Berliner Verwaltungsgericht entscheidet

Streit über Mittagsgebet

Religionen haben es im säkularen Berlin nicht leicht. Dies gilt besonders für öffentliche Schulen, wo das christliche Schulgebet lange schon Geschichte ist und der Religionsunterricht als freiwilliges Angebot ein Randdasein fristet. Nun schickt sich ein 16-jähriger Muslim an, das tägliche Mittagsgebet zur festen Einrichtung an Berliner Schulen zu machen.

Autor/in:
Lukas Philippi
 (DR)

Am Dienstag will darüber das Verwaltungsgericht in der Bundeshauptstadt entscheiden. Damit findet ein Verfahren vor dem Gericht seine Fortsetzung, dass im März 2008 mit einer vorläufigen Eilentscheidung zugunsten des Schülers begonnen hatte. Damals warnte die Chefin der Berliner Lehrer-Gewerkschaft GEW, Rose-Marie Seggelke, davor, dass künftig Schulen in Berlin in der Pause ihre Turnhalle räumen müssten, um Hunderte Muslime beten zu lassen. Heute sieht sie die Lage entspannter.

Selbst bei einer Bestätigung des Beschlusses gehe sie "nicht davon aus, dass es weitere Klagen geben wird", sagte sie dem epd. Der Integrationswunsch muslimischer Eltern sei meist größer als der Wunsch, aufzufallen. Medienberichten zufolge soll der Vater des Klägers erst zum Islam übergetreten sein. Auch Gerichtssprecher Stephan Groscurth spricht von einem Einzelfall.

Mittagsgebet auf dem Flur
Alles beginnt am 1. November 2007: Yunus M. ist seit Schuljahresbeginn auf dem Diesterweg-Gymnasium im Berliner Stadtteil Wedding. Laut Gericht verrichtet er an diesem Tag zusammen mit sieben Mitschülern auf einem Flur der Schule sein Mittagsgebet. Daraufhin erhalten seine Eltern Post von der Schulleitung: Religiöse Bekundungen an öffentlichen Schulen seien verboten, heißt es darin mit Verweis auf die weltanschauliche Neutralität des Staates.

Ein Gespräch mit Rektorin Brigitte Burchardt bringt keine Klärung.
Yunus M. klagt. Das fünfmalige Gebet am Tag gilt als tragende Säule des islamischen Glaubens. In seinem Eilbeschluss verpflichtet das Gericht die Schule, dem Jungen vorläufig "zu gestatten, auf dem Gelände des Diesterweg-Gymnasiums außerhalb der Unterrichtszeit einmal täglich sein islamisches Gebet zu verrichten".

Das ist in den vergangenen anderthalb Jahren ohne weiteres Aufsehen erfolgt, wie aus der Schule zu hören ist. Yunus M. wurde dazu ein Raum zugewiesen. 650 Schüler aus 30 Herkunftsländern treffen sich täglich in dem großzügigen Flachbau aus den 70er Jahren. "Alle Religionen, die Sie sich vorstellen können", heißt es aus dem Lehrerkollegium. Für sein Gebet in der Mittagspause hat Yunus zumeist nur wenige Minuten Zeit.

Wie bindend sind vorgegebene Gebetszeiten?
Vor Gericht soll jetzt geklärt werden, welche Verbindlichkeit das islamische Gebet hat, wie bindend vorgegebene Gebetszeiten sind und ob das fünfmalige Gebet nicht auch "gebündelt" werden kann. Sachverständiger ist der Islamexperte und Juraprofessor Mathias Rohe von der Universität Nürnberg-Erlangen. Er vertrat in der Vergangenheit den Standpunkt, dass die Neutralität des Staates nicht bedeute, "Religionsausübung in die Hinterzimmer zu verbannen".

Die Richter müssen nun prüfen, ob das Grundrecht auf ungestörte Religionsausübung mit dem Schulbetrieb und der Pflicht des Staates zur "weltanschaulichen Neutralität" kollidiert. So argumentiert zumindest Berlins Schulsenator Jürgen Zöllner (SPD). Das Berliner Gericht argumentierte in seiner Eilentscheidung, Glaubensüberzeugungen dürften vom Staat nicht bewertet oder in Frage gestellt werden.

Dagegen betonte das Bundesverfassungsgericht 1995 in seinem Kruzifix-Urteil unter anderem die "negative Religionsfreiheit" der Anders- oder Nicht-Gläubigen. Die Karlsruher Richter warnten damals vor einer Gefährdung des religiösen Friedens durch den Staat, wenn der Religionsfreiheit aus Grundgesetzartikel 4 Vorrang eingeräumt wird.