EU-Gipfel ebnet Weg für Lissabon-Vertrag und bringt Überraschungen beim Personalkarussell

"Präsidenten-Macherin" Merkel?

Tony Blair ist der große Verlierer des EU-Gipfels von Brüssel. Offiziell stand zwar die Besetzung der künftigen europäischen Spitzenposten nicht auf der Tagesordnung der 27 Staats- und Regierungschefs, aber mit der letzten Detaileinigung zum Lissabon-Vertrag wurden in der belgischen Hauptstadt schon mal Weichen gestellt.

Autor/in:
André Spangenberg
 (DR)

"Blair gehört nicht mehr ins Spitzentrio", hieß es am Freitag zur Namensliste für den künftigen ständigen EU-Präsidenten. Dabei hatte sich Blair als früherer britischer Premier und Nahost-Beauftragter der EU gute Chancen ausgerechnet, Europas erster Präsident zu werden. Doch schmolz in Brüssel das Verständnis selbst in den eigenen politischen Reihen, die europäischen Sozialdemokraten gingen auf Abstand. Der EU-Präsident sollte aus einem Land kommen, "das bei sämtlichen EU-Politiken mitmacht", gab der Fraktionschef der Sozialisten im Europaparlament, Martin Schulz, die Marschrichtung vor. Und reklamierte zugleich den Posten des künftigen EU-Außenministers für seine Parteifamilie.

Europas Konservative können damit gut leben. "Es ist schwer vorstellbar, dass jemand Europa das Gesicht gibt, der gegen die Einführung des Euro in seinem Land ist und den gemeinsamen Schengen-Raum nicht will", heißt es bei der Europäischen Volkspartei, zu der auch die deutschen Christdemokarten gehören. Gegen einen Sozialisten als Außenminister sei auch "nichts einzuwenden". Schließlich lebe Europa vom und im politischen Ausgleich. "Wir sind gespannt, wen die Sozialisten präsentieren."

Noch will keiner der 27 EU-Staats- und Regierungschefs sich öffentlich auf einen Namen für den künftigen EU-Präsidenten festlegen. "Wer zu früh startet, der scheitert. Das hat Blair gezeigt", heißt es aus Diplomatenkreisen. Aber mit der abendlichen Einigung vom Donnerstag auf "institutionelle Fragen" hat das Personalkarussell neuen Schwung bekommen. Schließlich bekräftigt der EU-Gipfel nunmehr "seine Entschlossenheit dafür zu sorgen, dass der Vertrag bis Ende 2009 in Kraft tritt".

So läuft hinter den Kulissen intensiv die Suche nach einer geeigneten Persönlichkeit für Europas Spitzenposten. Der EU-Präsident, so lautet einer der Eckpunkte, sollte ein aktiver oder ehemaliger Regierungschef mit Integrationsvermögen und europapolitischer Erfahrung sein. Und er sollte aus einem kleinen EU-Mitgliedsland kommen. Das schränkt die Auswahl ein - und lässt Deutschland aus dem Rennen scheiden.

"Präsidenten-Macherin" Merkel
"Jetzt haben wir das JBS-Prinzip", heißt es in Brüssel nach den jüngsten Personal-Wendungen. Will heißen: Auf Platz eins steht Europas dienstältester Regierungschef, der luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker. Neu auf Platz zwei gerutscht ist der niederländische Premier Jan Peter Balkenende. Und Platz drei wird Wolfgang Schüssel zugerechnet, der von 2000 bis 2007 österreichischer Bundeskanzler war. Alle drei erfüllen mehr als nur die Mindestanforderungen.

Doch hat sich angeführt von Frankreich schon Widerstand gegen Juncker formiert. EU-Skeptiker monieren zudem, der Luxemburger sei ein "zu großer Integrator". Aber auch für Balkenende, dem "Jüngling" ohne großes europapolitisches Profil, zeichnet sich noch keine einhellige Zustimmung ab. Damit könnte bei einem Patt an der Spitze der Platz drei der interessanteste sein. "Dass Schüssel mit der Rückendeckung von Merkel rechnen kann, dürfte nicht von Nachteil sein", fügen EU-Beobachter hinzu. Sie sehen die deutsche Bundeskanzlerin schon als "Präsidenten-Macherin".

Ganz aus der Luft gegriffen scheint das nicht. Schließlich hatte sich Merkel schon einmal 2004 als Problemlöserin bewiesen, als sie nach wochenlangem Gezerre überraschend den Portugiesen und gemäßigten Atlantiker Jose Manuel Barroso als EU-Kommissionspräsidenten präsentierte. Jetzt also vielleicht Schüssel als EU-Präsident? "Warum nicht", sagen EU-Diplomaten und erinnern spitz daran, dass gemäß dem bisherigen EU-Rotationsprinzip Schüssel am 1. Januar 2006 schon einmal Tony Blair als Ratspräsident der Europäischen Union gefolgt war.