Sind öffentliche Gottesdienste systemrelevant?

"Wir leben wesentlich von Gemeinschaft"

Die ersten Erfahrungen mit öffentlichen Gottesdiensten unter Corona-Bedingungen sind gemacht. Für den Kölner Domkapitular Dominik Meiering fallen sie positiv aus. Im Interview spricht er über Optimierungen und die Systemrelevanz von Messen.

Öffentlicher Gottesdienst im Kölner Dom / © Robert Boecker (privat)
Öffentlicher Gottesdienst im Kölner Dom / © Robert Boecker ( privat )

DOMRADIO.DE: Seit Anfang Mai gibt es wieder öffentliche Gottesdienste im Erzbistum Köln - allerdings aus Sicherheitsgründen in Corona-Zeiten ohne Gesang und mit dem gebührendem Abstand unter den Gläubigen. Wie haben Sie die ersten Gottesdienste unter diesen Bedingungen erlebt?

Dr. Dominik Meiering (Kölner Innenstadtpfarrer und Domkapitular): Befreiend, weil wir endlich wieder mit Gläubigen zusammen sein können und den Glauben gemeinsam feiern können. Alle Ängste und Sorgen, die wir im Vorfeld hatten, waren unbegründet. Es war alles gut organisiert, und es ist eine Feierstimmung aufgekommen. Von daher sind wir vor allen Dingen dankbar.

DOMRADIO.DE: Wie haben die Gläubigen das erlebt und welche Reaktionen habe Sie bekommen?

Meiering: Die allermeisten waren froh und haben wirklich gestrahlt. Auch wenn man auf zwei Meter Distanz ist, sieht man die vertrauten Gesichter, auch wenn sie hinter einer Maske zu finden sind. Im Gottesdienst kann man die Maske dann ja abnehmen. Auch zu erfahren, da sind andere, die mit mir glauben, ist für viele eine große Ermutigung gewesen.

DOMRADIO.DE: Konnte der fehlende Gesang der Gläubigen durch die Kirchenmusiker irgendwie ausgeglichen werden?

Meiering: Es gab Leute, die ein bisschen zurückhaltend, kritisch waren und daran gezweifelt haben, ob man so Gottesdienst feiern kann. Die Kirchenmusiker haben sich tolle Sachen überlegt. Wir hatten zum Beispiel eine Solistin dabei, die dann Kyrie, Gloria, Sanctus, Agnus Dei gesungen hat. Wir haben die Gläubigen zum Teil aufgefordert, einfach innerlich die Lieder mitzusummen. Die Zelebranten in der Innenstadt sind damit unterschiedlich umgegangen. Alle empfanden es aber als einen Versuch und anders, aber auch schön. 

DOMRADIO.DE: Sie haben selbst gesagt, die ersten öffentlichen Gottesdienste in Corona-Zeiten sind ein Experiment. Welche Erfahrungen haben Sie bislang gemacht? 

Meiering: Zunächst einmal organisatorisch. Wir wissen jetzt besser, wie das mit den Online-Anmeldungen, dem Telefon und dem Pfarrbüro laufen muss. Da sind wir jetzt sehr viel besser aufgestellt. Wir wissen auch, was wir ab sofort in der Kirche brauchen: einen Empfangsdienst. Wir wollen nicht Ordnerdienst dazu sagen. Wir könnten eigentlich eine Tugend daraus machen, dass immer Menschen an den Türen stehen und die Gläubigen willkommen heißen. Ich glaube aber auch, dass wir uns vortasten werden, wie sich Liturgie unter mehr Beteiligung der Gemeinde feiern lässt, damit es wirklich eine Feier von allen wird und damit ein innerliches Mitgehen für viele möglich ist.

DOMRADIO.DE: Wie können sich Gottesdienstbesucher anmelden, wenn sie am Sonntag eine Messe besuchen möchten?

Meiering: Für Gottesdienste in den Kirchen in der Kölner Innenstadt, für die ich zuständig bin, meldet man sich ganz leicht unter katholisch-in-koeln.de an. Dort sind die Gottesdienste eingestellt. Man muss sich dort einmal anmelden und dann kann man jeweils die Gottesdienste "buchen".

