Das Fest der Liebe in Spanien

Weihnachten etwas anders

Der "Dicke" als Hauptgewinn, ohrenbetäubende Umzüge, Bescherung durch die Drei Heiligen Könige: Obgleich auch in Spanien Lichtgirlanden zum Konsumrausch anstacheln und es "Stille Nacht, heilige Nacht" durchaus in der Version "Noche de paz" gibt, unterscheiden sich die Weihnachtstraditionen deutlich von denen in Deutschland.

Autor/in:
Andreas Drouve
 (DR)

Adventskalender sind kaum verbreitet, und Glühwein braucht man niemandem anzubieten. Warmer Wein mit Gewürzen ist aus spanischer Sicht ein Unding.

Ein Blick in die Wohnzimmerkrippen genügt, und man reibt sich verwundert bis schockiert die Augen. Das Figürchen des "Cagon" - mit einer deutlich abgemilderten Übersetzung etwa der "große Darm-Entleerer" - lenkt den Blick von Maria und Josef und dem Jesuskind ab. Nichts ist ihm heilig. In hockender Position verrichtet das Männlein irgendwo am Krippenrand sein Geschäft. Doch böse oder besonders spöttisch soll das nicht gemeint sein, im Gegenteil: Der "Cagon" gilt als Glücksbringer, als einer, der den Boden düngt und fruchtbar hält.

Reiche Ernte fährt auch ein, wer "El Gordo" kassiert, den "Dicken". Seine Verkündigung am 22. Dezember markierte den eigentlichen Auftakt der festlichen Weihnachtstage - eine frohe Botschaft der anderen Art. Der "Dicke" ist der Hauptgewinn bei Spaniens gigantischer Weihnachtslotterie. Stundenlang wird die Ziehung live im Fernsehen übertragen. Denn außer dem "Dicken" fallen weitere Millionen ab. Die Besonderheit: Nicht eine Lottofee verkündet nüchtern Nummern und Gewinnsummen, sondern Kinder in einem schier unglaublich monotonen Singsang.

Keine Ruhe an Heiligabend
Besinnliche Ruhe an Heiligabend darf in Nordregionen wie Navarra und dem Baskenland niemand erwarten. Bei Dunkelheit ist der "Olentzero"-Umzug an der Reihe. Eine mannsgroße Puppe symbolisiert die Figur eines Köhlers, der aus den Pyrenäen hinabsteigt und die Kunde von der Geburt Christi publik macht. Gesicht und Hände sind schmutzig, sein wohlgenährter Leib steckt in einer Weste aus Wolle, und um seine Schultern baumelt ein Lederbeutel mit Wein. Allerdings kommt der "Olentzero" nicht ohne Begleitung in Städte und Dörfer. Musiktrupps und Glockentänzer zählen in Navarras Hauptstadt Pamplona zu seinem ohrenbetäubenden Gefolge, außerdem Fackelträger, Pferdekarren, Schafe, Ziegen, Ochsen, Gänse.

Nicht sonderlich besinnlich auch die Geschäftszeiten. Viele Läden schließen an Heiligabend erst um 20 Uhr. Ein bis zwei Stunden später stellt sich endlich Stille in den Familien ein, die sich zum gemeinsamen Festmahl bei Kronenhummern und Meerbrassen, bei Glas-Aalen und gefüllten Kapaunen versammeln. Zum Abschluss kommen traditionsgemäß schwerste Kalorienkaliber in Form von Mandel-Honig-Tafeln und Schmalzgebäck auf den Tisch.

Es wird geschlemmt und gebetet
Es wird also geschlemmt zu Weihnachten - ganz wie in Deutschland - und auch gebetet. Bei den Mitternachtsmessen füllen sich die sonst oft leeren Kirchenbänke, für manche Spanier der einzige Kirchgang im Jahr. Erst nach der Christmette oder dem Festmahl steht die Bescherung an - oder auch nicht. Denn die größten Geschenkelieferanten in Spaniens Weihnachtszeit sind nach wie vor die Drei Heiligen Könige, die sich am Abend des 5. Januar landesweit ihre Umzugswege mit Dromedaren, geschmückten Wagen, Fahnenschwenkern und Feuerspuckern durch die Mengen bahnen.

Damit bei den Geschenkwünschen an die Heiligen nichts schiefgehen kann, füllen Kinder in den Postämtern die eigens installierten Wunschbriefkästen und stellen ihre Schuhe in der Nacht auf den 6. Januar an strategisch günstigen Punkten zuhause auf. Wer böse gewesen ist, muss allerdings Kohle fürchten. Und wer ahnt, dass derlei Schwarzes ansteht, setzt auf einen besänftigenden Last-Minute-Service und deponiert in Schuhnähe ein paar Leckereien. Das soll schon so manchen Weisen aus dem Morgenland besänftigt haben.