Nadin Schindel

Nadin Schindel / © Angela Krumpen (ak)

Wie eine einzige Baustelle mutet mir der Weg zu Nadin Schindel in Altona-Mitte an: der Hamburger Himmel regnet grau vor sich hin, die Bürgersteige werden aufgerissen oder gleich erst noch gebaut. Für Menschen im Rollstuhl, wie Nadin Schindel, stelle ich mir diesen Weg wirklich mühsam vor! „Willkommen in meinem Zuhause“ empfängt Nadin Schindel mich oben strahlend. Vor gut zwei Jahren noch war das, ein eigenes Zuhause, völlig außerhalb jeder Möglichkeit.

Auf die Idee muss man kommen

Ihr ganzes Leben lang war Nadin Schindel, die als Baby geschüttelt wurde, spastisch gelähmt. 2017 verlor Nadin Schindel die Fähigkeiten, die sie noch hatte. Als am Ende jeder Atemzug schmerzte, reichte es ihr. Sie stellte ein Ultimatum. Und zwar Gott. Sieben Wochen gab Nadin Schindel Gott, dann wollte sie selbstbestimmt gehen. „Ich wollte nicht sterben, ich wollte nicht mehr so leben“, erzählt Nadin Schindel.

Zu ihrer großen Überraschung, tauchte wenige Tage nach dem Ultimatum ein neues Therapeutinnenteam als Urlaubsvertretung auf. Das Team zeigte Nadin Schindel, nach 22 Jahren voll Schmerz und Qual und Abhängigkeit, einen neuen Weg: „Auf die Idee muss man kommen“, staunt Nadin Schindel immer noch.

Ich kann zwar nicht gehen, aber ich kann fliegen

Was das für eine Idee war – und wie sie daraus sechs Wochen nach dem Ultimatum an Gott zum ersten Mal in ihrem Leben schmerzfrei war, diese Geschichte alleine wäre es wert, diese Sendung Menschen anzuhören. Aber das Wunder geht noch weiter. Ihr neues Team aber verhalf ihr nach und nach zu immer mehr Fähigkeiten, bis sie schließlich hörte:

„Nadine, jetzt kannst du alles, um alleine zu wohnen.“  Und tatsächlich, mit Hilfe einer einzigartigen Deckenliftkonstruktion, kann Nadin Schindel selbstständig wohnen. Mit dem Lift schwebt sie quasi vom Bett in den Rollstuhl. Fröhlich kommentiert Nadin Schindel: „Ich kann zwar nicht gehen, aber ich kann fliegen.“  

Alle Menschen verdienen Würde

Der Lift ist für Nadin Schindel der Beweis „wie sehr man um die Ecke denken kann“, weiterdenken, einfach noch mal anders denken könne. Ähnlich wie bei ihrem Schütteltrauma, bei dem erst nach 22 Jahren jemand um die Ecke dachte. Nadin Schindel klagt nicht darüber: „Menschen sind einfach nicht auf diese Idee gekommen. Menschen haben gedacht, da kann man eben nichts machen. Über diese Grenze hat niemand hinausgedacht.“

Nadin Schindel hat Abhängigkeit in vielfältiger Weise kennengelernt. Und immer neu um ihre Würde gekämpft: für ein Abitur im Internat, um ihren überforderten, gewalttätigen, alkoholkranken Eltern zu entfliehen. Dort hat Nadin Schindel für Privatsphäre gekämpft, später erstritten, dass sie in ein Pflegeheim mit anderen Bedingungen kam.

Die Möglichkeiten sehen. Und nicht die Grenzen

Wie die Hamburger SPD Nadin Schindel entdeckte? Erzählt sie in der Sendung selber.

Wenn Nadin Schindel jetzt für die Hamburger Bürgerschaft kandidiert, dann will sie, die ihr Leben lang auf Assistenz angewiesen war, deutlich machen: „Behinderung ist ein Auftrag, ein Teamplayer zu sein.“ Sie will zeigen: „Was wir alles tun können, wenn wir die Dinge miteinander tun.“

Vor allem aber will sie in die Bürgerschaft tragen, wie wichtig es ist, die Möglichkeiten zu sehen. Und nicht die Ausweglosigkeit.