Alois Glück zum bevorstehenden Katholikentag in Mannheim

"Wirklich offen miteinander reden"

Noch 100 Tage bis zum Katholikentag in Mannheim. Im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) skizzierte der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück, am Freitag in München seine Erwartungen an das fünftägige Treffen.

 (DR)

KNA: Das Motto des Katholikentags lautet "Einen neuen Aufbruch wagen". Warum und wohin will die katholische Kirche in Deutschland aufbrechen?

Glück: Wir müssen neu zu den Menschen gehen, weil die Kirche nicht zuletzt durch den Missbrauchsskandal viel Vertrauen verloren hat, aber auch, weil wir 2012 den 50. Jahrestag der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils begehen. Es geht darum, neu zu bedenken, wie man als Christ in der Welt von heute leben und den Glauben verkünden kann. Mannheim bietet die Möglichkeit, die Vielfalt von Glaubenswegen kennenzulernen, von Formen der Frömmigkeit und der Seelsorge. Wir werden diskutieren, wie wir uns als Kirche ändern müssen, um die innere Lebendigkeit zu fördern und den Menschen zu dienen. Der Katholikentag wird deutlich machen: Vertiefung des Glaubens oder Strukturreformen sind keine Alternativen. Beides gehört zusammen.



KNA: Können Sie inhaltliche Schwerpunkte nennen?

Glück: Es geht auch um einen gesellschaftlichen Neuaufbruch. Wir leben in einer Zeit sich häufender Krisen. Es ist offensichtlich, dass ein Weiter-so nicht trägt, weder kirchlich noch hinsichtlich der Zukunft unserer Zivilisation. Bei der Ursachenforschung müssen wir vor allem Wertvorstellungen in den Blick nehmen. Wir haben keine Patentrezepte als Christen, können aber einiges einbringen zur Lösung drängender Probleme, zur Entwicklung einer Lebensweise, die sozial, ökologisch und ökonomisch tragfähig ist in Solidarität mit einer wachsenden Weltbevölkerung. Ich denke da vor allem an unser christliches Menschenbild und die christliche Soziallehre.



KNA: Welche Rolle wird der von ZdK und Bischöfen angestoßene Dialogprozess spielen?

Glück: Er spiegelt sich auch in den Themen des Katholikentags. Mannheim ist eine riesige Gelegenheit, sich zu informieren und zu orientieren über Entwicklungen in unserer Kirche. Etwa wie in allen Bistümern durchaus unterschiedlich Gemeindeseelsorge umstrukturiert wird.



KNA: Mit Blick auf Forderungen nach einem Diakonat der Frau gab es Verstimmungen zwischen Bischöfen und dem ZdK. Droht bei Fragen nach der Zukunft der Kirche ein Gegeneinander von Basis und Kirchenleitung?

Glück: Links die Bischöfe - rechts die Laien oder umgekehrt, diese Konstellation gibt es nicht. Die Meinungsverschiedenheiten gehen quer durch. Der Katholikentag ist eine gute Gelegenheit, darüber miteinander zu diskutieren. Der Diakonat der Frau ist selbstverständlich auch ein Thema, das mit Vertretern aus der Bischofskonferenz erörtert wird, mit Frauen und Theologen. Genauso ist das bei vielen anderen Themen, etwa zum Umgang mit Geschiedenen, die wieder geheiratet haben.



KNA: Wie ökumenisch wird der Katholikentag?

Glück: Es gibt ein eigenes ökumenisches Zentrum. Zum Gespräch von Vertretern der katholischen, evangelischen und orthodoxen Kirche kommt der interreligiöse und interkulturelle Dialog als ganz wichtiger Baustein. In Mannheim leben etwa gleich viele Katholiken und Protestanten, es gibt aber auch einen relativ hohen muslimischen Bevölkerungsanteil.



KNA: Wie zeitgemäß ist das Format eines religiösen Massenevents mit 1.200 Einzelveranstaltungen und 50.000 Teilnehmern?

Glück: Allein die Resonanz zeigt, dass der Katholikentag für viele Menschen ein Ort der Inspiration ist, sie erhalten hier Impulse, die sie in ihren Heimatgemeinden so nicht bekommen würden. Es ist gerade keine zentrale Massenveranstaltung, wo Menschen sich nur versammeln und zuhören dürfen. Das wäre sinnlos in der heutigen Zeit. Der Katholikentag lebt von der Vielfalt kleinerer Veranstaltungen, der breiten Darstellung katholischen Lebens in Deutschland, von Gemeinden, Verbänden, Spontaninitiativen bis zu kirchlichen Hilfswerken.



