Welche liturgischen Änderungen nach Corona bleiben könnten

Ein Leben ohne Friedensgruß und Kelchkommunion?

Die Pandemie hat die Weihwasserbecken geleert und die Mundkommunion verdrängt. Es ist nicht das erste Mal, dass eine Krankheit die Liturgie verändert und es wird wohl nicht das letzte Mal sein. Was von den Hygienemaßnahmen wird bleiben?

Ein Pfarrer mit Mundschutz desinfiziert sich die Hände vor dem Austeilen der Kommunion. / © Harald Oppitz (KNA)
Ein Pfarrer mit Mundschutz desinfiziert sich die Hände vor dem Austeilen der Kommunion. / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Werden wir uns zum Friedensgruß irgendwann wieder die Hand reichen?

Hans-Jürgen Feulner (Liturgiewissenschaftler und Sakramententheologe an der Universität Wien): Das ist eine ganz gute Frage. Schon vor Corona hatte ich da Hemmnisse, gerade in der Grippesaison, wenn es Husten und Schnupfen gab und manche Gottesdienstbesucher sich dann in die Hände schnäuzten oder niesten und dann die Hand reichen. Jetzt sind wir natürlich sensibilisiert, was denn den Friedensgruß anbelangt oder die Kelchkommunion.

Es wird sicherlich nicht mehr ganz so sein wie vorher. Man wird vielleicht diese Desinfektionsgeräte beibehalten. Man wird die Gläubigen vielleicht gerade in der Grippesaison darauf aufmerksam machen, sich beim Friedensgruß andere Zeichen der Verbundenheit zu geben. Durch diese Pandemie hat sich doch das Hygieneverständnis auch bei Gottesdienstbesuchern sehr stark verändert. Im gesellschaftlichen, privaten Umfeld und sicherlich auch im Gottesdienst setzte da ein langsamer Lernprozess ein.

DOMRADIO.DE: In der Kirche fängt das ja schon mit dem Weihwasser an...

Feulner: Das ist gar keine Frage. Da gibt es sogar drei Studien aus dem deutschsprachigen Raum, die das Weihwasser untersucht haben und die zu erschreckenden Erkenntnissen gekommen sind. Gerade im Sommer tummelt sich dort alles Mögliche an Bakterien und anderem. In der Corona-Zeit oder auch Grippe-Zeit ist es natürlich ähnlich.

Man könnte einerseits Abhilfe schaffen, indem man das Weihwasser ein- oder zweimal die Woche reinigt, wie es das sogar das Caeremoniale episcoporum, also das Zeremonienbuch für die Bischöfe, schon seit Anfang des 17. Jahrhunderts vorschreibt. Darin steht, dass man das Weihwasser einmal die Woche auswechseln sollte. Vielleicht ist auch eine erhöhte Zugabe von Salz möglich. Früher hat man dem Weihwasser immer exorziertes Salz zugegeben. Mit einer höheren Konzentration, mit einer entsprechenden Einlage im Weihwasserbecken könnte man auch für die Zukunft ein bisschen Vorsorge treffen. Momentan ist es sicherlich sinnvoll, dass die Weihwasserbecken noch leer sind, aber für den Fall, dass man den Leuten eine Möglichkeit geben will, kleine Weihwasser Fläschchen mitzunehmen oder sich die Leute sich das auch abfüllen können, sollte man das unbedingt beibehalten.

Es kommen auch diese Weihwasser-Spender auf, die fast so aussehen, wie Desinfektions-Spender. Da muss man wirklich aufpassen, dass man das nicht verwechselt. Bei der Schweinegrippe vor acht oder neun Jahren hat man das in Italien schon angefangen. Das funktioniert dann mit einem automatischen Sensor und ein paar Tropfen Weihwasser, die herauströpfeln. Oder in Wien in einer Lungenheilanstalt: Da hat man schon vor 100 Jahren - im Zusammenhang mit Tuberkulose - Weihwasserspender gehabt, von denen das Weihwasser herunter tropfte.

DOMRADIO.DE: Wie ist es denn bei der Kommunionausteilung?

Feulner: Das ist natürlich ein heikler Punkt. Die Kelchkommunion, bei der ein Mundkontakt mit einem gemeinsamen Kelch da ist, hat das Zweite Vatikanische Konzil wieder zurückgebracht. Gott sei Dank. In den USA fing es schon vor über 100 Jahren mit einer Gesundheitskampagne bei Anglikanern, Presbyterianern, also Protestanten an, die die Kelchkommunion ja bereits kannten. Dort kam aus Sorge vor der Spanischen Grippe die Einzelkelch-Bewegung auf. Man hat dann einen einzelnen Kelch eingefordert.

Bei uns kam die Kelch-Kommunion ja erst nach dem Konzil. Langsam und auch mit dem gemeinsamen Kelch. Da ist natürlich schon ein Ansteckungspotenzial da. Weder der geringe Anteil des Messweins noch die Vergoldung des Kelches hat eine genügend desinfizierende Wirkung. Die Konsekration natürlich auch nicht, wenn wir die Eucharistie-Theologie ernst nehmen. Da wird man sich auch nach der Coronakrise etwas überlegen müssen.

Ein evangelischer Theologe aus Leipzig hat gesagt, dass die Kelch-Kommunion auch in der evangelischen Kirche - zumindest aus einem gemeinsamen Kelch - nach 2020 nicht mehr so sein wird wie vorher. Auch dort überlegt man, wie man damit umgeht. Kelch-Kommunion ist da ein ganz heikler Punkt, weil ja mehrere Menschen aus dem gemeinsamen Kelch trinken.

