Ein Bergwerk für Deutschlands kulturelles Erbe

Endlager für Kulturschätze

Die Metallgitter und schweren Stahltüren des Bergwerktunnels öffnen sich nur wenige Male pro Jahr. So in dieser Woche, um 50 bierfassgroße Stahlbehälter Hunderte Meter tief im Gestein auf Schwerlastregale zu deponieren. Was an ein Endlager für Sondermüll erinnert, ist eine historische Schatzkammer: Der nahe Freiburg versteckt im Wald gelegene Barbarastollen beherbergt das kulturelle Gedächtnis Deutschlands.

Autor/in:
Volker Hasenauer
 (DR)

Hier liegen luftdicht und bombensicher in Stahlfässern geschützt die wichtigsten Archivdokumente der Bundesrepublik - nicht im Original, sondern in Kopie auf Mikrofilm. Hintergrund ist ein in Europa einzigartiges Projekt, das in den 1960er Jahren entstand. Ziel war es nach den Erfahrungen der Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg, eine Art Sicherheitskopie deutscher Kulturgüter zu schaffen. Damals begann, was noch heute bundesweit Hunderte Archivmitarbeiter beschäftigt.

"Jedes Archiv ist aufgerufen, die für seinen Bereich besonders wichtigen Dokumente auf Mikrofilm zu kopieren und uns für eine Einlagerung zu überlassen", berichtet Martin Luchterhandt, der maßgeblich an dem Projekt beteiligt ist. Jährlich stehen dazu drei Millionen Euro aus Bundesmitteln bereit. Die Leitung hat das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe.

Gewandelte Aufgabenbeschreibung
Ursprünglich für einen befürchteten Kriegsfall angelegt, hat sich die Aufgabenbeschreibung des Projekts inzwischen gewandelt. Fälle wie der Einsturz des Kölner Stadtarchivs oder der Brand der Weimarer Anna-Amalia-Bibliothek zeigen, dass auch in Friedenszeiten kein vollständiger Schutz einmaliger Dokumente garantiert ist. Im Notfall könnten die Archive auf den Stollen zurückgreifen.

Mittlerweile ist in dem ehemaligen Tunnel eines Silberbergwerks des Freiburger Hausbergs Schauinsland das größte Mikrofilmarchiv Europas entstanden. 1.400 Fässer mit je 16 Filmrollen beinhalten Aufnahmen von 1,6 Milliarden Seiten. Im Original entspräche dies einem Aktenregal, das hintereinandergereiht weit mehr als eine halbe Erdumrundung lang ist: 27.000 Kilometer. Eine fast unvorstellbare Menge von Dokumenten, die trotzdem nur einen kleinen Teil des gesamten in deutschen Archiven aufbewahrten Materials ausmacht.

Querschnitt für das Gedächtnis künftiger Generationen
Kostbarkeiten sind darunter, etwa die Bauzeichnungen des Kölner Doms, die Goldene Bulle von 1356, die Bannandrohung gegen Martin Luther oder kostbare Handschriften von Wissenschaftlern und Komponisten. Vor allem geht es den Machern des Projekts darum, ein möglichst umfassendes Bild der zum Teil Jahrhunderte alten deutschen Kulturgüter, eine Art Querschnitt für das Gedächtnis künftiger Generationen, zu retten. Doch auf welchem Medium ist dies gewährleistet?

Dietrich Hofmaier ist der Erfinder der seit drei Jahrzehnten angewandten Technik der Mikrofilm-Konservierung. "Für Langzeitarchivierungen in einem solch großen Maßstab kam nur eine Verfilmung in Frage", erklärt er. Papier würde zu schnell brüchig, die Datensicherheit digitaler Aufzeichnungen ist, wenn es um Zeiträume von mehreren Hundert Jahren geht, zu unsicher. "Unser Film aber, eng aufgerollt zu kilometerlangen Spulen, der wird mindestens 500 Jahre halten." Manche Experten sprechen von 1.000 Jahren Lesbarkeit.

Zugleich ist das Mikroverfilmungsverfahren verhältnismäßig billig:
Eine Archivkraft kann an einem Tag gut 1.000 Aufnahmen schaffen, bundesweit gibt es 14 Verfilmungsstellungen. Die Detailgenauigkeit des in Sekunden entstandenen Fotos der Spezialkamera übertrifft dabei selbst neueste Computertechnik. Mit einer Ausnahme: Mikrofilm ist farbenblind, alle Aufnahmen sind dementsprechend schwarz-weiß.

In einem speziellen Verfahren werden die auf 35mm-Film gebannten Dokumente haltbar gemacht. Zum einen muss sichergestellt sein, dass die Chemikalien des Entwicklungsprozesses vollständig ausgewachsen sind. Zum anderen werden auch die geringsten Verschmutzungen per Ultraschallreinigung entfernt. Erst dann verschließt Hofmaier die Filmdokumente in einer Klimakammer, bevor sie dann in den das gesamte Jahr konstant zehn Grad kalten und von Hochsicherheitstechnik und schweren Türen gesicherten Stollen gebracht werden.