KNA: Was ist wichtiger: Der Auftritt der Kanzlerin oder die tägliche Bibelarbeit?

Glück: Prominente Teilnehmer sichern öffentliche Aufmerksamkeit für bestimmte Themen. Andererseits verdecken sie auch ein Stück das Gesamtbild des Katholikentags. Entscheidend ist die Fülle von Begegnungen und Diskussionen, wo Menschen sich einbringen können. Ich hoffe, dass die Teilnehmer am Ende ermutigt nach Hause gehen, gestärkt im Glauben und in der Bereitschaft, sich in Kirche und Gesellschaft zu engagieren. Für die Verbesserung der Gesprächskultur in unserer Kirche ist wichtig, dass wirklich offen miteinander geredet wird.



Das Interview führten Volker Hasenauer und Christoph Renzikowski.



Hintergrund

Fünf Tage lang kommen Zehntausende Christen zusammen, um zu beten und über kirchliche sowie gesellschaftliche Fragen zu diskutieren.

Geplant sind mehr als 1.200 Einzelveranstaltungen. Dazu zählen Bibelkreise, Podiumsdiskussionen, Konzerte oder Ausstellungen.

Hunderte katholische Initiativen, Vereine und Verbände stellen sich und ihre Arbeit vor. Ein wichtiges Thema ist die Debatte über die Zukunft der Kirche.



Wer kommt zur katholischen Großveranstaltung?

Die gesamte Staatsspitze mit Bundespräsident, Kanzlerin und Bundestagspräsident haben zugesagt. Angela Merkel will einen Vortrag zu den Herausforderungen des demografischen Wandels halten.

Christian Wulff möchte mit dem Gründer der Geistlichen Gemeinschaft Sant"Egidio und Karlspreisträger Andrea Riccardi über den Dialog der Kulturen diskutieren. Vertreten sind auch Spitzenvertreter aller Parteien. Als Redner sind Experten der verschiedensten Fachrichtungen angefragt, etwa Theologen, Entwicklungshilfeexperten, Politologen oder Ökonomen. Am traditionell vor allem von der Basis geprägten Katholikentag werden auch zahlreiche Bischöfe und Kardinäle teilnehmen.



Wer organisiert und gestaltet das Treffen?

Katholikentage werden gemeinsam vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und dem gastgebenden Bistum - für Mannheim ist dies das Erzbistum Freiburg - ausgerichtet. Das ZdK vertritt die katholischen Basis.



Was kostet der Katholikentag?

Der Etat des Großereignisses liegt bei rund 8,5 Millionen Euro. Die Summe verteilt sich auf Teilnehmerbeiträge und Fundraising (2,65 Millionen), das Erzbistum Freiburg (1,1 Millionen), die Deutsche Bischofskonferenz, (1,0 Millionen), die Stadt Mannheim (1,5 Millionen), das Land Baden-Württemberg (1,6 Millionen), den Bund

(0,4 Millionen) und sonstige Einnahmen wie etwa Projektzuschüsse für einzelne Veranstaltungen (0,25 Millionen).



Was ist mit dem Motto "Einen neuen Aufbruch wagen" gemeint?

Vor dem Hintergrund sinkender Katholikenzahlen und des Priestermangels ist es das Ziel, wieder mehr Menschen für den Glauben zu begeistern. Seit mehreren Monaten läuft bundesweit ein von den Bischöfen angestoßener "Dialogprozess" zur Zukunft der Kirche, dessen Zwischenergebnisse in Mannheim aufgegriffen werden sollen. Gesellschaftspolitisch will der Katholikentag deutlich machen, dass es angesichts von Wirtschaftskrise, globaler Armut und Umweltzerstörung ein Umdenken in den reichen Staaten geben muss.



Seit wann gibt es Katholikentage?

Zum ersten Katholikentag trafen sich 1848 in Mainz Vertreter von katholischen Vereinen. In den Umbrüchen des 19. Jahrhunderts ging es darum, kirchliche Rechte gegenüber dem Staat einzufordern. In nationalsozialistischer Zeit gab es keine Katholikentreffen, weil die Organisatoren die geforderte "Treueerklärung für Führer und Reich" ablehnten. Der erste Katholikentag nach dem Zweiten Weltkrieg fand 1948 erneut in Mainz statt.



Heute werden Katholikentage in der Regel im jährlichen Wechsel mit Evangelischen Kirchentagen organisiert. Bislang zweimal - 2003 in Berlin und 2010 in München - gab es Ökumenische Kirchentage. Der nächste Katholikentag nach Mannheim ist für 2014 in Regensburg geplant. 2019 soll es wieder ein gemeinsames evangelisch-katholisches Treffen geben.