Intensivstationen wieder mit Normalbetrieb

"Zwischenzeitlich hatten wir Angst vor italienischen Verhältnissen"

Noch im Mai erreichten die Covid-Intensivpatienten in Deutschland einen Höchststand. Inzwischen sorgen sinkende Inzidenzzahlen für eine deutliche Entlastung. Doch so schnell kann Intensivpflegerin Ute Ganz diesen Albtraum nicht vergessen.

Zu Spitzenzeiten war die Arbeit auf der Intensivstation während der Pandemie ein Wettlauf gegen die Zeit. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Zu Spitzenzeiten war die Arbeit auf der Intensivstation während der Pandemie ein Wettlauf gegen die Zeit. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Die Situation ist sichtlich entspannt – sofern sich das über die Versorgung auf einer Intensivstation überhaupt sagen lässt. Trotzdem atmet Ute Ganz inzwischen erleichtert auf, denn seit gut zwei Wochen gibt es keinen einzigen beatmungspflichtigen Corona-Patienten mehr auf ihrer Station, der eine engmaschige Überwachung benötigt oder um dessen Leben die Fachkraft für Intensivpflege und Anästhesie absehbar fürchten müsste. Wer nun noch mit dem tödlichen Virus im Kölner St. Elisabeth-Krankenhaus behandelt werden muss, liegt auf der Isolierstation und kann hoffen, schon bald entlassen zu werden. Das allerdings ist erst seit kurzem der Fall. Denn eine solche Perspektive hat es in der Vergangenheit noch lange nicht für jeden Covid-Kranken gegeben. Im Gegenteil. Monatelang, ja fast ein ganzes Jahr, war es ein Wettlauf gegen die Zeit, den die 56-Jährige zusammen mit ihrem Team an den 14 Intensiv-Betten der Klinik in Hohenlind stemmen musste.

Viel Leid und auch Ohnmacht hat Ute Ganz in dieser Zeit hautnah miterlebt. Immer stand sie in der ersten Reihe, wenn es darum ging, für Patienten mit schweren Verläufen eine bestmögliche Therapie zu gewährleisten oder Linderung bei multiplen Beschwerden und akuter Atemnot zu schaffen. Sie war dabei, wenn die Menschen um ihr Leben gekämpft und diesen Kampf am Ende verloren haben – darunter zuletzt auch junge Menschen, "die doch ihr Leben noch vor sich hatten und ohne diese fatale Ansteckung nie in Lebensgefahr geraten wären", wie Ganz erklärt.

Mit Ersatz-Intensivstation auf möglichen Ansturm vorbereitet

Diese Momente des Abschieds hat sie als bedrückend, manchmal auch tieftraurig erlebt, wenn sich jemand noch einmal kurz vor seinem Tod gegen sein Schicksal aufgebäumt oder vor Einleitung eines künstlichen Komas mit seinen Angehörigen telefoniert hat, um ein Lebenszeichen zu geben. Manchmal das letzte – vielleicht ohne es selbst zu ahnen. Denn mitunter gab es Grund zu Hoffnung, doch schon wenige Stunden später konnte sich das Blatt dramatisch wenden. "So etwas zu sehen, kostet Kraft und lässt sich nicht einfach so wegschieben", sagt die Intensivpflegerin. Und dass ihr die psychische und physische Anstrengung selbst jetzt noch in den Knochen stecke.

Für rund 25 Covid-Patienten gleichzeitig hätte das Haus der Regel- und Schwerpunktversorgung mit seinen insgesamt fast 400 Betten eine Intensivpflege vorhalten können. Auf den Ernstfall war man jedenfalls gut vorbereitet. Schließlich hatte die Krankenhausleitung früh eine zusätzliche Ersatz-Intensivstation eingerichtet, aus Sorge, es würde bald ein Bettenengpass entstehen. Schließlich musste es ja auch für die anderen schwerstkranken Patienten intensivmedizinisch weitergehen, auch wenn zunächst – und dann auch noch einmal in der dritten Welle – jede nicht lebensnotwendige OP abgesagt und der Normalbetrieb heruntergefahren wurde, um dem Ansturm der Corona-Neuaufnahmen standhalten zu können.

Fast täglich neue Informationen zu Corona

"Vorübergehend hat das OP-Personal, das mit einem Mal freie Kapazitäten hatte, bei uns ausgeholfen, musste allerdings auch erst in die Abläufe einer Intensivstation eingearbeitet werden", erklärt die Leiterin der Intensivpflege. "Das brachte sehr viel Unruhe mit sich. Hinzu kam, dass wir es mit unterschiedlichen Erregervarianten zu tun hatten, von daher auf eine Kohortenisolation geachtet werden musste und grundsätzlich der Umgang mit dieser Erkrankung für uns alle ja völlig neu war."

