Wie gemeinsames Singen digital gelingen kann

Mit den Nicht-Möglichkeiten leben

Gemeinsam singen: Das ist so ziemlich das Gegenteil von Corona-Schutzmaßnahmen. Chorproben oder Mitsing-Konzerte finden selten oder gar nicht mehr statt. Digital geht es leidlich. Doch es gibt ein digitales Mitsing-Format, das Spaß macht.

Singen in der Wohnung / © Maria Markevich (shutterstock)
Singen in der Wohnung / © Maria Markevich ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Ein Kantor leitet Chöre und wenn er das nicht kann, dann wird er zum Technikfreak oder wie war das bei Ihnen?

Thomas Wegst (Kantor der evangelischen Gemeinde Köln-Porz): Ja schon ein Stück weit. Man macht aus der Not eine Tugend und wird erfinderisch. Mein Glück ist, dass ich - Gott sei Dank - nicht nur musik-, sondern auch technikaffin bin. So kam beides ganz günstig zusammen.

DOMRADIO.DE: Es gab ja viele Versuche mit dem Online-Tool Zoom. Aber im Zoom-Meeting zusammenzusingen, kann man vergessen. Rückkopplung, Verzerrung, Verzögerung. Welchen Weg haben Sie gefunden?

Wegst: Im Prinzip auch keinen anderen. Es gibt natürlich andere Software, Jamulus ist gerade so der Renner. Aber das erfordert doch einige technische Grundausrüstung für jeden einzelnen Chorsänger. Und das ist natürlich sehr schwierig, das in einem großen Ensemble umzusetzen, wenn da jeder erst einmal ein paar hundert Euro in die Hand nehmen muss. Ich habe mich für Zoom entschieden und lebe ganz gut mit den Nicht-Möglichkeiten, sage ich mal. Die Frage ist ja immer: Ist das Glas halb voll oder halb leer?

Ich schalte beim Zoom-Meeting alle Teilnehmer stumm. Das heißt, die Teilnehmer hören nur mich, das Klavier und sich selbst, um die Zeitverzögerung auszuschalten. Was aber bei mir vielleicht besser ist als bei dem einen oder anderen Kollegen, ist das technische Equipment. Ich habe ein sehr hochwertiges Mikrofon. Das Klavier wird digital in den Laptop eingespeist, sodass also meine Tonquellen erst mal digital bei den Teilnehmenden ankommen.

DOMRADIO.DE: Kann ich mir das so vortsellen, dass ich den Chorleiter, der Keyboard spielt und den Einsatz gibt, sehe und höre und ich singe dann aber alleine in meinem Wohnzimmer?

Wegst: Genau, aber sie hören ja mich und das Klavier. Wenn ich nicht so viel Feedback bekommen hätte, dass das ganz super klappt und viel Spaß macht, dann würde ich es vielleicht auch nicht überzeugend finden. Wenn man sich aber auf das Format einlässt und Spaß daran hat - ich mache das seit über einem Jahr und habe da meine Erfahrungswerte gesammelt - dann kann man doch sehr viel herausholen.

DOMRADIO.DE: Sie sehen ja die Teilnehmenden. Geben Sie während der Probe auch Hinweise, wenn jemand eine schlaffe Körperhaltung einminnt? Sagen Sie dann: Bitte mal die Schultern zurücknehmen, das Kinn höher, damit die Töne besser fließen?

Wegst: Das mache ich in der Tat so, denn genau dafür bietet das Format eine ganz große Chance. Das Format fungiert ja quasi als Spiegel, der Bildschirm, das Display. Sie sehen sich ja als Teilnehmer, als Teilnehmerin im Spiegel, neben ganz vielen anderen Bildern. Die Anordnung bei der Zoom-Konferenz ist ja immer folgende: Der Administrator ist ganz oben links und daneben ist Lieschen Müller und Onkel Fritz.

Das heißt, Sie sehen zum Beispiel meine Mundöffnung bei einer Vokalgestaltung immer direkt neben ihrer eigenen. Das ist ein großer Vorteil gegenüber der Chorprobe in Präsenz, weil man zwar sagen kann, die Sängerinnen sollen die Münder ein bisschen weiter aufmachen, aber die Chorsänger selbst haben nicht die direkte Kontrolle. Bei Zoom ist das möglich.

DOMRADIO.DE: Unter den bestehenden Pandemie-Bedingungen haben sie sich ein weiteres zusätzliches Angebot für Nicht-Chormitglieder ausgedacht. Worum geht es da?

Wegst: Ich habe dieses offene Sing-Format vor ungefähr 15 Jahren entwickelt, habe das einmal monatlich bei mir in der Gemeinde gemacht. 2016 musste ich es leider einschlafen lassen, weil mir die Chorarbeit mit sieben Chorgruppen so über den Kopf wuchs, dass ich da einfach ein bisschen reduzieren musste. Diese Idee und diese Erfahrungswerte aus der damaligen Live-Veranstaltung, die habe ich jetzt in das digitale Format übertragen.

DOMRADIO.DE: Stellen Sie dann diesen Mitsing-Abend unter ein bestimmtes Thema oder was wird da so gesungen?

Wegst: Wir singen wirklich kunterbunt querbeet - eine Mischung aus Volksliedern, Popsongs, Geistlichem, Weltlichem. Zum Beispiel singen wir den "Kleinen grünen Kaktus". Es ist wirklich ein breites Angebot von "What a Wonderful World" bis "Der Mond ist aufgegangen". Das ist ein ganz buntes Programm, bei dem auch immer bewegte und ruhigere, heitere und besinnliche Stücken abwechseln. Durch diesen Wechsel und die Kurzweiligkeit kommt das Format bei den Menschen einfach prima an.

Das Interview führt Uta Vorbrodt.


Quelle:
DR