Bischof Wanke zur Kirche im Jahr des Mauerfalls

"Den Wandel aktiv unterstützt"

Schon der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner bezeichnete die Rolle der katholischen Kirche für das Ende der DDR unterbewertet. Nun verteidigt auch sein Amtskollege, der Erfurter Bischof Joachim Wanke, den Beitrag der ostdeutschen Katholiken zur friedlichen Revolution.

 (DR)

KNA: Herr Bischof, wie haben Sie vom Fall der Mauer erfahren?
Wanke: Es war in Heiligenstadt bei einer Versammlung von Jugendseelsorgern. Da platzte in den Abend hinein die Nachricht:
«Die Mauer ist offen». Die Reaktion war große Begeisterung und Staunen. Alle stürzten zu den Radio- und Fernsehgeräten, um erste Informationen zu bekommen.

KNA: Kam es für Sie überraschend?
Wanke: Dass die Mauer auf Dauer nicht haltbar war, war in diesen Wochen immer deutlicher geworden. Aber dass es auf diese merkwürdige und scheinbar doch recht zufällige Art und Weise passierte, das war schon erstaunlich. Wir hatten es lange ersehnt und erbetet, und dennoch war es in der Plötzlichkeit, in der es nun Wirklichkeit wurde, ein Wunder.

KNA: Was halten Sie von der Kritik, die Katholiken hätten sich im Vergleich zu den Protestanten zuwenig an der friedlichen Revolution beteiligt?
Wanke: Die Bischöfe sahen es in den 40 Jahren der DDR als vordringliche Aufgabe an, die Menschen in der Abwehr der SED-Ideologie und im katholischen Glauben zu stabilisieren. 1989 stellte sich verstärkt die Frage, ob wir uns noch mehr auch öffentlich für eine Änderung der Verhältnisse in der DDR engagieren sollten. Das taten auch einzelne Bischöfe und Bistümer durchaus. Ich erinnere etwa an die katholische Beteiligung an den Ökumenischen Versammlungen vor der Wende oder an den öffentlichen Aufruf des Pastoralrates Erfurt vom Oktober 1989, sich für gesellschaftliche Veränderungen einzusetzen.

Gemeinsame Aktionen der Bischofskonferenz waren damals angesichts des Wechsels von Kardinal Meisner von Berlin nach Köln und auch angesichts der sich überstürzenden Ereignisse schwierig. Viele Initiativen gingen in der Wendezeit von einzelnen Katholiken und Gemeindegruppen aus, die innerkirchlich durchaus Rückhalt fanden.
Man kann berechtigt sagen, dass es einen katholischen Beitrag zum Herbst 1989 gab.

KNA: Inwieweit engagierten sich die Kirchengemeinden?
Wanke: Vor allem in den mehrheitlich katholischen Regionen, also besonders im Eichsfeld und im Sorbenland, da sind Gemeindemitglieder und Amtsträger auch mit Unterstützung der Ordinariate durchaus aktiv geworden. Aber auch Diaspora-Gemeinden wie zum Beispiel in Ilmenau haben den Wandel aktiv unterstützt. Richtig ist allerdings, dass wir in der Nutzung von Gotteshäusern für nichtreligiöse Veranstaltungen zurückhaltend waren. Die genaue Geschichte der Beteiligung katholischer Christen und zum Teil auch der Amtsträger an der Wende ist übrigens noch nicht geschrieben.

KNA: Haben sich Ihre Erwartungen von 1989 bestätigt?
Wanke: Insgesamt haben sich die meisten Hoffnungen erfüllt, vor allem, dass wir nun frei und ohne Angst vor Partei und Stasi leben können. Deutschland ist wieder eins, und die Kirche kann frei wirken. Wir nehmen diese neuen Möglichkeiten im öffentlichen Raum gern wahr, wissen aber zugleich um die größere Wichtigkeit der Glaubensvermittlung im Rahmen der Familie und der Pfarrgemeinde.

KNA: Womit haben Sie nicht gerechnet?
Wanke: Ich habe nicht gedacht, dass uns manche Veränderungen so stark auch in der Kirche tangieren, wie es dann tatsächlich war.
Sehr schnell habe ich aber gemerkt, wie die konkreten Lebensverhältnisse etwa von arbeitslosen Menschen, die sich nicht mehr gebraucht fühlen, uns auch in der Seelsorge betreffen. In der - wenn auch unökonomischen - DDR-Wirtschaft mit ihrer äußerlichen Vollbeschäftigung gab es solche Erfahrungen ja nicht.

KNA: Haben Sie auf einen stärkeren Zustrom in die Kirche gehofft?
Wanke: Damit habe ich von Anfang an nicht gerechnet. Die Religionsferne vieler Menschen im Osten Deutschlands hat geistige Wurzeln, die weit über die DDR-Zeit zurückreichen. Daran etwas zu ändern, geht nicht so schnell.

KNA: Wie hoch ist die Mauer zwischen Ost und West in den Köpfen noch?
Wanke: Da haben wir sicherlich noch Mentalitätsgräben. Die gibt es zwischen Schleswig-Holsteinern und Bayern zwar auch. Bei uns im Osten ist aber so einiges ausgeprägter als im Westen, etwa eine gewisse Neigung, sich auf staatliche Fürsorge zu verlassen, vielleicht auch ein gewisses Unterlegenheitsgefühl gegenüber dem Westen, das ich übrigens für völlig unberechtigt halte. Wir haben keinen Grund, uns zu verstecken. Auch im Osten gab es Wege, geradlinig und authentisch zu leben.

Das Interview führte Gregor Krumpholz.