Auch Lernprozesse, die auf Erfahrung aufbauen, seien schwierig gewesen. "Keine Welle war wie die vorangegangene. Immer gab es neue Herausforderungen. Und zunächst kaum Schutzmaterialien oder seriöse Quellen, aus denen man verlässliches Wissen zu dieser total unbekannten Infektion hätte schöpfen können." Auch der genaue Übertragungsweg – zum Beispiel über Aerosole – sei erst einmal nicht bekannt gewesen. "Das machte die Einschätzung der Situation so schwer, zumal sich die Informationen dazu fast täglich überschlugen."

Fast alle Beatmungsgeräte rund um die Uhr im Einsatz

Außerdem seien auf Station gleich zu Beginn zehn Kollegen gleichzeitig ausgefallen, die sich sofort mit dem Virus angesteckt hätten – zum Teil mit Long-Covid-Verläufen. "Das heißt, wir mussten alle zur Verfügung stehenden Kräfte mobilisieren, oft auch improvisieren – und das angesichts einer großen Verunsicherung. Viele Pflegerinnen und Pfleger, die zuhause Familie oder alte Eltern haben, reagierten zu recht beunruhigt, manche sogar panisch", beschreibt Ganz rückblickend die persönliche Betroffenheit ihrer Kollegen, während in den Medien die erschütternden Bilder aus New York oder Bergamo kursierten. "Zwischenzeitlich hatten wir Angst vor italienischen Verhältnissen."

Dicke Schichten – Kittel, Schutzbrille, Visier, FFP2-Masken, Haube und Handschuhe – gehören in dieser Akutphase zur alltäglichen Schutzmontur. "Und immer wieder umziehen – bis zu 30 Mal am Tag, jedenfalls so oft es im Zimmer eines Patienten Alarm gab. Da ist man schnell in Schweiß gebadet." Fast alle Beatmungsgeräte seien zu diesem Zeitpunkt rund um die Uhr im Einsatz gewesen, um den Schwerstbetroffenen genügend Sauerstoff zuzuführen und so für eine Atmungserleichterung zu sorgen. "Die ersten Patienten haben wir noch regelmäßig intubiert, sediert und beatmet. Doch das hat längst keinen Automatismus mehr. Heute wissen wir, dass ein Covid-Patient unter Umständen mehr davon profitiert, wenn er möglichst lange wach bleibt und mit atmungsunterstützenden Therapien versorgt wird wie zum Beispiel der sogenannten High-Flow-Therapie ", berichtet Ganz. Das und vieles mehr habe zu allmählichen Lernfortschritten in Sachen Corona gehört.

An den Grenzen der eigenen Möglichkeiten angekommen

Während der zweiten Welle hätten dann die gehäuften Ausbrüche in den Altenheimen lange Liegezeiten auf der Intensivstation zur Folge gehabt. "Nun hatten wir schwerstkranke Patienten, die fast durchweg beatmet werden mussten, mit zum Teil rapiden Verläufen und hohen Todeszahlen. Manchmal mussten wir machtlos dabei zusehen, wie schnell sich der Zustand eines älteren Menschen verschlechterte, während die Angehörigen oft in Quarantäne mussten, allein schon deshalb Besuche unmöglich waren und niemand beim Sterben eine Hand halten konnte." Das sei sehr belastend und extrem frustrierend gewesen, "auch wenn wir versucht haben, jede Abschiedssituation so würdig wie möglich zu gestalten. Aber ein Pfleger ist nun mal nicht wie der eigene Partner oder das eigene Kind und kann auch kein Ersatz dafür sein. In solchen Sterbestunden, in denen wir uns normalerweise auch um die Angehörigen kümmern, war nichts mehr so, wie wir es sonst kennen und es uns wichtig ist", erläutert Ganz.

Auch das kollegiale Gespräch, der Austausch untereinander habe gefehlt. Hätten sie früher oft nach einer Schicht zusammengesessen, um sich gegenseitig aufzufangen, sei dieser Gemeinschaftsaspekt in der Hochphase der Corona-Pandemie total weggefallen. "Die Teambildung ist zu diesem Zeitpunkt völlig hinten übergekippt, ganz abgesehen davon, dass ich als Leitung irgendwann überhaupt keine Kraft mehr hatte, meine Mitarbeiter noch einigermaßen gut durch diese Krise zu lenken. Es kam der Punkt, da war ich absolut an den Grenzen meiner Möglichkeiten: total erschöpft und ausgelaugt. Dabei bin ich sonst belastbar, ausdauernd und eher ein optimistischer Typ", reflektiert Ute Ganz, die einige Jahre neben ihrer intensivpflegerischen Tätigkeit als Diplom-Sportlehrerin gearbeitet hat.

