In Südafrika kämpfen gerade arme Gegenden mit HIV und Aids

"Jeder zweite hier ist infiziert"

Autor/in:
Caroline Schulke
 (DR)

Der Tag von Zandile Mkhize beginnt um sechs Uhr früh - spätestens. Die 30-Jährige ist alleinerziehende Mutter, studiert Sozial- und Gemeindeentwicklung im Fernstudium und arbeitet als Sozialarbeiterin. Im Zentrum Siqalakabusha im Township Kwa Mashu bei Durban geht eigentlich alles über ihren Schreibtisch: die monatlichen Statistiken für die lokalen Behörden, die Akten von zu Hause gepflegten Patienten, die Listen der mit Lebensmittelhilfen versorgten Familien. Sozialarbeit in Kwa Mashu - das erfordert starke Nerven und viel Engagement. Das Township ist eines der größten in Südafrika und ein berüchtigtes. Armut, Raub, Mord, sexuelle Gewalt heißen die Probleme sowie auch und vor allem HIV und Aids.



"Etwa jeder zweite hier ist infiziert", sagt Zandile über ihren Distrikt Siyanda innerhalb von Kwa Mashu. Damit liegt die Region weit über dem ohnehin schon hohen Anteil von rund 18 Prozent Infizierten unter den Erwachsenen in ganz Südafrika. Aktuellen internationalen Untersuchungen zufolge sind mehr als 5,5 Millionen der knapp 50 Millionen Südafrikaner HIV-positiv. Das ist die höchste absolute Zahl weltweit. Und wirkliche Fortschritte sind für die vergangenen Jahren kaum zu erkennen, zumindest nicht flächendeckend.



Wie groß und komplex die Herausforderungen sind, zeigt sich in Siyanda, Kwa Mashu, jeden Tag. Ab 8 Uhr geht es im Zentrum Siqalakabusha bunt zu. Das einzige zweigeschossige Haus inmitten der vielen kleinen Matchbox-Häuschen mit Wellblechdach in dem Township ist gut sichtbar. Im ersten Stock versammeln sich Zandile und ihre Freiwilligen. Einige Frauen schwärmen gleich wieder aus, um Kranke zu Hause zu besuchen. Andere kochen Reis und Bohnen für Kinder, die am Mittag zum Essen kommen.



Direkt nach der Schule bevölkern sie den kleinen staubigen Platz vor dem Zentrum, singen und tanzen im Kreis. Eine lange Schlange bildet sich vor der Essensausgabe. 50 Kinder müssen heute versorgt werden. Mal sind es mehr, mal weniger. Vorher wissen es die Freiwilligen von Siqalakabusha nie so genau. Doch nur um einen gefüllten Bauch geht es nicht. Auch sozialpsychologisch bietet das Zentrum Hilfe an.



Es sei in der Provinz Kwa Zulu Natal keine Ausnahme mehr, dass mehrere Menschen in einer Familie Aids haben und an der Krankheit sterben, sagt Philippe Denis. Gerade die Kinder erlitten durch Armut, Tod oder auch durch Gewalt eine Vielzahl von Traumata. Der aus Belgien stammende Dominikaner und Kirchenhistoriker gründete

1996 an seinem Lehrstuhl an der Universität von Kwa Zulu Natal das Zentrum Sinomlando. Der Begriff ist Zulu und bedeutet "Wir haben eine Geschichte". Ziel ist, über die Methode der mündlichen Überlieferung verschwiegene Erinnerungen zu bewahren.



Dazu gehört seit 2001 auch die spezielle Erinnerungsarbeit mit Aids-Waisen und verletzlichen Kindern. Es gehe darum, ihnen zu helfen, sie zu stärken, ihnen emotionalen Halt und Unterstützung zu geben, erläutert Denis. Dazu arbeiten "Erinnerungshelfer" mit den Kindern und anderen Familienagehörigen. Sie erstellen unter anderem eine memory box, in der die Betroffenen Fotos und andere Gegenstände aufbewahren, die ihnen wichtig sind. Sinomlando bildet dazu Angestellte und Freiwillige von Partnerorganisationen aus, die dann vor Ort mit Waisen und schutzlosen Kindern arbeiten. Unterstützt wird die Erinnerungsarbeit auch vom deutschen Hilfswerk missio.



Wie das Konzept in der Praxis aussieht, dafür ist Zandile ein Beispiel. Sie arbeitet in Siyanda als Erinnerungshelferin, betreut Kinder und andere Familienangehörige in Gruppen- und Einzelsitzungen. Zudem hat sie auch selbst eine memory box. "Ich bin auch ein Opfer von HIV und Aids. Meine Eltern und einige Geschwister sind an der Krankheit gestorben", erzählt sie. Es sind traurige und teils furchtbare Geschichten, die sie selbst durchlebt hat und nun jeden Tag erfährt. Doch ihren Lebensmut hat Zandile nicht verloren. Im Gegenteil: "Ich habe gemerkt, dass ich aufwachen und etwas tun muss, um anderen zu helfen." Dafür steht sie jeden Morgen um sechs Uhr auf - spätestens.