Viele fragen, ob das nötig ist, weil doch immer größere Lockerung der Bewegungsmöglichkeiten erfolgen. Aber wichtig ist, dass nachvollziehbar ist, wenn irgendwo wieder eine Infektion aufkeimt, dass dann ein solcher Infektionsherd sofort niedergeschlagen wird. Deshalb ist es notwendig, irgendwie einen Kontakt zu hinterlassen, damit im Zweifelsfall solche Ketten durchbrochen werden können und dafür gesorgt werden kann, dass keine weitere Ausbreitung des Virus an dieser Stelle stattfindet. Passieren kann das theoretisch überall: im Zoo, im Supermarkt, in der Kirche oder zu Hause, wenn ich Gäste bekomme. Aber wir wollen Verantwortungsbewusstsein zeigen und dabei helfen, dass dieses Land einen guten Schritt nach vorne machen kann.

DOMRADIO.DE: Wird es bei den Gottesdiensten noch weitere Lockerungen geben oder bleibt man eher vorsichtig?

Meiering: Wir bekommen ja mit, dass es ganz unterschiedliche Strömungen im Land gibt: Die einen drängen auf größere Lockerungen, die anderen auf mehr Sicherheit und Zurückhaltung. Ich glaube, den Weg, den wir jetzt gerade gefunden haben, sollte man erst einmal ausprobieren und abwarten, wie sich die Dinge entwickeln. Wir leben von Tag zu Tag. Schrittchen für Schrittchen versuchen wir zu ermöglichen, was geht.

DOMRADIO.DE: Es gibt auch Kritiker, die die infrage stellen, ob Gottesdienste sein müssen, ob sie das Risiko wert oder gar systemrelevant sind. Sind Gottesdienste Ihrer Ansicht nach systemrelevant?

Meiering: Diese Frage finde ich sehr schwierig. Um welches System geht es bei dieser Frage? Geht es um den Erhalt der Wirtschaft oder der Politik? Oder geht es darum, dass Menschen Leben haben? Ich bin der festen Überzeugung, wir Menschen sind eine Leib-Seele-Einheit. Wir leben nicht nur von dem, was wir im Supermarkt kaufen und später essen und trinken, sondern wir leben wesentlich von Gemeinschaft, Kultur, Musik, Kunst und Begegnung. Das sind doch die entscheidenden Dinge. In diesem Sinne ist Kirche ein wesentlicher Ort, wo sich das ereignet.

Ich mache die Erfahrung, dass Menschen kommen und sagen, sie empfangen im Gottesdienst Trost oder Motivation. Deshalb würde ich sagen, hat der Gottesdienst doch für das System dieses Menschen eine unglaubliche Bedeutung. Auch wenn wir nur langsame, kleine und vorsichtige Schritte machen, wird jeder Schritt hin zu mehr gemeinsamem Leben und Glauben als kostbar, wichtig und wertvoll empfunden. Auch von mir.

DOMRADIO.DE: Am 11. Juni ist Fronleichnam. Das ist in fünf Wochen. Die Fronleichnamsprozession in Köln ist berühmt oder auch die Schiffsprozession in Köln-Mülheim. Kann man da schon irgendetwas sagen oder vermuten, wie sie in diesem Jahr ablaufen wird?

Meiering: Die Schiffsprozession ist abgesagt. Bei der Fronleichnamsprozession am Roncalliplatz wird noch gemeinsam mit dem Erzbischof überlegt, was möglich ist, und wenn ja, wie. Der Impuls in den Innenstadtgemeinden ist ganz klar. Sie sprechen sich dafür aus, dieses Jahr etwas kleiner zu feiern, vielleicht auch nur in den Gemeinden - und wahrscheinlich ohne Prozession. Also mal anders Fronleichnam feiern. Vielleicht fallen uns dazu auch kreative Ideen ein. Ich bin selbst gespannt.

Das Interview führte Johannes Schröer.


Quelle:
DR
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