Judith Stapf

Judith Stapf / © Angela Krumpen (ak)

Diese ersten Begegnung von Judith Stapf und Jerzy Gross war so ungewöhnlich, wie berührend. DOMRADIO.DE machte aus Judiths Fragen und Jerzy Gross Antworten eine Sondersendung zum 9. November 2008, zum Gedenken an die Reichspogromnacht 70 Jahre zuvor in Deutschland. Damit hätte es gut sein können. Aber für Judith war es nicht gut.

Ich wollte verstehen, um spielen zu können

"Die Geschichte war wie ein Sog für mich", sagt Judith Stapf zehn Jahre später, als ich sie während eines Heimatsbesuches bei ihren Eltern im Rheinland für diese Sendung treffe und an dem Tisch mit ihr sitze, an dem auch Jerzy Gross später oft saß. Die Geschichte von Jerzy Gross konnte einen solchen Sog auf das Mädchen Judith ausüben, weil Judith, die damals schon ungewöhnlich gut Geige spielte und mit elf an der Musikhochschule Köln als Jungstudentin aufgenommen wurde, ein besonderes Ziel verfolgte: Sie wollte, ganz unbedingt, die Titelmelodie des berühmten Spielbergfilms "Schindlers Liste" spielen.

Was rein von den Noten kein Problem gewesen wäre. "Aber intuitiv habe ich gespürt, dass ich diese Musik nur spielen kann, wenn ich verstanden habe, was damals geschehen ist." Auf dem Weg, zu verstehen, was damals geschah, halfen Bücher Judith nur bedingt. "Die Menschen damals waren auch zehn, die mussten das erleben, die konnten sich das nicht aussuchen, die konnten  das Buch nicht einfach zuschlagen. Ich wollte jemanden kennenlernen, der das Buch nicht zuschlagen konnte."

Die Geschichte zu meiner Generation bringen

Das Leben wollte, dass Judith Stapf nicht nur alle ihre Fragen stellen konnte - sie stellte sie einem Musiker. "Musiker", sagt Judith Stapf,  "wird man, wenn man sich ausdrücken will und etwas zu sagen." Weil aber beide Musiker gewesen seien, war "Musik der Grundstein, dass wir uns nicht nur begegnet sind, sondern Freunde wurden."

Jerzy Gross ging weit, damit Judith Stapf seine Geschichte wirklich verstehen konnte.  Er reiste mit ihr nach Polen, zu den ehemaligen KZ's, um ihr vor Ort von seinen Qualen zu erzählen. Eine großartige Chance für Judith. Die aber, fanden die Erwachsenen, nicht nur für Judith allein sein sollte. Sondern viel nachhaltiger, wie eine Staffelübergabe in noch eine Generation, die eigentlich zu jung ist, um selber Zeitzeugen zu treffen. Eine Fernsehkamera kam mit, um die Geschichte für die ARD zu dokumentieren. "Ich habe erst später verstanden, dass ich auch eine Stellvertreterin meiner Generation bin, dass es auch darum geht, die Geschichte zu meiner Generation zu bringen"

Vergesst mich nicht, aber habt Spaß

Wie Judiths Weg weiter gegangen ist in den letzten zehn Jahren erzählen wir in der Sendung: Wir erzählen von ihrem "musikalisches und politisches" Studium an der Barenboim Said Akademie - und wie sie dadurch in einem israelischen Altenheim vor Überlebenden gespielt hat. Wir erzählen von ihrem Auftritt im Deutschen Bundestag am Holocaustgedenktag und wir erzählen auch von dem Vermächtnis, das Jerzy Gross ihr an seinem Sterbebett mit auf den Weg gab.

"Vergesst mich nicht, aber habt Spaß" sagte er ihr zum endgültigen Abschied. "Ich habe damals verstanden, dass es wichtig ist, das Leben zu genießen. Wenn jemand das sagt, der so gelitten hat, hat es noch mal eine andere Bedeutung." Jerzy Gross Wunsch, dass er nicht vergessen wird, hat Judith sich zur Aufgabe gemacht: "ich werde nie aufhören zu erzählen, ich glaube, das könnte ich gar nicht."

Die Begegnung mit Jerzy Gross hat Judith Stapf dauerhaft verändert. Und ihre Musik auch: "Musik solch eine Relevanz, dass sie trösten kann. Wenn ich heute diese Musik spiele, dann geht es mir vor allem darum zu trösten."