Mund-Kommunion: Da ist natürlich auch ein gewisses Gefahrenpotenzial da, das man nicht unterschätzen kann. Nur könnte man da zwischendrin die Finger in hochprozentigen Alkohol eintauchen. Da könnte man mit guten Hygienekonzepten etwas entgegenwirken. Bei der Kelchkommunion aus dem gemeinsamen Kelch wird es nicht ganz so einfach sein. Beim Eintauchen der Hostie hat man die Gefahr, dass das nur der Priester machen darf und dann die eingetauchte Hostie ja auch wieder in den Mund des Kommunikanten geben muss. Da haben wir ein doppeltes Problem. Es wird hinterher sicherlich einiges anders sein und vielleicht auch sein müssen.

DOMRADIO.DE: Im Mittelalter hat man sich mal mit einer Art Pestlöffel beholfen.

Feulner: Ja, es gab damals Pestlöffel, Pestzangen – und wie ich kürzlich gehört habe, gab es in Siebenbürgen bei den Protestanten sogar Pestkelche mit verschiedenen Schnäbelchen.  Also man hat sich schon geholfen, wusste aber nicht, was die Ursache der Pest ist. Man hat damals nicht gewusst, dass die Pest durch Flöhe oder bei der Lungenpest durch Aerosole übertragbar war. Man wusste aber, dass Abstand wichtig war.

Also galt es: Beichte mit genügend Abstand. Die Finger mit Wein und Essigwasser sauber machen und das Gesicht damit reinigen. Diese langstieligen Pestlöffel dienten dazu, die Kommunion mit Abstand zu reichen. Wie das genau stattgefunden hat, ist eine andere Frage. Aber Kommunionzangen sind heute auch wieder in manchen Diözesen, wie etwa Rottenburg-Stuttgart, schon fast vorgeschrieben. Sie sehen, manche Sachen wiederholen sich dann im Laufe der Geschichte wieder. Man kann die Dinge aus der Pestzeit nicht eins zu eins auf die heutige Zeit übertragen, aber es ist interessant, was man damals schon instinktiv gemacht hat

DOMRADIO.DE: Zwischen diesen Ereignissen, sei es die Pest oder die Spanische Grippe, ist immer wieder viel Zeit vergangen. Es gehen viele Jahre vorbei und es wird alles wieder lockerer...

Feulner: Die Pest kam ja immer in Wellen nach Jahrzehnten wieder. Dann gab es wieder Pestverordnungen. Die wurden erneuert und irgendwie hat man sich grob an sie erinnert. Bei der Spanischen Grippe gab es ähnliche Hygienemaßnahmen. Kirchen waren geschlossen und es gab Masken. Aber man vergisst leider sehr schnell, muss man sagen. Man erinnert sich ungern an schlechte Gegebenheiten und blendet das Negative aus.

Denken Sie nur zurück an die Schweinegrippe vor acht bis neun Jahren. Ich kann mich gerade noch daran erinnern, dass die Weihwasserbecken vorübergehend leer waren und am Flughafen das Fieber gemessen wurde. Ich kann mich aber nicht mehr daran erinnern, ob der Friedensgruß auch damals ausgesetzt war und ob es es Hygienekonzepte gab.

DOMRADIO.DE: Was sollten wir berücksichtigen, wenn wir hoffentlich irgendwann wieder in normales Fahrwasser kommen?

Feulner: Das ist ein Anliegen unseres Buches "Gottesdienst auf eigene Gefahr? Die Feier der Liturgie in der Zeit von Covid-19". Man soll sehen, was für Konzepte weltweit erstellt wurden und was tatsächlich gut und nützlich war. Was war vielleicht doch ein wenig überzogen? Nicht Verzagtheit, sondern Besonnenheit ist angesagt. Verhältnismäßigkeit ist wichtig. Also: Welche Hygienekonzepte in den verschiedenen Diözesen und Bischofskonferenzen haben tatsächlich etwas gebracht und was diente nur der psychologischen Beruhigung?

Man muss sich bei der Kelchkommunion und beim Händereichen, beim Friedensgruß überlegen, wie es weitergeht. Wie geht es weiter mit dem Weihwasser? Will man vielleicht, wie in den USA, wie schon vor Corona in jedem Supermarkt einen Desinfektionsspender haben? Was kann man beibehalten? Man sagt ja, dass die nächste Pandemie schon vor der Tür steht.

Wir wollen von Wien aus Forschungsprojekte mit Medizinern, Virologen, Epidemiologen, Krankenhaus- und Lebensmittelhygienikern anstoßen, um tatsächlich ein wissenschaftliches Konzept zu erarbeiten: Was lernen wir medizinisch und auch liturgisch? Was ist angemessen? Was sollten wir für die Zukunft beibehalten? Was ist zu tun, wenn uns wieder eine Pandemie ereilt? Da kann man sich nicht nur auf staatliche Expertise verlassen, die sich ja mit religiösen Ritualen und gottesdienstlichen Feierformen nicht so auskennt. Da müssen wir tatsächlich in Zusammenarbeit mit Medizinern überlegen, was zu tun ist. In den USA hat man da interdisziplinär schon einiges erarbeitet.

Das Interview führte Dagmar Peters. 


Neuer Band über Corona und Liturgie (DR)
Neuer Band über Corona und Liturgie / ( DR )

Desinfektionsspender in der Kirche / © Harald Oppitz (KNA)
Desinfektionsspender in der Kirche / © Harald Oppitz ( KNA )

Messe im Kölner Dom am 3. Mai unter strengen Hygienevorschriften. / © Robert Boecker (Kirchenzeitung Koeln)
Messe im Kölner Dom am 3. Mai unter strengen Hygienevorschriften. / © Robert Boecker ( Kirchenzeitung Koeln )
Quelle:
DR
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