Schlögl-Flierl sieht Impfstatus-Debatte differenziert

"Es gibt gleich mehrere Knackpunkte"

Darüber wird derzeit heftig diskutiert: Dürfen Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer nach deren Impfstatus fragen? Die Regierung hat angekündigt, diese Auskunftspflicht zu prüfen. Wie sieht es mit dem ethischen Aspekt dieses Ansinnens aus?

Hinweisschild zum Impfzentrum / © Harald Oppitz (KNA)
Hinweisschild zum Impfzentrum / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Was genau ist der Knackpunkt, wenn Arbeitgeber bei ihren Angestellten abfragen, ob sie schon gegen Corona geimpft sind?

Prof. Kerstin Schlögl-Flierl (Professorin für Moraltheologie an der Uni Augsburg und Mitglied des Deutschen Ethikrats): Es gibt gleich mehrere Knackpunkte. Der wichtigste Knackpunkt ist das Persönlichkeitsrecht des oder der Einzelnen, gesundheitbezogene Daten nicht weitergeben zu müssen. Dem steht auf der anderen Seite das Gut des Gemeinwohls gegenüber, also die Verhinderung der Pandemie.

Es kommt immer die Grundsatzfrage auf, ob die Impfung eine reine private Entscheidung ist oder ob sie doch eine öffentliche, soziale Dimension hat. An dem Punkt ist auch der Datenschutz nicht zu vergessen. Die Datenschutzgrundverordnung sieht eigentlich vor, dass gesundheitsbezogene Daten besonders schützenswert sind.

Zudem ist das Motiv der Arbeitgeberfrage wichtig. Fragt er aus öffentlichem Interesse oder verspricht er sich unternehmerische Vorteile? Diese Motivfrage ist in der Ethik immer wichtig.

DOMRADIO.DE: Was könnte denn aus ethischer Sicht dafür sprechen, dass man es zumindest in der Gesundheitsbranche oder auch bei Rettungskräften oder der Polizei zulässt?

Schlögl-Flierl: Im Krankenhaus ist es ohnehin schon möglich. In diesen gesonderten Berufen ist eine Verordnung erlassen worden.

Ethisch spricht dafür, dass diese Personengruppe direkten Kontakt zu vulnerablen Gruppen hat und da einen gewissen Schutzauftrag hat.

DOMRADIO.DE: Es gibt immer mehr Regeln, die Ungeimpfte benachteiligen sollen. Das klingt nach der viel zitierten Impfpflicht durch die Hintertür. Wie sehen Sie das?

Schlögl-Flierl: Zunächst muss man sich diese mögliche "Benachteiligung" vom Wording, von der Begrifflichkeit, her anschauen. Eine Impfung ist ja eigentlich eine freie Entscheidung. Jeder kann sich theoretisch impfen lassen. Momentan gibt es die Ausnahmen bei Kindern unter zwölf Jahren und Menschen mit Vorerkrankungen.

Ich würde sagen, die "Benachteiligung" muss möglichst umgangen werden. Ich würde immer weiter für eine Testung plädieren, weil durch die Testung auch soziale Teilhabe gewährleistet ist. Ich würde mich auch für kostenlose Tests aussprechen wollen, denn mit der Bezahlung würde durch die Hintertür Druck ausgeübt.

Wir wollen ja immer diese selbstbestimmte Entscheidung auch bei der Impfung haben. Die finde ich fast ein bisschen konterkariert, wenn wir sagen, die Tests müssen jetzt selbst bezahlt werden.

DOMRADIO.DE: Verhalten sich Menschen, die sich nicht impfen lassen, unsolidarisch?

Schlögl-Flierl: Das ist eine sehr gute Frage. Ich habe am Anfang der Pandemie immer von einer moralischen Pflicht gesprochen, sich die Impfung genau zu überlegen. Jetzt bin ich immer mehr zu der Position gelangt, dass man fast schon von einer moralischen Pflicht sprechen kann, sich wirklich impfen zu lassen.

Denn was spricht dagegen? Ängste natürlich. Das ist alles auch sehr ernst zu nehmen und ich möchte es auch nicht kleinreden. Sich damit auseinanderzusetzen, würde ich ganz hoch ansetzen wollen.

Ich würde schon sagen, dass wir momentan ein Zeichen der Solidarität mit den Kindern unter zwölf und mit den Menschen mit Vorerkrankungen, die sich nicht impfen lassen können, setzen müssen. Derzeit sollte diese Solidarität wirklich an oberster Stelle stehen,

DOMRADIO.DE: Kann sich die Gesellschaft in dieser Frage eine liberale Haltung erlauben? Kann man sagen, egal wie sich der oder die Einzelne entscheidet, dass die Gesellschaft das auch auf die Gefahr hin akzeptieren muss, dass es am Ende zu Mutationen, Toten und vielleicht sogar wieder zu einem Lockdown mit allen Konsequenzen kommen wird?

Schlögl-Flierl: Immer so viel Liberalität wie möglich, aber auch so viele Maßnahmen wie nötig, würde ich sagen. Es solten so viele Freiheitsrechte wie überhaupt möglich erhalten bleiben.

Aber wir sehen, dass in einer Pandemie die Maßnahmen wie zum Beispiel das Tragen einer Maske in öffentlichen Verkehrsmitteln, wirksame Mittel sind. Diese Maßnahme wird uns noch ganz lang begleiten. Wir sollten alles dafür tun, dass kein weiterer Lockdown kommt. Das sollte unsere Richtung sein. Das bedeutet auch, Freiheit einzuschränken.

Es geht nicht nur um die Freiheit "von" etwas, sondern auch um die Freiheit "zu" etwas. Das ist beispielsweise die Freiheit zu mehr Gemeinschaft, die uns wieder möglich ist, wenn möglichst viele geimpft sind und wir die Kinder schützen.

Das Interview führte Carsten Döpp.


 

Prof. Kerstin Schlögl-Flierl / © Harald Oppitz (KNA)
Prof. Kerstin Schlögl-Flierl / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR
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