Vor einem Jahr starb Georg Ratzinger

Viel mehr als "nur" Papstbruder

Seinen Ruhestand hätte der langjährige Regensburger Domkapellmeister am liebsten mit seinem Bruder Joseph in Bayern verbracht – durch die Papstwahl wurde vieles anders, das Verhältnis der Ratzinger-Brüder aber blieb eng bis zu Georgs Tod.

Georg Ratzinger / © kna (KNA)
Georg Ratzinger / © kna ( KNA )

Der eine wurde der "Bücher-Ratz", der andere der "Orgel-Ratz" genannt, um die Gebrüder Ratzinger in jungen Jahren auseinanderzuhalten. Beide studierten Theologie, wurden vor 70 Jahren gemeinsam zu Priestern geweiht. Der emeritierte Papst Benedikt XVI. konnte diesen Jahrestag am Dienstag trotz gebrechlicher Gesundheit noch feiern -  Besuch bekam er aus diesem Anlass von ehemaligen Sängern der Regensburger Domspatzen, die ihm und ihrem ehemaligen Leiter und Domkapellmeister Georg Ratzinger bis heute verbunden sind.

Feiner bayerischer Humor

Während Joseph Theologieprofessor, Bischof, Kurienkardinal und sogar Papst wurde, studierte Georg zur Theologie noch Kirchenmusik und leitete ab 1964 jahrzehntelang die Regensburger Domspatzen. "Er hat die Domspatzen wirklich zu Welterfolgen geführt", erzählte vor einem Jahr gegenüber DOMRADIO.DE die Journalistin Susanne Hornberger, die jahrelang mit Georg Ratzinger befreundet gewesen war. Die heutige Leiterin der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit der Hanns-Seidel-Stiftung und ehemalige Vatikan-Korrespondentin schätzte an Georg dessen Humor: "Er hatte einen unglaublich feinen bayerischer Humor und war ein extrem liebenswürdiger Mensch, der ja theologisch und natürlich musikalisch unglaublich fundiert war, aber genau mit diesem Wissen und Können nie geprahlt hat."

Enge Verbundenheit zwischen den Brüdern

Auch der Chorleiter Karl-Heinz Liebl spricht voller Achtung über den ehemaligen Domkapellmeister. Liebl kam als Junge zu den Regensburger Domspatzen und arbeitete später als Chorleiter und Stimmbildner für die Domspatzen und Georg Ratzinger, er habe ihn in bester Erinnerung: "Er war mein Mentor. Er war derjenige, der mich bei den Domspatzen - ich war selber Domspatz - großgezogen hat. Wir sind etwa zur gleichen Zeit zu den Domspatzen gekommen - ich als Schüler, er als Domkapellmeister. Und wir haben dann noch viele, viele Jahre auch zusammengearbeitet. Es war immer ein wunderbares Erlebnis, mit diesem Mann und bei diesem Mann zu arbeiten."

Am Dienstag besuchte er mit ehemaligen Sängern der Domspatzen den emeritierten Papst im Vatikan und gestaltete eine Messe und ein Hauskonzert bei Benedikt.

Die Verbundenheit zwischen den Brüdern hätten er und andere Mitsänger immer wieder erlebt, auch bei Benedikts letztem Besuch vor einem Jahr in Regensburg kurz vor Georgs Tod: "Wir haben schon gewusst, welcher große Wunsch es für beide war, dass sich die Brüder noch einmal sehen."

Bewunderung, aber auch Kritik

Während des Pontifikats von Benedikt rückte fast automatisch auch der schon emeritierte Domkapellmeister mehr in den Fokus der Öffentlichkeit. Dabei sprach Joseph Ratzinger in früheren Jahren regelmäßig davon, dass er der Bruder des berühmten Domkapellmeisters Georg Ratzinger sei. Auch wenn sicher etwas Understatement des schon damals bekannten Theologen mit dabei war, Georg führte die Domspatzen ohne Frage auf ein sehr hohes Niveau und unternahm viele Reisen mit dem Knabenchor. Ehemalige Sänger sprechen mit Hochachtung von ihm.

