USA: Schwarze Bevölkerung besonders von Pandemie betroffen

"Wir müssen die Ungleichheit jetzt thematisieren"

"Wenn das weiße Amerika einen Schnupfen bekommt, holt sich das schwarze Amerika eine Lungenentzündung“, heißt es. Für das Coronavirus gilt das offenbar besonders, wie eine Gemeinde im New Yorker Stadtteil Harlem zeigt.

New York: Ein U-Bahn-Schaffner, der eine Schutzmaske trägt / © Mark Lennihan (dpa)
New York: Ein U-Bahn-Schaffner, der eine Schutzmaske trägt / © Mark Lennihan ( dpa )

Reverend Johnnie Green stand allein am Grab von Cathy Williams, die als erstes Mitglied der "Mount Neboh Baptist Church“ von Harlem dem Coronavirus erlegen war. Ihre Familie hatte ihn darum gebeten, der angehenden Pastorin das letzte Geleit zu geben. Niemand sonst durfte wegen der Pandemie an der Beerdigung teilnehmen.

"Ein wunderbarer Mensch“, erinnert sich Green an die engagierte Leiterin des Kirchenchors, die sich an einem Montag krankgemeldet hatte. Tags drauf kam die 65-Jährige ins Krankenhaus und war sechs Tage später tot. Das erste von neun Opfern der Baptisten-Gemeinde, die als Symbol dafür steht, wie hart vor allem das schwarze Amerika von der Corona-Krise getroffen ist.

Angst bei jedem Telefonklingeln

Es folgten eine Diakonin, mehrere Mitglieder des Kirchenvorstands, Freiwillige in der Sonntagsschule und Abendmahl-Helfer. Aus Sorge vor weiteren Hiobsbotschaften traue er sich nicht mehr, ans Telefon zu gehen, sagt Pfarrer Green, der die Traditionsgemeinde im Herzen Harlems seit 2006 führt. "Ich weiß von mindestens 20 anderen, die positiv auf das Virus getestet wurden.“

In seiner Gemeinde erlebt der Pastor im Kleinen, was sich in Metropolen mit hohem schwarzen Bevölkerungsanteil wie New York, Chicago, Detroit, New Orleans, Miami und Atlanta, aber auch im ländlichen Süden im Großen abspielt.

Fast zwei Drittel der Infizierten sind Afroamerikaner

Die unvollständigen Statistiken der Gesundheitsbehörden lassen überall erkennen, dass Afroamerikaner proportional häufiger an Covid-19 erkranken und eher dem Virus erliegen als weiße US-Bürger.

In Chicago sind 72 Prozent aller Infizierten Afroamerikaner, obwohl sie nur 30 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Ähnlich die Situation im Südstaat Louisiana, wo mehr als zwei von drei Corona-Opfern schwarz sind. In New York City erlagen dem Virus mindestens 2.000 Schwarze, womit sie im Pro-Kopf-Vergleich die höchste Sterblichkeitsquote haben.

Strukturelle Probleme im Gesundheitswesen

"Wenn das weiße Amerika einen Schnupfen bekommt, holt sich das schwarze Amerika eine Lungenentzündung“, zitiert Green ein Sprichwort in der schwarzen Gemeinde. Damit spielt er auf die strukturellen Probleme des US-Gesundheitswesens an, das Afroamerikaner nach Ansicht vieler Experten benachteiligt.

Es ist gut dokumentiert, dass Schwarze häufiger in Armut leben, seltener eine Krankenversicherung oder Zugang zu Gesundheitsdiensten haben. Sie leiden entsprechend öfter an Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes, Asthma oder Fettleibigkeit. Und haben in dieser Pandemie noch weniger Zugang zu Corona-Tests als Weiße. Dass 19 der 20 wohlhabendsten Nachbarschaften Manhattans die niedrigsten Opferzahlen haben, ist für Pfarrer Green kein Zufall. "Das beschreibt die Konsequenzen des institutionellen Rassismus in Amerika“.

"Wir müssen die Ungleichheit jetzt thematisieren"

Diesen Aspekt heben auch die Initiatoren eines Schreibens an Präsident Donald Trump, die Führer im US-Kongress und andere Verantwortliche hervor. "Die Krankheit ist nicht nur biologisch, sondern soziologisch zu erklären“, sagt der progressive Volksprediger Benjamin Barber, der zu den zwölf prominenten Kirchenführern gehört, die den Brief unterzeichnet haben.

"Wir müssen diese Ungleichheit jetzt thematisieren und können nicht damit warten, bis diese Pandemie vorüber ist.“ Die schwarzen Pastoren verlangen umgehenden Zugang zu Corona-Tests für Wohngebiete mit hohem Minderheitenanteil, Soforthilfen für arme Amerikaner und eine Ausweitung des Krankenversicherungsschutzes in Bundesstaaten, die das bislang abgelehnt haben.

Wissenschaft bestätigt Benachteiligung

Bestätigt wird der Vorwurf der Pastorin von der Expertin für öffentliche Gesundheit an der Universität von Kalifornien in Los Angeles, Chandra Ford. Die ungelösten Probleme beim Zugang zu Gesundheitsdiensten "tragen zur Verbreitung von Covid-19 in schwarzen und anderen farbigen Minderheiten sowie sozial benachteiligten Gemeinden bei“, sagt die Wissenschaftlerin.

Pfarrer Green von der "Mount Neboh Baptist Church“ in Harlem will nicht locker lassen, bis der Aufschrei seiner Gemeinde gehört wird.

Wenige Tage nach der Beerdigung von Cathy Williams fühlte sich der Reverend plötzlich selber fiebrig. Sein Arzt schickte ihn in Quarantäne. Glücklicherweise sei er genesen, sagt Green. Ob er an Corona erkrankt war, könne er nicht sagen. Denn auch er habe keinen Zugang zu einem Test bekommen.


Quelle:
KNA