Intensivpflegerin Ganz: Immer ging es darum, Leben zu retten

Auch die Kolleginnen und Kollegen seien zunehmend dünnhäutiger geworden. "Normalerweise können wir mit dem Tod umgehen – das gehört zu einer Intensivstation dazu – aber es wurde immer schwieriger, unsere Trauer und manchmal auch Wut, dass wir die Menschen nicht retten können, zu verarbeiten. Denn natürlich entsteht auch eine Patientenbindung, wenn man jemanden über viele Wochen betreut. Schließlich sind wir darauf geeicht, jeden hier lebend herauszubringen und alles Menschenmögliche dafür einzusetzen: medizinisch, pflegerisch, menschlich. Es war eine unerträgliche Situation, zumal niemand einen Ausgleich hatte oder im Privaten Kraft tanken konnte." Eher ging es für viele nach der Arbeit mit Homeschooling zuhause weiter. "Diese Doppelbelastung war kaum auszuhalten."

Trotzdem habe es eine hohe Arbeitsmoral gegeben und immer auch die Bereitschaft, mal für den anderen einzuspringen und dessen Schicht zu übernehmen. Das rechnet Stationsleitung Ganz ihrem Team auch im Nachhinein noch hoch an. "Jeder Intensivplatz war wichtig – in jeder Phase der Pandemie – aber erst recht, als dann auch erschreckend junge Patienten eingeliefert wurden und sich erschütternde Szenen abspielten. Denn immer ging es darum, Leben zu retten. Da musste pausenlos rumgeschoben und organisiert werden, um möglichst vielen Menschen helfen zu können – und wenn nicht bei uns, dann mit einer Verlegung in die Uniklinik; eine Situation, die nicht nur auf Kante genäht war, sondern weit darüber hinaus."

Pflegenotstand auch auf den Intensivstationen spürbar

Mit voller Wucht trifft zu diesem Zeitpunkt in ganz Deutschland die dritte Welle die Intensivstationen. Täglich spuckt das sogenannte DIVI-Register – eine zu Beginn der Pandemie von der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) in enger Zusammenarbeit mit dem Robert Koch-Institut (RKI) eingerichtete Methode zur Erhebung noch freier Intensiv-Betten die tagesaktuelle Zahl aus und liefert so auch einen Überblick über die intensivmedizinisch behandelten Covid-19-Patienten sowie über die Behandlungskapazitäten von über 1200 Krankenhäusern in ganz Deutschland. Denn gegen mögliche Versorgungsengpässe oder gar einen drohenden Kollaps, zum Beispiel bei Spezialgeräten zur sogenannten extrakorporalen Membranoxygenierung, bei denen eine künstliche Hightech-Lunge teilweise oder vollständig die Atmung des Erkrankten übernimmt – in der Fachsprache Ecmo genannt – sollen rechtzeitig entsprechende Maßnahmen ergriffen werden.

"Auch wenn das Schlimmste jetzt erst einmal vorbei ist und sich hoffentlich so schnell nicht wiederholt", sagt Ganz mit zeitlichem Abstand zu dem Erlebten, "hinterlassen diese Erfahrungen ihre Spuren. Ich kenne Kollegen, die wollen diese Arbeit nicht mehr machen. Für sie hatte das Ganze traumatische Züge. Die sind vollkommen ausgepowert." Sie selbst sieht da weitaus optimistischer in die Zukunft, auch wenn der Pflegenotstand für sie mehr als real existent ist. "Denn auch auf den Intensivstationen werden Pflegekräfte dringend gesucht." Das bekommt die 56-Jährige tagtäglich am eigenen Leib zu spüren. Dabei sei das ein wirklich toller und vielseitiger Beruf, schwärmt sie. "Mir gefällt gerade diese besondere Kombination aus Medizin, Technik und menschlicher Zuwendung." Das sei hochspannend.

"Für unsere Patienten tun wir alles", betont Ute Ganz. "Und wenn das nicht reicht, legen wir den Schalter um und begleiten sie auf ihrem letzten Weg." Corona sei ein absoluter Ausnahmezustand gewesen. "Aber wenn dieser enorme Druck nicht besteht, nehmen wir uns für jeden Abschied die nötige Zeit und überlegen, was uns selbst gut täte, wenn es einmal soweit ist."

Beatrice Tomasetti (DR)

 


Intensivpflegerin Ute Ganz ist in der Pandemie an ihre physischen und psychischen Grenzen gestoßen. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Intensivpflegerin Ute Ganz ist in der Pandemie an ihre physischen und psychischen Grenzen gestoßen. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Möglichst jedes Leben zu retten, das ist das Ziel von Ute Ganz und ihrem Team. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Möglichst jedes Leben zu retten, das ist das Ziel von Ute Ganz und ihrem Team. / © Beatrice Tomasetti ( DR )
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