Es gab aber auch die andere Seite. Jähzornig konnte er in den Proben werden, er selbst räumte Ohrfeigen ein, die er verteilt hatte. Zu der körperlichen Gewalt kam von anderen Mitarbeitern der Domspatzen im Laufe der Jahrzehnte auch sexueller Missbrauch hinzu, von dem Georg Ratzinger sagte, er habe davon nichts gewusst. Einige Taten passierten schon in den Jahren vor Ratzingers Amtsantritt 1964.

Missbrauchsfälle bei den Domspatzen

Der Abschlussbericht 2017 zu Gewalt und sexuellem Missbrauch ermittelte 547 Misshandlungs- und Missbrauchsfälle bei den Regensburger Domspatzen. 500 Jungen waren demnach Opfer körperlicher Gewalt und 67 Opfer sexueller Gewalt; einige erlitten beides. Verantwortlich hierfür seien 49 Täter; 45 von ihnen übten körperliche Gewalt aus, insgesamt neun sexuelle Gewalt.

Auch sein Bruder Joseph musste sich als Papst mit dem Thema sexuelle Gewalt in der Kirche auseinandersetzen. "Als ich für die ARD Vatikan-Korrespondentin war, haben wir natürlich auch das Thema Missbrauch gehabt", erinnerte sich vor einem Jahr Susanne Hornberger im DOMRADIO.DE-Gespräch: "Das war sehr präsent im Vatikan, darüber habe ich intensiv für die ARD und die dritten Programme berichtet. Es war eine extrem aufwühlende Zeit, aber es gab nicht nur den Missbrauch. Es gab Vatileaks, wenn Sie sich erinnern, damals wurden aus den päpstlichen Büros Benedikts päpstliche Dokumente gestohlen, und zwar von seinem Kammerdiener Paolo Gabriele."

Ein letztes Treffen der Brüder

Trotz der Entfernung Roms zu Regensburg hielten die Brüder über die Jahre Kontakt, auch als Benedikt Papst wurde, trafen sie sich meist dreimal im Jahr in Rom.

Die letzten Jahre waren bei Georg Ratzinger durch Altersbeschwerden geprägt: "Er hat ja offen gesagt, dass er immer schlechter gesehen hat. Er war am Schluss ja fast blind. Er ist damit offen umgegangen, er hat dieses Handicap mit Geduld und Demut ertragen," erzählt Susanne Hornberger.

Als sich der Gesundheitszustand des emeritierten Domkapellmeisters im Juni 2020 stark verschlechterte, reiste der selbst gesundheitlich angeschlagene Benedikt privat nach Regensburg, um seinen Bruder das letzte Mal zu begegnen. Am Krankenbett gab es ein letztes Treffen: "Das war auch für Georg Ratzinger dann das Zeichen, einfach von dieser Welt loslassen zu können", meint Karl-Heinz Liebl. Dann, am 1. Juli 2020, stirbt Georg Ratzinger im Alter von 96 Jahren.

An der Beerdigung nimmt Benedikt XVI. nicht mehr teil. Aufgrund der Corona-Auflagen können auch die Domspatzen nicht singen, aber ein Ensemble aus 16 ehemaligen Sängern geben ihrem ehemaligen Domkapellmeister musikalisch das letzte Geleit.

Mathias Peter


Georg Ratzinger, aufgenommen bei einer Chorprobe im Jahr 1989 (dpa)
Georg Ratzinger, aufgenommen bei einer Chorprobe im Jahr 1989 / ( dpa )

Joseph (l.) und Georg Ratzinger im Jahr 2008 / © Osservatore Romano/Romano Siciliani (KNA)
Joseph (l.) und Georg Ratzinger im Jahr 2008 / © Osservatore Romano/Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
DR
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