatz, auch die Flüchtlinge selbst bei der Integration in die Pflicht zu nehmen, zum Beispiel auch beim Spracherwerb. Dagegen wandte sich Woelki gegen eine Begrenzung des Familiennachzuges "Zuerst werden auf der Flucht die Stärksten geschickt, in der Regel also die jüngeren Männer. Und wenn sie es endlich bis hierher geschafft haben, sollen ihre Frauen und Kinder in Kriegs- und Hungergebieten zwei Jahre oder länger darauf warten, nachkommen zu können? Obwohl die Familie den besonderen Schutz des Grundgesetzes genießt? Das ist unmenschlich und zynisch! Denn die Menschen fliehen vor Bedingungen, die wir selbst zu verantworten haben."


Flüchtlingsboot (Erzbistum Köln)
Quelle:
KNA