Werkstätten für behinderte Menschen verbuchen weniger Aufträge

"Die Krise ist angekommen"

Die weltweite Wirtschaftskrise hat auch die Werkstätten für behinderte Menschen erfasst. Insbesondere Einrichtungen, die Arbeiten für Automobilzulieferer ausführen, sind betroffen. Ein Beispiel aus Rheinland-Pfalz.

Autor/in:
Karsten Packeiser
 (DR)

Unaufhörlich läuft das Fließband, mit leisem Klimpern fallen die neuen silbernen Metallteile vom Bandende auf einen großen Haufen in einen Plastiktrog. Über 14.000 Adapterkrallen für Automobilsitze stellen die Beschäftigten der Behindertenwerkstatt im nordpfälzischen Rockenhausen an guten Tagen her. «Momentan sind aber nur fünf der 16 Arbeitsplätze besetzt», sagt Arbeitsbereichsleiter Rolf Nehrbaß.

Um 40 Prozent seien die Aufträge aus der Automobilbranche seit Jahresmitte eingebrochen, berichtet Helmut Eckert, Direktor des evangelischen Diakoniewerks Zoar. An vier rheinland-pfälzischen Standorten beschäftigt Zoar über 820 behinderte Menschen, etwa ein Fünftel davon führt Auftragsarbeiten für die Autoindustrie aus. In Rockenhausen liegt die Werkstatt auf der anderen Straßenseite gegenüber einem großen Automobilzulieferer. Jahrzehntelang habe der Nachbar für gute Aufträge und stabile Beschäftigung gesorgt, sagt Eckert.

Auch andere Behinderteneinrichtungen in der Region bekommen die schlechte Konjunktur zu spüren. In einer Werkstatt der «kreuznacher diakonie» in Bad Kreuznach etwa ließ ein neuer Auftraggeber erst kürzlich seine Maschinen installieren. «Ab Januar 2009 sollte die Produktion beginnen», berichtet Geschäftsführer Gerd Biesgen. Inzwischen habe das Unternehmen aber darum gebeten, den Auftrag um ein halbes Jahr zu verschieben. Auch die Vermittlung behinderter Menschen aus den Werkstätten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt sei noch schwieriger geworden, klagt der Pfarrer.

«Die Krise ist angekommen», konstatiert Karl-Hermann Seyl vom «Gemeinschaftswerk für Menschen mit Behinderungen» in Landstuhl, wo in einigen Arbeitsbereichen schon die Weihnachtsferien verlängert wurden. Noch gingen die Verluste in die Hunderttausende, nicht in die Millionen Euro, gibt sich Seyl zuversichtlich: «Die Welt wird davon nicht untergehen.» Schließlich haben Vertragspartner schon in den letzten anderthalb Jahrzehnten immer wieder einmal Aufträge gekündigt und die Arbeit nach Osteuropa oder Asien ausgelagert.

«Wirtschaftliche Veränderungen wirken sich mit einer Zeitverzögerung immer auch auf die Werkstätten aus», sagt Burkhard Roepke, Sprecher der «Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen» aus Frankfurt am Main. Die Wirtschaftskrise sei aber auch eine Chance, Aufträge besser zu streuen.

Genau das tun viele der 2.300 bundesdeutschen Einrichtungen bereits seit Jahren. Das Klischee von Behinderten, die Bürsten für den Adventsbasar zusammenbasteln, hat mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun. Werkstätten beliefern längst alle erdenklichen Wirtschaftsbranchen: Sie produzieren Lichtschalter, Dachhalterungen für Solaranlagen, Aquarienzubehör, Pilze aus Bioanbau oder Särge.

Viele Einrichtungen sind zertifiziert und liefern Erzeugnisse von höchster Qualität. Gerade in Gegenden wie der Region um Stuttgart, die stark vom Automobilbau dominiert wird, sind die Abhängigkeiten der örtlichen Behindertenwerkstätten von der krisengeschüttelten Branche jedoch traditionell besonders hoch.

In ihrer Existenz seien die Werkstätten bislang nicht bedroht, versichern alle Verantwortlichen. In Rockenhausen wird bereits für die Zeit nach der Krise geplant. Wenig ausgelastete Beschäftigte sollen in den kommenden Wochen für neue Tätigkeiten angelernt und weiterqualifiziert werden. Er würde sich dennoch wünschen, sagt Zoar-Direktor Eckert, dass bei der aktuellen Diskussion um Konjunkturhilfen «auch die Werkstätten für Behinderte mit im Blickfeld stehen.»